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Landwirte als Aktivisten: „Wir wollen nicht aufhören“

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Blank geputzt und mit Lichterketten und Transparenten versehen: die Traktoren der beiden Landwirte Diana Bauer und Jürgen Schäfer auf deren Hof in Nesselröden. Das Paar nimmt an vielen der Demonsund Protestfahrten teil, um die Menschen und die Regierung wachzurütteln.
Blank geputzt und mit Lichterketten und Transparenten versehen: die Traktoren der beiden Landwirte Diana Bauer und Jürgen Schäfer auf deren Hof in Nesselröden. Das Paar nimmt an vielen der Demonsund Protestfahrten teil, um die Menschen und die Regierung wachzurütteln. © STEFANIE SALZMANN

Diana Bauer und Jürgen Schäfer führen eine Landwirtschaft in Nesselröden bei Herleshausen. Die beiden sind Landwirte mit Leidenschaft und inzwischen genauso leidenschaftliche, aber auch wütende Aktivisten der Bauernproteste.

Nesselröden – Schon vor zwei Jahren, als in den Niederlanden Bauernproteste das Land zeitweilig lahmlegten, hatte Diana Bauer (53) und ihr Lebensgefährte Jürgen Schäfer (58) zur Solidarität mit den Nachbarn aufgerufen und prophezeit, dass es auch für Deutschland nur noch eine Frage der Zeit ist, bis es den Bauern an den Kragen geht. Nun ist es aus ihrer Sicht soweit.

Im Betrieb ist außer Papierkram im Moment nicht viel zu tun, dafür aber auf der Straße. Das Paar ist mit seinen Schleppern auf jeder Bauerndemonstration dabei, die irgendwie mit den schweren Fahrzeugen erreichbar ist: Berlin, Kassel, Eisenach, Eschwege. “Jetzt reichts! Nicht mit uns“ steht auf Diana Bauers Traktor, „Das Volk und der Bauer Hand in Hand für eine bessere Zukunft in unserem Land“ ist auf dem von Jürgen Schäfer zu lesen. Dass Bevölkerung und Landwirte gemeinsam handeln, ist Schäfer wichtig. „Wir kämpfen nicht nur für die Existenz der Landwirte, sondern vor allem für die Zukunft der Verbraucher“, sagt er.

Beide sind in der Landwirtschaft groß geworden, Jürgen Schäfer hat den Hof von seinem Vater übernommen. Doch inzwischen macht sich neben der Wut und dem Gefühl der Machtlosigkeit und der Willkür der Regierung auch Verzweiflung breit, wie es überhaupt weitergehen soll und kann.

Das Paar bewirtschaftet konventionell 200 Hektar Land, davon sind 60 Hektar Grünland. Bis 2021 hatten sie 120 Milchkühe. Den Milchbetrieb haben sie aufgegeben, weil die immer neuen Haltungsanforderungen, die wie Pilze aus dem Boden schossen, immer unkalkulierbarer für den Betrieb wurden. Hinzu kam die Düngeverordnung und verordnete Flächenstilllegungen. Auch das Geschäft als Lohnunternehmer haben sie aufgegeben. „Unrentabel“, sagt der Landwirt. „Für die maximal 20 Tage, die die beiden Mähdrescher während der Ernte im Einsatz sind, müssten wir 2500 Euro Versicherung zahlen.“ Als Ackerbaubetrieb besitzen sie neben den beiden John-Deer-Mähdreschern noch acht Traktoren und diverse Zusatzanhänger. Mit dem Wegfall der Dieselrückvergütung und des grünen Kennzeichens kommen Zusatzkosten von rund 15 000 Euro im Jahr auf den Betrieb zu. Ihren Jahresgewinn aus dem Betrieb geben die beiden mit 40 000 bis 60 000 Euro an. Davon leben das berufstätige Paar, die Eltern von Diana Bauer und der Vater von Jürgen Schäfer, der zuhause auf dem Hof wohnt und gepflegt werden muss.

Fühlen sich von Regierung schlecht behandelt

Von der Regierung fühlen sie sich aus vielen Gründe schlecht behandelt. Diana Bauer nennt ein Beispiel: Seit vorigem Jahr haben nehmen sie an einem auf fünf Jahre angelegten Förderprogramm „Tierschonende Mahd“ teil, haben eigens für 60 000 Euro ein spezielles Mähwerk gekauft, das den Kreiselmäher ersetzt. Zugesagt war eine Summe von 110 Euro pro Hektar und Jahr. Nun bekamen sie kürzlich den Bescheid und aus 110 Euro waren rückwirkend kommentarlos 70 Euro geworden. „Das sind die Dinge, die mich rasend machen – dass sich keiner an sein Wort hält“, sagt Schäfer. „Da fällt jeder Plan wie ein Kartenhaus zusammen.“ Die Summe der Dinge sei es, die Rücknahme von Dieselrückerstattung und dem grünen Kennzeichen habe das „Fass nur zum Überlaufen“ gebracht. Das alles in der Summe stehe nicht jeder Betrieb durch. Es seien schon viele in die Knie gegangen, vor allem junge Betriebe mit hoher Kreditlast.

Für das Paar aus Nesselröden gäbe es zu allem Ungemach eine Alternative. Sie könnten das Land verpachten und künftig von den Pachteinnahmen leben. „Wir wollen aber nicht aufhören. Wir brennen für die Landwirtschaft“, sind sich Diana Bauer und Jürgen Schäfer einig. „Aber es muss was passieren.“ Dass die Regierung den Wegfall der Dieselrückvergütung nun über mehrer Jahre staffeln will, nennt Diana Bauer: „Sterben auf Raten“. Das Argument der Regierung, dass „jeder seinen Beitrag zum Sparen und zur Energiewende“ leisten muss, lässt den Landwirt in Rage geraten. „Wir tragen doch auch als Bürger wie alle anderen unseren Beitrag“, sagt er. „Am liebsten wären wir völlig unabhängig von Subventionen“, sagt Diana Bauer. „Dann müssen wir aber einen guten Preis für unsere Produkte bekommen.“

Auch die beiden wissen, dass die vielen aktuellen Sympathiebekundungen für die Bauern in Deutschland ja ganz schön sind. Aber wenn die Menschen nach dem Winken, Hupen und Daumenhoch trotzdem im Discounter einkehren, um dort zu kaufen, nützt alle Sympathie nichts. „Ohne funktionierende deutsche Landwirtschaft gibt es keinen Wohlstand und keinen Frieden.“ (Stefanie Salzmann)

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