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"Seiltänzer der Poesie": Reinhard Mey begeisterte in der Lokhalle

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Nachdenklich: Reinhard Mey begeisterte mit seinen 71 Jahren. Foto: Jelinek
Nachdenklich: Reinhard Mey begeisterte mit seinen 71 Jahren. © Foto: Jelinek

Göttingen. Seit 50 Jahren textet und komponiert sich der Liedermacher Reinhard Mey  in die Herzen eines Publikums, das sich für gefühlvolle, kultivierte Musikpoesie begeistern lässt. Am Freitagabend trat Mey in der Göttinger Lokhalle auf.

In der ausverkauften Göttinger Lokhalle passierte genau das, was wohl auch an den anderen 59 Spielorten seiner aktuellen Deutschlandtournee mit dem Titel „Dann mach‘s gut“ passierte.

Als bescheidener, manchmal fast ins Devote abgleitender Gastgeber verzückte Mey die Menschen mit der Aura eines Künstlers, der das, was er auf einer Bühne macht, auch mit Leib und Seele lebt. Früher formulierte Kritik, er sei ein „nichtssagender Schnurrenerzähler“, ein „Fluchthelfer der Umweltverdrossenen“ oder gar ein „Heintje für geistig Höhergestellte“, verpufft in der Atmosphäre eines Konzertabends wie ein Streichholz im Hochofen. Es ist egal, ob Mey nun Schlager, Chanson oder Betroffenheitslyrik anbietet. Denn die Musik ist ehrlich, intim und intelligent. Und das sind Qualitäten, die man in einer Welt voller hirnloser Selbstdarsteller und Erfolgsmarionetten nicht abdrängen sollte. Es sind manchmal die leisen Töne, die für ein lautes Echo sorgen.

So will Mey seine Lieder verstanden wissen, ohne dass er sich permanent nach allen Seiten absichert. Er will ein Spielmann sein, ein Stelzenläufer, ein Seiltänzer und weiß genau, dass er damit auch ein Traumverkäufer ist. Aber er singt auch über die üblen Kapitäne, die auf dem Narrenschiff das Steuer an sich reißen und über Tiere, die in Fabriken produziert werden wie Kardanwellen für Autos.

Mey ist 71 Jahre alt und er blickt gern zurück. Auf die ersten Flugversuche von Otto Lillienthal, auf den Mantel seines Vaters und die Entwicklungsphasen seiner Kinder. Mit einem warmherzigen Schwung beschreibt er die Vergänglichkeit, wie sie im Hier und Jetzt spürbar wird und neue Perspektiven eröffnen kann.

Für ihn ist das Leben ein Fluss, auf dem man eine Zeit lang herumschippert. Irgendwann steigt man einfach aus. Ein immer noch berührendes „Über den Wolken“, ein verschmitztes „Das Taschentuch“ und der Abschied von seinem gestorbenen Sohn Max mit dem Titel „Lass’ nun ruhig los das Ruder“ gehörten zu den Höhepunkten eines Programms, das einen vitalen, nachdenklichen, aber auch heiteren Reinhard Mey in Bestform präsentierte. Großer Applaus.

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