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Nach dem Urteil gegen Lina E.: Wie gefährlich sind linke Szene und Antifa?

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Nach dem Urteil gegen die Kasseler Studentin Lina E. warnte nicht nur Bundesinnenministerin Faeser vor einer Radikalisierung der linken Szene. Aber nimmt die Militanz wirklich zu?

Kassel – Die Kasseler Studentin Lina E. ist für Nancy Faeser ein Beispiel dafür, dass Gefahren für die Demokratie nicht nur von rechts lauern. Nach dem Urteil gegen die 28-Jährige, die mit einer linken Gruppe Neonazis und vermeintliche Rechtsextreme brutal angegriffen haben soll, warnte die Bundesinnenministerin vor einer zunehmenden Gefahr von links: „In linksextremistischen Gruppen sind Hemmschwellen gesunken, politische Gegner auch mit äußerster Brutalität anzugreifen.“ Mit dieser Einschätzung ist die SPD-Politikerin nicht allein.

Auch der Politikwissenschaftler Hajo Funke erkennt Anzeichen für eine vermehrte Militanz der linken Szene. Die AfD, die in Teilen als rechtsextrem gilt, sieht sich ohnehin als Opfer der linken Szene. Im hessischen Landtag verwies die Partei auf 14 Anschläge auf das Eigentum von AfD-Politikern in Nordhessen in den vergangenen Monaten. Ist die linke Szene tatsächlich radikaler geworden? Eindeutige Antworten darauf gibt es nicht.

Hessischer Verfassungsschutz fürchtet Gewaltspirale zwischen links und rechts

Beim hessischen Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) heißt es auf Anfrage: „Die größte Gefahr für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung und die öffentliche Sicherheit stellt aktuell weiterhin der Rechtsextremismus dar.“ Dies lässt sich im jüngsten Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2021 auch in Zahlen belegen: 946 rechtsextremistischen Straf- und Gewalttaten stehen lediglich 131 linksextremistische gegenüber. Der Inlandsgeheimdienst zählte 860 gewaltorientierte Rechts- und 590 Linksextremisten.

Gleichwohl befürchtet man beim LfV, dass „Rechts-Links-Konflikte“ zu einer Gewaltspirale und einer Radikalisierung von Personen oder Gruppen führen könnten. Dies könne auch Folgen für den Staat haben, denn: „Weil Linksextremisten in der Regel auch den Staat, die freiheitliche demokratische Grundordnung, staatliche Institutionen und Repräsentanten als faschistisch ansehen, betrachten sie diese ebenfalls als bekämpfenswert.“

Nicht nur Bundesinnenministerin Nancy Faeser warnt vor einer Radikalisierung der linken Szene: Nach dem Urteil gegen die Kasseler Studentin Lina E. Ende Mai protestierten Autonome auch in Leipzig. Archi
Nicht nur Bundesinnenministerin Nancy Faeser warnt vor einer Radikalisierung der linken Szene: Nach dem Urteil gegen die Kasseler Studentin Lina E. Ende Mai protestierten Autonome auch in Leipzig. Archi © Jan Woitas/dpa

Das „Personenpotenzial im Bereich der aktionsrelevanten linksextremistischen Gruppierungen im Raum Kassel“ schätzt der Verfassungsschutz auf eine niedrige dreistellige Zahl. Vor allem beim Antifaschismus sei in der Szene in der jüngeren Vergangenheit eine erhöhte Handlungsbereitschaft festzustellen.

Demokratieforscher sieht nur geringe Gefahr durch radikale Linke

Immer wieder veröffentlichen Antifaschisten Rechercheergebnisse über AfD-Politiker sowie Neonazis und outen die Personen auch. Nach Sachbeschädigungen tauchen regelmäßig entsprechende Bekennertexte auf der linken Plattform Indymedia auf. „Eine einmal als Faschist klassifizierte Person kann jederzeit, auch ohne Vorwarnung, zum Ziel linksextremistisch motivierter Aktionen werden“, heißt es beim LfV.

Nicht nur die Gewalt ist ein Problem. Experte Alexander Deycke hält gerade das Outing von tatsächlichen und vermeintlichen Rechtsextremisten für problematisch. Der Wissenschaftler arbeitet in der Bundesfachstelle Linke Militanz, die am Institut für Demokratieforschung an der Universität Göttingen angesiedelt ist. Das Urteil von Faeser kann er nicht nachvollziehen, wie er sagt: „Dass von der radikalen politischen Linken eine große Gefahr für die Demokratie ausginge, kann ich absolut nicht sehen.“

Statistisch kein Anstieg bei Gewalttaten von links

Deycke weist darauf hin, dass Antifaschismus erst einmal nichts Problematisches und auch nicht zwangsläufig mit Gewalt verbunden sei: „Zunächst bedeutet es nur eine Gegnerschaft zur extremen Rechten.“ In der Statistik zu Gewalttaten habe es in den vergangenen zehn Jahren keine auffälligen Veränderungen gegeben. Die lokal organisierte Kleingruppe sei nach wie vor die zentrale Organisationsform.

Der Kasseler Politik-Professor Wolfgang Schroeder hat die Antifa einmal als „eine Art alternativer Verfassungsschutz außerhalb der Verfassung“ bezeichnet. Auch Deycke weist auf die „umfangreichen Recherchen“ hin, auf die bisweilen auch der Verfassungsschutz zurückgreift.

Vergleiche zur RAF im Kontext von Lina E.

Erschreckend sind jedoch Morddrohungen aus der linken Szene wie vor zwei Jahren, als Vermummte in Leipzig einem Polizei-Chef drohten, bald im Kofferraum zu liegen – eine Anspielung auf den RAF-Mord an Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer 1977. Auch diese Rhetorik der Militanz ist für Deycke kein neues Phänomen. In Teilen der Linken habe es so etwas immer schon gegeben. Daraus könne man nicht auf die Handlungsebene schließen: „Und auf dieser gibt es keine Anzeichen dafür, dass sich etwas entwickelt, das mit der RAF vergleichbar wäre.“

Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) zieht dennoch weiter Vergleiche zur RAF. Nach dem Urteil gegen Lina E. (fünf Jahre und drei Monate Gefängnis, die sie erst nach ihrer Haftverschonung absitzen muss) kündigte er weitere Ermittlungen gegen die linke Szene an. So wurde am Donnerstag eine Wohnung in Leipzig-Connewitz durchsucht. Laut Generalbundesanwaltschaft gibt es einen Zusammenhang mit dem Fall um Lina E. (Matthias Lohr)

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