Der nachwachsende Trinkbecher : Datum:

Aus biologisch abbaubaren pflanzlichen Stoffen besteht das Outdoor-Porzellan aus Merseburg. Dort wo es hergestellt wird, soll eine regionale Wertschöpfungskette entstehen. So soll der Wandel des einstigen Braunkohlereviers Mitteldeutschland zur „Region der nachwachsenden Kunststoffe“ vorangetrieben werden.

Entlang der Herstellung dieses biologisch abbaubaren Trinkbechers aus Pflanzenresten entwickelt RUBIO eine regionale Wettschöpfungskette.
Entlang der Herstellung dieses biologisch abbaubaren Trinkbechers aus Pflanzenresten entwickelt RUBIO eine regionale Wettschöpfungskette. © PRpetuum GmbH

„Wir haben gerade die Veilchenfarbe ausprobiert“, Peter Putsch weist auf die ineinander gestapelten Trinkbecher von Hell- bis Dunkelviolett. Im Besprechungsraum der Exipnos GmbH in Merseburg stehen neben den Getränken diese Becher aus eigener Produktion. Deren Haptik überrascht, ist anders als bei einem Kunststoffbecher erwartet. Die Oberfläche fühlt sich hochwertiger an, und das Gefäß liegt etwas schwerer in der Hand. Als „Outdoor-Porzellan“ bezeichnet die Herstellerfirma ihre Becher. „Wenn da einer nach einem Picknick im Grünen vergessen wird, dann haben ihn die Mikroorganismen nach gewisser Zeit vollständig zersetzt“, sagt Peter Putsch. Denn das Outdoor-Porzellan ist aus biologisch abbaubaren pflanzlichen Reststoffen hergestellt. Hergestellt werden die Becher in Weiß, sowie in Grün-, Blau- undViolett-Tönen. Die dafür benötigten Farbstoffe werden aus natürlichen Mineralien gewonnen. Peter Putsch und gleichgesinnte Visionäre entwickeln rund um dieses Outdoor-Porzellan eine komplett in der Region verankerte Wertschöpfungskette– von den Rohstoffen bis zum Recycling. Sie wollen damit den Wandel des einstigen Braunkohlereviers Mitteldeutschland zur „Region der nachwachsenden Kunststoffe“ vorantreiben. Von ihrer Idee konnten die Akteure auch das Bundesforschungsministerium überzeugen. Das Ministerium unterstützt das Vorhaben mit Mitteln aus dem Förderprogramm „RUBIN – Regionale unternehmerische Bündnisse für Innovation“.

Eine Zufallserfindung

 Die Farben der Trinkbecher stammen aus in der Natur vorkommenden Mineralien.
Die Farben der Trinkbecher stammen aus in der Natur vorkommenden Mineralien. © PRpetuum GmbH

RUBIO heißt das Bündnis, das seinen Namen kurzerhand von RUBIN und BIO abgeleitet hat. RUBIO prangt auch in großen Lettern an der Hausfassade neben dem Exipnos-Logo. Der Trinkbecher ist zum RUBIO-Paradebeispiel geworden. Die einzelnen Forschungsprojekte sind an die Stationen seines Herstellungsprozesses geknüpft. Bei Exipnos laufen die Fäden zusammen. Von hier aus startete auch das RUBIN-Bündnis. Genauer gesagt: Peter Putsch ist der Impulsgeber. Der 61-Jährige entstammt dem Nürnberger Familienunternehmen Putsch GmbH mit dem Zusatz „Maschinen und Kunststoffe“ im Firmennamen. „Sowohl an Maschinen als auch an Kunststoffen muss permanent forschen, wer sich auf dem Markt behaupten will“, weiß der Unternehmer. Er ist selber ein leidenschaftlicher Tüftler. 2009 bündelte er seine Entwicklungsaktivitäten in der Exipnos GmbH und siedelte das Unternehmen in Sachsen-Anhalt an. Als wesentlichen Grund nennt er die besonders gute Zusammenarbeit mit den Instituten der Fraunhofer Gesellschaft.

Nicht von ungefähr ist Exipnos nach dem griechischen Wort für „intelligent“, „gescheit“ oder „clever“ benannt. Die Erfindung des Outdoor-Porzellans ist in diese Kategorie einzuordnen – und war doch ursprünglich nur Mittel für einen anderen Zweck. Um auf Messen vorzuführen, was eine neu entwickelte Spritzgießmaschine Tolles kann, wurde damit als erstes Produkt der Becher aus Bio-Kunststoff kreiert.

So richtig nachhaltig sei das Bio-Geschirr aber erst, wenn seine Ausgangsstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen der Region gewonnen werden – diese Überlegung des Unternehmers löste die RUBIO-Netzwerkarbeit aus.

Kunststoff aus Pflanzenresten

Polybutylensuccinat, kurz PBS, heißt der Bio-Kunststoff, um den sich bei RUBIO alles dreht. Dessen Ausgangsstoffe sind Bernsteinsäure und 1,4-Butandiol. Bei dem schönen Outdoor-Porzellan stammen diese beiden organischen Verbindungen noch zum Teil aus fossilen Rohstoffen, die zudem aus dem asiatischen Raum eingeführt werden müssen. „Das wollen wir ändern und die Bernsteinsäure wie auch das 1,4-Butandiol aus Glukose, also aus Zucker gewinnen“, sagt RUBIO-Leiter Putsch und betont: „Um das Bio-Polymer herzustellen, sollen keine Pflanzen extra angebaut, sondern Abfälle etwa aus Bio- und Zuckerraffinerien verwertet werden.“ Derzeit prüfen die Akteure, welche dieser Abfälle genau infrage kämen. Peter Putsch benennt als eine mögliche Glukose-Quelle altes Frittieröl, das in Raffinerien zum Beispiel zu Biodiesel recycelt wird.

Apropos Recycling: Wie überhaupt kann das biologisch abbaubare Bio-Polymer von den anderen Kunststoffen aus der gelben Tonne unterschieden werden? Auch damit beschäftige sich eine Forschungsgruppe, sagt Putsch. „Dem Bio-Polymer soll ein Stoff beigemischt werden, den die Infrarot-Prüfgeräte an den Sortierbändern eindeutig identifizieren können.“ Im Anschluss sei es technologisch unkompliziert, daraus wieder ein hochwertiges Granulat herzustellen.

Aus solch einem Granulat wird das BIO-Geschirr hergestellt. Künftig soll es gänzlich aus pflanzlichen Stoffen aus der Region hergestellt werden.
Aus solch einem Granulat wird das BIO-Geschirr hergestellt. Künftig soll es gänzlich aus pflanzlichen Stoffen aus der Region hergestellt werden. © PRpetuum GmbH

Der Trinkbecher ist aber nur eines von vielen denkbaren Produkten, die in Zukunft beim RUBIO-Bündnis entwickelt werden sollen. Die Rede ist von biologisch abbaubaren Campinggeschirr, Trinkflaschen für Fahrräder, Yogamatten oder sogar Outdoor-Kleidung. Für alle Ideen gilt gleichermaßen: Alles soll sich notfalls auflösen, wenn es versehentlich in der Landschaft liegen bleibt. Über mangelndes Interesse an dem biologisch abbaubarem Biokunststoff“ macht sich Peter Putsch keine Sorgen.

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