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"Das Tagebuch der Anne Frank": Faszinierend, aber erwartbar

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Es geht in diesem Film nicht nur um das harte Leben im Versteck - auch die Gefühlswelt der jugendlichen Anne Frank spielt eine große Rolle.
Es geht in diesem Film nicht nur um das harte Leben im Versteck - auch die Gefühlswelt der jugendlichen Anne Frank spielt eine große Rolle. © dpa

München - Hans Steinbichlers „Das Tagebuch der Anne Frank“ ist trotz toller Hauptdarstellerin selten mehr als ein Fernsehfilm. Der Film fasziniert an vielen Stellen, krankt aber an der Erwartbarkeit.

Der Blick ins Bücherregal verrät manchmal mehr über einen Menschen als dessen DNA. Da steht die Familie Frank in ihrem Versteck im Hinterhaus der Amsterdamer Prinsengracht 263 und lauscht im Radio den Meldungen der Alliierten. Deren Sieg über Nazi-Deutschland würde für die Untergetauchten das Ende ihrer Zeit auf jenen knapp 50 Quadratmetern bedeuten, die den acht jüdischen Menschen bis dato das Leben gerettet haben. Ruhig verharrt Bella Halbens Kamera auf der von Lea van Acken gespielten Anne Frank und fängt dabei im Regal hinter dem Mädchen den Rücken von Anne de Vries’ Roman „Hilde“ ein.

Es ist nicht belegt, ob es dieses Buch im Hinterhaus gegeben hat. Doch macht die Einstellung klar, wie wenig Regisseur Hans Steinbichler und sein Team bei ihrem Film „Das Tagebuch der Anne Frank“ dem Zufall überlassen haben. Der niederländische Autor de Vries, bei uns vor allem durch seine Kinderbibel bekannt, versteckte selbst Menschen vor den Nazis. In „Hilde“, 1939 erstmals erschienen, erzählt er von der schönen und eigenwilligen Tochter eines Landarbeiters.

Eigenwilligkeit der Anne Frank fasziniert

Anne Franks Eigenwilligkeit hat wiederum Steinbichler fasziniert. Zudem zeigt dieses Ausstattungsdetail, wie sehr der Filmemacher bemüht war, dem Zuschauer Verweise und Interpretationsansätze zu liefern, die über das Bekannte hinausgehen. Denn das Problem seiner Produktion ist ihre Erwartbarkeit. Wenn etwa die alliierten Bomber ihre tödliche Fracht über Amsterdam abwerfen, gelingt es Regie und Darstellern nur schwer, die Todesangst der Figuren zu vermitteln. Schließlich stirbt die Familie Frank nicht im Versteck, sondern in den Vernichtungslagern der Deutschen, nachdem das Hinterhaus verraten wurde. Nur Otto Frank überlebte und veröffentlichte nach dem Krieg das Tagebuch seiner Tochter.

Für dessen Verfilmung wählte Drehbuchautor Fred Breinersdorfer in seinem Skript die Außenperspektive: Wir begleiten Anne, die 1942 zu ihrem 13. Geburtstag ein Notizbuch geschenkt bekam, in den letzten Jahren ihres jungen Lebens. Durch diesen Wechsel der Blickrichtung kann der Film auch zeigen, wie es der Familie Frank nach dem letzten Eintrag ergangen sein könnte, den die 15-Jährige am 1. August 1944 notierte, drei Tage vor der Verhaftung.

Eintauchen in die Gefühlswelt des Mädchens

Passagen aus Annes Aufzeichnungen sind immer wieder als Off-Kommentare zu hören oder werden von Lea van Acken mit direktem Blick in die Kamera gesprochen. Es sind vor allem diese Szenen, die faszinieren. Hier scheint es, als solle der Zuschauer versinken im Gesicht der Hauptdarstellerin, um durch diese intensive Nähe einzutauchen in die Gedanken- und Gefühlswelt des Mädchens. Schade, dass Steinbichler und seine Kamerafrau nicht häufiger den Mut hatten, solche formalen Wagnisse einzugehen. Genau die hätte es aber gebraucht, wuchtet man eine derart etablierte Geschichte auf die Leinwand. So wirkt „Das Tagebuch der Anne Frank“ über weite Strecken wie ein Fernsehfilm – zwar gut gemacht, aber nicht zwingend fürs Kino.

Das ist umso bedauerlicher, weil Steinbichler ein überzeugendes Ensemble zur Verfügung stand. Mit van Acken hat der Regisseur zudem eine wunderbar wandelbare Hauptdarstellerin gefunden, die nicht nur das Spiel mit der Großaufnahme beherrscht, sondern die glaubhaft die Entwicklung ihrer Figur vom Backfisch zur frühreifen Jugendlichen nachzeichnet. Denn es geht in diesem Film eben nicht nur um das nervenzehrende, mehr als zwei Jahre währende Leben im Versteck, um die tägliche Todesgefahr und das Hoffen auf die Befreier. Vielmehr erzählt „Das Tagebuch der Anne Frank“ auch von einem Mädchen in der Pubertät, von den Problemen des Erwachsenwerdens, von den Sehnsüchten, Träumen und Sorgen einer jungen Frau, die bereits in jungen Jahren ihren eigenen Kopf hatte.

„Das Tagebuch der Anne Frank“

mit Lea van Acken, Ulrich Noethen, Martina Gedeck Regie: Hans Steinbichler Laufzeit: 128 Minuten

Annehmbar

Dieser Film könnte Ihnen gefallen, wenn Sie Anne Franks Tagebuch nicht selbst lesen wollen.

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