1. Startseite
  2. Politik

Gustav Heinemann: Der Radikaldemokrat

KommentareDrucken

Gustav Heinemann, dritter Bundespräsident und der erste mit SPD-Parteibuch.
Gustav Heinemann, dritter Bundespräsident und der erste mit SPD-Parteibuch. © dpa

Nicht weniger, sondern mehr Demokratie“ - mit dieser Forderung trat Gustav Heinemann sein Amt am 1. Juli 1969 an. Zum Abschied bitte keinen Großen Zapfenstreich mit Tschingderassabum - so gab er es 1974 wieder ab.

Zwei Episoden bringen das Selbstverständnis des dritten Bundespräsidenten auf den Punkt: Nüchterner Pflichtmensch, aber auch Radikaldemokrat, dem Untertanengeist, Nationalismus und Militarismus nie geheuer waren. Unabhängiger Denker, der sich im Zweifel nicht von Parteitagsmehrheiten in die Pflicht nehmen ließ und Systemmängel im Nachkriegsdeutschland direkt ansprach.

Dass er Staatsgewalt nie mehr über bürgerliche Freiheitsrechte gestellt sehen wollte, spricht aus Heinemanns bekanntestem Zitat: „Ich liebe nicht den Staat, ich liebe meine Frau.“ Als Sohn eines Prokuristen der Krupp AG wurde Heinemann 1899 in Schwelm geboren. Sein Jurastudium führte ihn auch nach Göttingen.

Die Frau an seiner Seite

Hilda Heinemann Mit seiner Frau Hilda, die er 1926 heiratete, bekam Gustav Heinemann die Töchter Uta (1927), Christa (1928), deren Tochter Christina später Johannes Rau heiratete, Barbara (1933) und den Sohn Peter (1936). Hilda Heinemann, studierte Theologin, brachte ihren kirchenfernen Mann mit NS-kritischen protestantischen Kreisen zusammen: Bis 1955 war er erster Präsident im Rat der EKD. Während der Amtszeit ihres Mannes als Bundespräsident war sie Schirmherrin des Müttergenesungswerks, bei Amnesty Iinternational und beim Deutschen Frauenring. Hilda Heinemann starb 1979. (wrk)

Pickelhauben-Obrigkeit des Kaiserreichs und die Nazidiktatur ließen Heinemann auf Distanz gehen: Über seine Frau kam er im Dritten Reich zur Bekennenden Kirche, der protestantischen Oppositionsbewegung gegen die Gleichschaltung mit Hitlers „Deutschen Christen“.

Nach 1945 gehörte Heinemann zu den Mitbegründern der CDU. Er verließ sie 1952 wieder und gab schon 1950 als erster Bundesminister der jungen Bundesrepublik sein Amt als Innenressortchef zurück, weil der damalige Kanzler Konrad Adenauer die Wiederbewaffnung betrieb. 1957/58, nun SPD-Mitglied, zählte Heinemann zu den schärfsten Gegnern einer Atombewaffnung der Bundeswehr.

Die Wahl des damals 69-Jährigen zum ersten Bundespräsidenten mit SPD-Parteibuch war 1969 ein politisches Wetterleuchten. Das Ende der großen Koalition kündigte sich an, ab Herbst führte Willy Brandt als erster SPD-Nachkriegskanzler eine sozialliberale Regierungskoalition.

Heinemann verstand sich als Bürgerpräsident, für Konservative war er eher ein rotes Tuch: Zu Empfängen wurden neben Diplomaten erstmals auch Leute ohne Rang und Namen eingeladen. Heinemann äußerte Verständnis für das Aufbegehren der 68er-Generation, weil er „die freiheitliche Gesellschaft als eine Gesellschaft in Bewegung“ begriff.

Und er sagte noch mitten im Kalten Krieg Sätze wie: „Nicht der Krieg (...), sondern der Frieden ist der Ernstfall.“ Damit nahm er sich auch selbst in die Pflicht: Sein erster Auslandsbesuch galt den Niederlanden, deren Bevölkerung damals noch große Vorbehalte gegen die Deutschen hatte. Aus Alters- und Gesundheitsgründen verzichtete Heinemann 1974 auf eine Wiederwahl.

Am 7. Juli 1976 starb er in Essen. Den Staatsakt zur Beerdigung wollte er ohne Orden und Kränze, aber mit Kriegsblinden, Kriegerwitwen, Soldaten, Körperbehinderten und Gastarbeitern unter den Trauergästen.

Von Wolfgang Riek

Auch interessant

Kommentare