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Klassentreffen

Eine Klasse für sich

So sah einst die Abschlussklasse aus (Bild oben). Jetzt haben sich die ehemaligen Schülerinnen wieder getroffen (links).

So sah einst die Abschlussklasse aus (Bild oben). Jetzt haben sich die ehemaligen Schülerinnen wieder getroffen (links).

Südstadt. Wenn sich die Fräuleins des Abschlussjahrgangs 1959 der Lotte-Kestner Mädchenschule nach mehr als einem halben Jahrhundert wiedersehen, dann geht es munter zu. „Wir haben schon bei der Reservierung darauf hingewiesen, dass es lauter wird. Wir sind nun mal eine Mädchenklasse“, sagt Sabine Werner und lächelt den Kellner an, der angesichts der 19 Damen schon ein wenig besorgt um die Ordnung in seinem Etablissement scheint. Der Herr scheint nicht zu wissen, dass es sich bei der heiteren Runde um ein Klassentreffen Hannovers wohlerzogenster Realschülerinnen handelt - zumindest, wenn man einer Broschüre von 1959 glauben darf, die Sabine Werner zum 55. Klassentreffen mitgebracht hat. Darin ist das humanistisch-bürgerliche Bildungideal von damals in hochtrabenden Worten festgehalten. In der Lotte-Kestner-Mädchenschule am Altenbekener Damm (heute Ludwig-Windthorst-Schule) sollten Mädchen erzogen werden „deren Seele ganze Güte, zugleich mit einer Gestalt ganz Anmut, sich entfaltet hat - Mädchen voll „eingeborner Tugend, mitgebornen Wohlstand und Grazie“, heißt es dort.

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Die ehemaligen Schülerinnen erinnern sich nur zu gut. „Unsere Direktorin Frau Bock war eine preußische Offizierstochter. Auf gutes Benehmen wurde eben viel Wert gelegt“, sagt Karola Rennemann. In der Praxis bedeutete das für die jungen Frauen unter anderem, nicht in Hosen zur Schule zu kommen. Ebenfalls gescholten wurde, wer auf dem Schulweg zu lange am Tor der benachbarten Tellkampfschule nach Jungs schielte. Den Spaß ließen sich die Schülerinnen trotz der Strenge nicht verbieten. Auf den alten Klassenfotos, die zum Klassentreffen rumgereicht werden, sieht man kecke junge Mädchen, die trotz der Strenge scheinbar viel zu lachen hatten. Karola Rennemann erinnert sich, wie sie Niespulver mit in die Schule brachte und an andere Faxen. Überhaupt sei es mitunter wie in Erich Kästners fliegendem Klassenzimmer dahergegangen, erinnern sich die Seniorinnen.

Die Lotte-Kestner-Schule wurde 1859 als zweite städtische „Töchterschule“ gegründet, um auch Mädchen den Zugang zur höheren Bildung zu ermöglichen. Noch in der Nachkriegszeit war der Besuch einer Realschule für die Mädchen, die den Jahrgängen 1941-43 angehören, nicht selbstverständlich. Während einer Prüfungswoche mussten alle Fünftklässler ihre Befähigung für die Schulform nachweisen. Außerdem hatten die Eltern einige Jahre ein extra Schulgeld zu entrichten. „Für Mädchen war unsere Schule schon etwas gehoben. Davon habe ich später immer profitiert“, so Karola Rennemann. Sie und ihre Klassenkameradinnen hatten zudem das Glück, dass sie die Kriegsfolgen nicht mehr unmittelbar miterleben mussten. Ihre Nachbarschaft, die zerbombte Südstadt, erinnern sie eher als aufregenden Abenteuerspielplatz. „Wir haben auch nicht mehr hungern müssen“, sagt Sabine Werner. Sie zeigt auf eine kleine Narbe am Handgelenk, die sie noch heute an das Toben in den Trümmern erinnert. Nach der Schulzeit fanden alle Schülerinnen der Abschlussklasse 1959 im Wirtschaftswunder leicht eine Ausbildung. „Damals wurde überall nach Lehrlingen gesucht. Wir hatten viele Möglichkeiten und sind alle untergekommen“, erzählt sie. Eine über die Jahre vergilbte, Abschlusszeitung hat die damalige Unbeschwertheit der Mädchen festgehalten. In Versform haben sie damals einen poetischen Abriss der eigenen Schulzeit verfasst. Darin kommen der Respekt der Mädchen vor den humanistischen und demokratischen Idealen und ihre jugendliche Lebensfreude zum Ausdruck.

Seit den siebziger Jahren begehen die Lotte-Kestner-Schüllerinnen im Fünfjahresrhythmus ein Klassentreffen. Dabei macht die Mädchenklasse auch ein halbes Jahrhundert später den alten Idealen der Schule alle Ehre. „Jeder Besucher der Lotte-Kestner-Schule ist hocherfreut von dem Frohmut und dem jugendlichen Eifer“, heißt es in der alten Schulbroschüre. Am Ende des Abends kann das auch der Kellner bestätigen.

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Von Mario Moers

HAZ

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