1. Startseite
  2. Kreis Gießen
  3. Kreis Gießen

»Für Hunger mitverantwortlich«

KommentareDrucken

gikrei_1511_Kreis_Kenia__4c
Durch den Klimawandel hat auch Kenia unter zunehmenden Dürreperioden zu leiden. Für viele Bewohner bedeutet das, ihr Trinkwasser von weit her holen zu müssen. Symbolfoto: Brian Inganga/AP/dpa © Red

Wie unsere Landwirtschaft Klimawandel fördert und in Afrika Existenzen bedroht - darum ging es in einer Podiumsdiskussion, zu der die Kirchengemeinde Watzenborn-Steinberg eingeladen hatte.

Kreis Gießen/Pohlheim . »Es ist genug für alle da«, heißt es immer wieder, und trotzdem leidet ein großer Teil der Menschen auf unserem Planeten täglich unter Hunger. Auf dieses anhaltende Problem machten mit einer Podiumsdiskussion zum Thema Landwirtschaft und Klimawandel die Kirchengemeinde Watzenborn-Steinberg, das Zentrum Ökumene der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) und das Hilfswerk »Brot für die Welt« aufmerksam. Zu Wort kamen neben Experten aus der Region auch per Livestream auf dem Bildschirm zugeschaltete Betroffene aus Uganda und Kenia. Geleitet wurde die Diskussion im evangelischen Thomashaus von Brigitte Molter und Vikar Johannes Krug.

Futtermittel und Biotreibstoff

Francisco Mari, Berater für Welternährung bei »Brot für die Welt«, gab zunächst einen kurzen Überblick der Ernährungslage und sparte dabei nicht mit Kritik am »globalen Ernährungssystem«: Zwar sei der Anteil der Hungernden innerhalb der vergangenen 60 Jahre weltweit von 30 auf zehn Prozent gefallen, die absolute Zahl der von Nahrungsmangel Betroffenen habe sich im gleichen Zeitraum aber nicht verändert.

Über 6000 Kalorien pro Person wüchsen täglich auf deutschen Äckern - wobei ein durchschnittlicher Erwachsener jedoch gerade mal 2200 pro Tag benötige. Ein guter Teil der erzeugten Nahrungsmittel finde daher nie den Weg auf die Teller der Verbraucher, sondern würde zur Veredelung von Futtermitteln oder zur Biotreibstoffproduktion genutzt, so Mari.

Ein anderer Teil ginge als Exporte in die Länder des globalen Südens, wo diese die Preise für regionale Kleinbauern drücken, deren regionale Produktion deshalb nicht mehr wirtschaftlich sind, wodurch wiederum ihre Existenz bedroht sei. »Das zeigt, dass unser Landwirtschaftssystem mitverantwortlich dafür ist, dass Menschen hungern«, gab er zu bedenken. Noch dazu sei die Landwirtschaft eine wesentliche Triebfeder des globalen Klimawandels, da sie für rund 30 Prozent der klimaschädlichen Emissionen auf der Erde verantwortlich ist.

Die Folgen sind schon heute in den Ländern Afrikas spürbar: »Kenia steht vor großen Herausforderungen, was die Wasserversorgung angeht«, erklärte Rosinah Mbenya, die per Video zugeschaltet war. »Der Regen war nicht ausreichend, das Saatgut ist nicht aufgegangen.« Besonders dramatisch sei diese Entwicklung, »weil die Landwirtschaft das Rückgrat unserer Wirtschaft ist«. Man versuche daher, die Bevölkerung diesbezüglich zu »sensibilisieren, so dass die Menschen wissen, wie sie damit umgehen können«.

Probleme durch Dürre und Regen

Durch Maßnahmen zum Wassersparen und einer Diversifikation der Feldfrüchte versucht man, der Trockenheit entgegenzuwirken - aber stoppen könnten diese Maßnahmen die Dürren nicht. »80 Prozent unserer Landesfläche sind arid oder semiarid (trocken oder wenig befeuchtet, Anm. d. Red.)«, hob Mbenya hervor. Deswegen könnten selbst kleinste Veränderungen des Klimas das empfindliche Gleichgewicht in dieser Region entscheidend stören.

Gleichzeitig kann aber auch zu viel Regen zum Problem werden, wie die Gründerin von »Fridays for Future Uganda«, Hilda Flavia Nakabuye, in der Liveschalte deutlich machte: »Jedes Jahr hat die Intensität der Regenfälle zugenommen.« Dennoch leide ihre Heimat südlich des Victoriasees regelmäßig unter »langanhaltenden Trockenperioden«. Dies sei besonders frustrierend, da Afrika im Gegensatz zu den westlichen Industrienationen kaum Einfluss auf den Klimawandel habe, seine Auswirkung aber deutlich spüre. »Wir sind Menschen, die unter einer Klimakrise leiden, die wir nicht verursacht haben«, betonte Nakabuye und forderte Reparationen für die Klimaschäden in ihrer Heimat ein.

Doch was tun? Eine Maßnahme sei, die strengen Nahrungsmittelvorschriften zu lockern. Darüber waren sich Vera Zimmermann und Landwirt Thomas Fay einig. Gerade bei der Biolandwirtschaft sollten Verbraucher hinnehmen, dass die hier geernteten Feldfrüchte nicht so gleichmäßig beschaffen seien wie bei konventionellem Anbau. »Dann muss man mal akzeptieren, dass ein Brot nicht so ist wie das andere«, forderte Fay. Bis jetzt seien die Landwirte machtlos, wenn mal eine Charge nicht die Anforderungen erfülle.

Solidarisches Modell als Vorbild

Man kann aber auch den Nahrungsmittelmarkt komplett umgehen, wie Vera Zimmermann am Beispiel der »solidarischen Landwirtschaft« zeigte. »Eine Gruppe von Menschen schließt sich zusammen und betreibt gemeinsam einen Hof«, umriss sie das Konzept, bei dem der Anbau durch Mitgliederbeiträge finanziert wird. Das fertige Erzeugnis wird dann quasi als Dividende an die Mitglieder ausgeschüttet. »Wir nehmen dem Gemüse seinen Preis und geben ihm seinen Wert«, fasste Zimmermann die Grundidee dieses Modells zusammen.

Es könnte darüber hinaus helfen, auch den ärmsten zehn Prozent ihren Anteil an der globalen Nahrungsmittelversorgung zu erhalten, sodass in Zukunft niemand mehr leer ausgehen muss.

gikrei_1511_Kreis_Pohlhe_4c
Per Livestream sind auf dem Bildschirm Gesprächspartner aus Kenia und Uganda zugeschaltet. Foto: Schneider © Schneider

Auch interessant

Kommentare