Buddhistische Leitgedanken zum Leben in unserer konsum- und leistungsorientierten Gesellschaft


Essay, 2022

7 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Das Leben in der heutigen Gesellschaft ist ein einziges Dilemma.

Es gibt da diesen einen Gedanken, der immer wieder in meinem Kopf auftaucht: „Nehmen wir mal an, wir sind nicht alleine im Universum und es gibt intelligente Aliens; Wesen, die uns vielleicht in einigen Bereichen überlegen sind - was würden die wohl so über uns Menschen denken? Über unser Leben auf der Erde, über die Dinge, die wir tagtäglich tun? Würden sie uns bewundern, vielleicht sogar loben wollen? Was würden wir ihnen stolz präsentieren können?“.

Egal wie oft ich darüber nachdenke, ich komme jedes Mal zu dem Schluss, dass die Aliens vor Allem eines wären: verwirrt. Ja ich glaube sie würden sich über uns – damit meine ich v.a. den privilegierten wohlhabenderen Teil der Menschen – wundern. Sie würden viele Gegensätze finden, die auf den ersten Blick keinen Sinn machen. Ihnen würde unser gemeinsames Dasein auf dieser Erde als ein von Widersprüchen geprägtes Chaos erscheinen:

„Sag mal, habt ihr ‘ne Idee, warum genau die Menschen jetzt den schönen Wald abbrennen lassen? Ihr wisst schon, diesen Amazonas.“

„Keine Ahnung, aber ich glaube die machen das, um diese kleinen bunten Papiere zu sammeln; das, was sie Geld nennen. Die Menschen verbringen erstaunlicherweise fast ihre ganze Lebenszeit damit, Geld zu sammeln.“

„Achso ok. Dann muss das Geld ja sehr wichtig sein. Ist das Teil ihrer Nahrung?“

„Nein, sie können Papier gar nicht verdauen. Soweit ich weiß, ernähren sich Menschen von Tieren und Pflanzen.“

„Von Pflanzen?! Wie praktisch, dann ist ja immer Essen für alle vorhanden. Ich meine, die haben ja riesige Anbauflächen auf ihrem Planeten. Das muss ja fast utopisch sein, niemand braucht zu hungern.“

„Ja und wie’s aussieht können sie Krankheiten heilen, Unterkünfte bauen und werden von keiner anderen Spezies bedroht. Als Mensch hat man echt den Jackpot gezogen!“

„Freunde, ich will hier ja nicht der Spielverderber sein, aber…“ Das Leben auf der Erde ist für die wenigsten Menschen eine Utopie. Dabei bietet uns die Erde eigentlich alles, was wir zur Sicherung der menschlichen Grundbedürfnisse jedes einzelnen benötigen. Die Ressourcen für ein zufriedenstellendes Leben sind in dem Sinne schon vorhanden. Trotzdem machen wir Menschen es uns unnötig schwer; oft sind wir selbst der Grund dafür, dass es uns und anderen schlecht geht.

Einige leiden unter Krieg, Sklaverei, Armut, Folter, Hunger, Organraub, Vergewaltigung und Mord; andere unter Imageproblemen, Karrierefragen, Einsamkeit, Liebeskummer, Angstzuständen, Selbstzweifel, Depressionen, kognitiver Dissonanz, Sexismus, Diskriminierung, Drogenproblemen, Leistungsdruck und Suizidgedanken… Auch wenn einige dieser Probleme bedeutend schwerer als andere wiegen, haben sie doch eine Gemeinsamkeit: Sie sind irgendwo miteinander verknüpft, sie bedingen sich gegenseitig. In unserer modernen vernetzten Welt ist vieles auf undurchschaubare-komplizierte Weise miteinander verwoben:

Eine Rentnerin kauft sich ein Smartphone, um mit ihren Enkeln in Kontakt zu bleiben und ist dadurch indirekt mitverantwortlich dafür, dass in kongolesischen Minen Menschen von Kriegstreibern zur Arbeit gezwungen werden und nicht selten an Unfällen versterben.

Ein Multimilliardär investiert sein Vermögen in diverse Raumfahrtprojekte, welche nicht nur die Erde sondern auch den Weltraum erheblich verschmutzen und zur Klimaerwärmung beitragen.

Ein junger Mann will Karriere machen und arbeitet deshalb in einem prestigeträchtigen Unternehmen, das Waffen nach Ägypten liefert, welche dann im Jemen-Krieg viele Tode fordern.

Eine Teenagerin will selbstbewusster und beliebter erscheinen und kauft deshalb viel Kleidung bei einer Fast-Fashion-Kette ein, bei der die zugehörige Nähfabrik in Bangladesch bald einstürzen wird und mehrere tausend Arbeiter, darunter auch Kinder, sterben werden.

Der Vater einer armen Familie kauft für seine Familie Billigfleisch ein und trägt damit unbewusst zu Massentierhaltung, Pestizideinsatz, Klimawandel, Antibiotikaresistenzen, Nitratüberlastung der Böden und Rodung des Regenwaldes bei.

Was ich damit veranschaulichen will: Unsere Welt ist ungerecht, Leben ist Leid und der Mensch voller Schuld – ob nun gewollt oder ungewollt. All das wird uns durch den konstanten Informationsfluss im Internet auch ständig bewusst gemacht. Wie schaffen wir es bei dem Ganzen also, uns nicht erschlagen zu fühlen und trotzdem ohne Pessimismus und Selbsthass leben zu können? Mögliche Antworten dazu könnte der Buddhismus liefern.

Was denkt ein Buddhist über das menschliche Leben?

Buddhisten beschreiben das Leben mithilfe der sogenannten „drei Daseinsmerkmale“. Hierbei handelt es sich um (Tat-)Sachen, die uns immer begleiten werden und das Leben an sich ausmachen:

(1) dukkha: Leiden bzw. Dinge, die dazu führen.
(2) anicca: Vergänglichkeit. Nichts bleibt beständig und Leben heißt Veränderung.
(3) anatta: Nicht-Selbst. Da alles vergänglich-veränderbar bleibt, gibt, gibt es in dem Sinne auch keinen beständigen Wesenskern, keine immerwährende Persönlichkeit, d.h. kein Ich, das man in dem Sinne greifen, fassen und bleiben kann.

Weiterhin gibt es für die Buddhisten bezogen auf das Leid in unserem Leben die sogenannten „vier edlen Wahrheiten“, welche von Siddhartha Gautama – besser bekannt als Buddha – überliefert wurden:

(1) Das Leben ist immer auch an Leid geknüpft. Man kann Leid nicht umgehen, denn das gehört zum Menschsein. (Ähnlich wie auch beim Existenzialismus klingt diese Erkenntnis erstmal pessimistisch, bietet aber im Grunde genommen die Freiheit weiterzuleben!).
(2) Ursache für das Leid ist unsere Begierde, d.h. unser Verlangen nach Sachen. Und da nichts jemals so genugtuend sein kann, dass es unser Verlangen komplett stillen kann, ist das Verlangen an sich das Problem.
(3) Das Verhindern von Leid ist also nur durch das Beenden von Verlangen möglich. Eigene Erwartungen und Wünsche müssen relativiert werden; man muss genügsamer werden.
(4) Der sogenannte „achtfache Pfad“ ist ein Leitfaden zum Vermeiden von Leid.

Die Lebensregeln eines Buddhisten sind durch den achtfachen Pfad vorgegeben:

(1) Bemühe dich um Weisheit und verhalte dich immer richtig.
(2) Sei gelassen und friedfertig.
(3) Lüge niemals.
(4) Tue keinem Lebewesen Böses und stiehl nicht.
(5) Schade niemandem und zerstöre nicht die Natur.
(6) Gib dir Mühe und erfülle deine Pflichten, auch in der Religion.
(7) Sei achtsam, denke und handele stets besonnen.
(8) Konzentriere dich, denke nach und meditiere.

Was lässt sich jetzt also aus diesen Grundgedanken folgern? Im Grunde heißt buddhistisch leben, dass man versucht, sich selbst, anderen und der Natur möglichst nicht zu schaden, weil dadurch längerfristig viel Leid erspart wird. Um dies zu erreichen, versucht man achtsam zu leben: Man wendet sich aktiv dem Glück zu und übt Wertschätzung gegenüber den Dingen, die uns in gegenwärtigen Momenten begegnen – mit dem besonderen Bewusstsein, dass sie vergänglich sind. Gleichzeitig wendet man sich von destruktiven und leidverursachenden Dingen ab und versucht, sich nicht krampfhaft an Situationen, Personen, Gegenstände oder gar Wünsche und Vorstellungen zu klammern.

Das klingt sehr erstrebenswert, ist aber gerade in unserer vernetzten-komplizierten Welt keine leichte Aufgabe. Trotzdem behaupte ich mal: Würden alle Menschen einen Teil „buddhistischer Weisheit“ in ihr Leben integrieren, wäre die Erde für uns alle ein (noch) schönerer Ort.

Buddhistische Denkanstöße zu modernen Alltagsproblemen

Problem an unserer modernen konsum- und leistungsorientierten Gesellschaft ist, dass wir allzu oft den Eindruck haben, dass uns etwas fehlt, dass wir nicht genug sind. Wir denken, dass wir zu wahrem Glück gelangen, solange wir nur uns oder unsere Lebensweise optimieren. Uns plagt ein ständiges Verlangen nach „mehr“. Wir haben verlernt im Jetzt zu leben und knüpfen unser Glück an unrealistische-entfernte Vorstellungen, die nicht selten mit einem Optimierungswahn einhergehen:

„Wenn ich interessant und hübsch genug bin, mögen mich die Leute mehr und ich komme vielleicht in eine glückliche Beziehung und fühle mich nicht mehr so einsam und verloren.“

„Wenn ich jetzt hart arbeite und spare, kann ich in ein paar Jahren endlich mein Leben genießen.“

„Wenn ich aus den tausend möglichen Lebenswegen mal den einen passenden für mich gefunden habe, am besten an dem Ort, wo ich wirklich hingehöre, dann werde ich wissen wer ich bin und habe ein erfülltes Leben.“… Ich werde jetzt mal versuchen, besserwisserisch – und hoffentlich buddhistisch (!) – auf einige beispielhafte Lebenssituationen von Menschen zu antworten, die sich unglücklich und verloren fühlen:

Ein deutscher Vater im mittleren Erwachsenenalter ist depressiv, jobbedingt alkoholkrank und derzeit alkoholbedingt joblos sowie verschuldet. Im Alkoholrausch wurde seine Hüfte zertrümmert, er lernt aber langsam wieder das Laufen. Schon seit Ewigkeiten träumt er davon, später mal in einem tropischen Land zu leben und endlich glücklich zu sein, weshalb er auch immer viel und hart als Softwareentwickler gearbeitet hat. Momentan wohnt er in einer schönen bayerischen Stadt, ist nüchtern und hat aber das Gefühl „dass es das Leben so jetzt ja nicht gewesen sein kann“. Zu dieser Situation kommt mir ein Zitat des 14. Dalai Lama (Tenzin Gyatso) in den Sinn: „Der Mensch - er opfert seine Gesundheit, um Geld zu machen. Dann opfert er sein Geld, um seine Gesundheit wiederzuerlangen. Und dann ist er so ängstlich wegen der Zukunft, dass er die Gegenwart nicht genießt. Das Resultat ist, dass er weder in der Gegenwart noch in der Zukunft lebt. Er lebt, als würde er nie sterben und dann stirbt er und hat nie wirklich gelebt.“

Von außen betrachtet, ist das Leben des Mannes keine totale Katastrophe: er hat Familie, einen schönen Wohnort, die Möglichkeit Arbeitslosengeld und Therapie zu bekommen und ist gesundheitlich auf dem Weg zur Besserung. Doch aus seinem Verlangen nach mehr (mehr Geld, mehr Glück) hat er aus den Augen verloren, was er an erfüllenden Sachen bereits besitzt. Die Zufriedenheit versteckt sich nicht an einem imaginären Ort, sondern im Jetzt.

Eine Mutter von drei Kindern ist dem Schönheitswahn von Werbung und social media verfallen, welcher ein jugendliches Schönheitsideal vermarktet. Sie ist nahezu besessen davon, „nicht so alt“ auszusehen und gibt viel Geld für Anti-Aging-Cremes, Besenreiser-Laserbehandlung und Make-Up aus. Zudem ist sie unzufrieden mit ihren Dehnungsstreifen und wünscht sich einen strafferen Bauch. Jugend ist wie alles vergänglich und der alternde Körper ist ein schönes Zeichen dafür, dass wir leben. Die Frau kann z.B. stolz auf sich sein, dass sie Dehnungsstreifen hat, da diese das Ergebnis von drei fröhlichen Kindern sind. Sie hat einen gesunden Körper, der es ihr ermöglicht, Zeit mit ihrer Familie zu verbringen und das an sich ist ausreichend. Mehr Zufriedenheit würde sich nicht zwingend durch Schönheitsbehandlungen ergeben, v.a. da dadurch ein Drang entsteht, noch mehr Sachen am Äußeren zu verändern.

Eine junge Studentin ist fast fertig mit ihrem Bachelor aber sehr unsicher mit dem, wer sie ist und was sie machen will – v.a. auch beruflich. Sie hat sich aus Pragmatismus dafür entschieden, nach dem Abitur direkt zu studieren, auch weil sie in der Schulzeit kaum Zeit hatte, eigene Interessen zu finden. Unbewusst setzt sie sich den Erwartungsdruck, ihrem Leben eine Art „roten Faden“ zu geben, da sie nicht verloren und unwissend wirken will. Hinzu kommt, dass sie ihr Leben lang immer als das mädchenhafte brave Kind gemocht wurde und sich deswegen davor scheut, von diesem Image abzuweichen oder von anderen zu hören „das passt nicht zu dir, so kenne ich dich ja gar nicht. Sie hofft durch Selbsthilfebücher Orientierung zu finden.“ Die junge Frau braucht sich selbst nicht zu stressen, da es keinen festen Wesenskern gibt, den sie greifen oder suchen kann. Sie darf es sich selbst erlauben, anders zu sein, verschiedene Sachen auszuprobieren und intuitiv einfach die Dinge zu machen, auf die sie in der Gegenwart Lust hat – auch wenn diese scheinbar irrational oder unpassend auf andere wirken sollten. Das Leben und damit auch das vermeintliche „Ich“ sind stark vom Umfeld abhängig und sehr wandelbar, von daher ist es in Ordnung „unlogisch“ und ambivalent zu handeln. Das Leben an sich ist komplex, da kann das Konzept der Persönlichkeit folglich gar nicht eindimensional und einfach sein.

Lange Rede kurzer Sinn: Richte deinen Blick auf die Gegenwart, koste sie aus und strebe nicht ständig nach mehr. Versuche dabei, Leid für andere und dich möglichst gering zu halten.

Oder in schöneren Worten:

„Nun aber weilte sein befreites Auge diesseits, es sah und erkannte die Sichtbarkeit, suchte Heimat in dieser Welt, suchte nicht das Wesen, zielte in kein Jenseits. Schön war die Welt, wenn man sie so betrachtete, so ohne Suchen, so einfach, so kinderhaft.“ (In: Siddharta von Hermann Hesse) [12.826 Zeichen]

Literaturverzeichnis

Baer-Krause, J., Dehn, U. & Marhenke, M. (o.J.). Achtfacher Pfad der Erkenntnis. Verfügbar unter: https://www.religionen-entdecken.de/lexikon/a/achtfacher-pfad-der-erkenntnis [13.02.2022]

Berzin, A. (o.J.). Eine buddhistische Lebenseinstellung. Verfügbar unter: https://studybuddhism.com/de/tibetischer-buddhismus/ueber-den-buddhismus/wie-buddhismus-studieren/eine-buddhistische-lebenseinstellung [13.02.2022]

Buddhastiftung (o.J.). Was sind die Drei Daseinsmerkmale, die Buddha erkannt hat. Verfügbar unter: https://buddhastiftung.org/was-sind-die-drei-daseinsmerkmale-die-buddha-erkannt-hat/ [13.02.2022]

Susak. M. (2021). Buddha und das antike Indien. Vortrag präsentiert in der Vorlesung Das Bild des Menschen - Bildungsideale antiker und mittelalterlicher Pädagogik WS 2122. 01.12.2021, München: LMU

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Ende der Leseprobe aus 7 Seiten

Details

Titel
Buddhistische Leitgedanken zum Leben in unserer konsum- und leistungsorientierten Gesellschaft
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Veranstaltung
Das Bild des Menschen - Bildungsideale antiker und mittelalterlicher Pädagogik
Note
2,0
Autor
Jahr
2022
Seiten
7
Katalognummer
V1298543
ISBN (eBook)
9783346764928
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Buddhismus, Konsumgesellschaft, Leistungsgesellschaft, Menschrenrecht, Umwelt, Leid, Kapitalismus, Krieg, dukkha, anicca, anatta, achtfache Pfad, Glück, Achtsamkeit, Gegenwart, Wertschätzung, Siddharta
Arbeit zitieren
Clara Schoch (Autor:in), 2022, Buddhistische Leitgedanken zum Leben in unserer konsum- und leistungsorientierten Gesellschaft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1298543

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