Automatisierung: Dieser Roboter vernäht eine Wunde mit sechs Stichen ganz allein

Nach vielversprechenden Versuchen wollen Forscher mit ihren Robotersystemen Chirurgen bei repetitiven Aufgaben im OP, wie dem Nähen von Wunden, entlasten.

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Konzentriert bei Stich Nummer 3.

(Bild: Screenshot aus Video von Ken Goldberg)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • James O'Donnell
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Ein kleiner Stich für einen Roboter, ein großer Schritt für die Robotik: So könnte man den Vorstoß paraphrasieren, den Forscher von der University of California, Berkeley jetzt vorgestellt haben. In einem Video ist zu sehen, wie ein zweiarmiger Roboter selbstständig eine Wunde in einer Hautimitation mit sechs Stichen vernäht. Er führt die Nadel durch das weiche, nachgebende Gewebe von einem Roboterarm zum anderen, während er den Faden weiter gespannt hält.

Obwohl heute bei vielen Eingriffen etwa bei Leistenbrüchen bis hin zu koronaren Bypässen von Robotern beteiligt sind, sind sie eben ausschließlich eine Unterstützung der Chirurgen – nicht deren Ersatz. Diese neue Forschung zeigt den Weg zu Robotern, die bei sehr komplizierten Aufgaben wie dem Nähen autonomer im OP arbeiten und das Ärzte-Team entlasten können. Doch der nähende Roboter könnte noch über den OP-Saal hinaus auch in anderen Bereichen der Robotik von Nutzen sein.

"Aus Sicht der Robotik ist dies eine wirklich anspruchsvolle Manipulationsaufgabe", sagt Ken Goldberg, Forscher an der UC Berkeley und Leiter des Labors, das an dem Roboter gearbeitet hat.

Der Roboter muss für seinen Einsatz im OP wichtige Hürden nehmen: Schwierig ist zum Beispiel, dass glänzende oder reflektierende Objekte wie Nadeln die Bildsensoren eines Roboters stören können. Außerdem können Computer nur schwer modellieren, wie "verformbare" Objekte wie Haut und Faden reagieren, wenn sie an- und durchstochen werden. Im Gegensatz zum Hin- und Hergeben der Nadel von einer menschlichen Hand in eine andere ist das Bewegen einer Nadel zwischen Roboterarmen eine immense Herausforderung an die Geschicklichkeit.

Um den Herausforderungen zu begegnen, nutzt der Roboter zwei Kameras zur Umgebungserfassung. Die Forschenden trainierten ihn mit einem neuronalen Netz, so dass er in der Lage ist zu erkennen, wo sich die Nadel befindet, und mithilfe einer Bewegungssteuerung alle sechs Bewegungen planen konnte, die für einen Stich erforderlich sind.

Dass solche Roboter in Operationssälen selbstständig Wunden und Organe vernähen, ist zwar noch Zukunftsmusik. Doch einen Teil des Nähvorgangs zu automatisieren, bietet ein ernstzunehmendes medizinisches Potenzial, sagt Danyal Fer, ein Arzt und Forscher in diesem Projekt.

"Bei einer OP gibt es viel zu tun", sagt Fer, "und oft ist das Nähen die letzte Aufgabe, die man erledigen muss. Die Ärztinnen und Ärzte können dann beim Nähen ermüden. Schließen sie die Wunde dann nicht richtig, kann dies zu längeren Heilungszeiten und einer Reihe anderer Komplikationen führen.“ Da es sich beim Nähen auch um eine ziemlich repetitive Aufgabe handelt, hielten Goldberg und Fer sie für einen guten Kandidaten für die Automatisierung.

Ob der Robotereinsatz auch bessere Ergebnisse für die Patienten erzielt oder Nähte etwa schneller heilen und weniger Narben zurückbleiben: Diese Fragen sind noch offen. Denn der Erfolg des Roboters ist mit Vorsicht zu genießen: Die Anzahl von sechs Stichen war das Maximum, das die Roboterarme schafften, bevor ein Mensch eingreifen musste. Im Durchschnitt kam der Roboter nur auf etwa drei Stiche in den Versuchen. Die Testwunde war auf zwei Dimensionen begrenzt, im Gegensatz zu einer Wunde an einem abgerundeten Körperteil wie dem Ellbogen oder Knöchel. Außerdem wurde der Roboter nur an "Phantomen" getestet, einer Art falscher Haut, die in der medizinischen Ausbildung verwendet wird – nicht an Organgewebe oder Tierhaut.

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Axel Krieger von der Johns Hopkins University, der nicht an der Studie beteiligt war, attestiert dem Roboter beeindruckende Fortschritte – vor allem bei der Fähigkeit, die Nadel zu finden, zu greifen und sie zwischen den Armen zu übertragen.

"Es ist wie die Suche nach einer Nadel im Heuhaufen", sagt Krieger. "Das ist wirklich schwierig. Ich bin sehr beeindruckt, wie weit sie gekommen sind."

Kriegers Labor ist auf dem Gebiet des robotergestützten Nähens ganz vorne mit dabei. Das Team verfolgt aber einen anderen Ansatz. Während die Berkeley-Forscher mit dem da Vinci Research Kit arbeiteten, einem gemeinsam genutzten Robotersystem, das in vielen Operationssälen für laparoskopische Operationen eingesetzt wird, baute Kriegers Labor sein eigenes System, den Smart Tissue Autonomous Robot (STAR).

In einer Veröffentlichung aus dem Jahr 2022 wurde gezeigt, dass der STAR erfolgreich Nähte in Schweinedärme setzen konnte. Das war bemerkenswert, weil es Robotern üblicherweise schwerfällt, Farben in einer Probe von tierischem Gewebe und Blut zu unterscheiden. Das STAR-System profitierte beispielsweise von Infrarotsensoren im Gewebe, die dem Roboter sagten, wohin er gehen sollte, und einem speziell entwickelten Nähmechanismus zum Setzen der Stiche. Der Berkeley-Roboter wurde stattdessen für das Nähen von Hand mit dem weniger spezialisierten da Vinci-System entwickelt.

Die Liste an Herausforderungen ist daher für beide Forschungsansätze noch lang, wenn Roboterchirurgen auf den Weg bringen wollen. Krieger möchte die Bedienung des Roboters für Chirurgen einfacher machen (seine Funktionen sind derzeit hinter einer Wand aus Code verborgen) und ihn für den Umgang mit viel kleineren Nähten trainieren.

Goldberg möchte, dass der Roboter seines Labors kompliziertere Wundformen näht und Nahtaufgaben schneller und genauer erledigt. Schon bald wird das Labor von Tests an Hautimitaten auf Tierhaut umsteigen. Hühnerhaut wird bevorzugt. "Das Schöne daran ist, dass man einfach ein Hühnchen aus dem Supermarkt kaufen kann", sagt er. "Man braucht keine Genehmigung."

(jle)