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Grau in Grau

DIE GRÜNEN und ihre Wähler
nach eineinhalb Jahrzehnten

 

Markus Klein / Kai Arzheimer

Erschienen in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 49, 1997, S. 650-673

Gliederung:

 

 

1. Einleitung und Problemstellung

2. Konkurrierende Erklärungen für die Alterseffekte
der Wahl der GRÜNEN

2.1 Die These der studentischen Protestgeneration

2.2 Die These von den akademischen Plebejern

2.3 Die These der generationalen Wasserscheide

2.4 Die Lebenszyklushypothese

2.5 Zusammenfassung

3. Die Entwicklung der GRÜNEN zwischen 1980 und 1996

3.1 Die Gründungsphase

3.2 Die Phase der ökosozialistischen Dominanz

3.3 Die Phase der Fundi-Realo-Kontroverse

3.4 Die Phase des „Grünen Aufbruchs"

3.5 Die Phase der einheitsbedingten Repolarisierung

3.6 Die Phase der realpolitischen Dominanz

4. Datenbasis

5. Die Entwicklung der Wählerschaft der GRÜNEN
zwischen 1980 und 1995

6. Die Determinanten der GRÜNEN-Wahl im
multivariaten empirischen Test
.

7. Zusammenfassung und Schlußfolgerungen.

 

 

 

Grau in Grau

DIE GRÜNEN und ihre Wähler nach eineinhalb Jahrzehnten

Markus Klein / Kai Arzheimer

 

1. Einleitung und Problemstellung

Die wahlsoziologische Forschung über die bundesdeutschen GRÜNEN hat Mitte der neunziger Jahre ein neuartiges Phänomen entdeckt: Das von Wilhelm Bürklin und Russel J. Dalton so genannte „Ergrauen der Grünen" (Bürklin/Dalton 1994). Diese Metapher hebt in der Intention ihrer Erfinder zunächst auf die Tatsache ab, daß das früher dominant jugendliche Elektorat der Grünen in den letzten Jahren deutlich gealtert ist. Bürklin und Dalton deuten dies als Generationseffekt und als Widerlegung der beiden ihrer Ansicht nach konkurrierenden Erklärungsansätze, der Lebenszyklus- und der Periodenhypothese (1994: 297). Bürklin und Dalton weisen gleichzeitig aber auch darauf hin, daß sich das programmatische Profil der grünen Partei selbst verändert habe (1994: 284). So sei es zu einem Wandel weg von radikal-systemoppositionellen Politikentwürfen hin zu eher pragmatisch-reformerischen Konzepten gekommen. Mann kann folglich davon sprechen, daß auch die grüne Partei selbst „ergraut" sei.

 

Bitte beachten Sie: Es handelt sich bei diesem Text nicht um die endgültige Druckfassung, sondern um ein Manuskript. Bitte zitieren Sie deshalb nur nach der gedruckten Fassung!

Dies wirft die Frage auf, inwieweit die programmatische Pragmatisierung der GRÜNEN womöglich eine notwendige Voraussetzung für ihren Einbruch in ältere Wählerschichten darstellte. Anders gewendet: Womöglich gab es doch lebenszyklische Etablierungseffekte bei den Wählerinnen und Wählern der GRÜNEN, die ceteris paribus zu einer Abwendung von ihrer Partei geführt hätten. Die GRÜNEN hätten dann durch die programmatische Akkomodation an den Einstellungswandel ihrer Anhängerschaft selbst erst die Voraussetzung ihres dauerhaften Erfolges geschaffen, und das Ergrauen der grünen Wähler müßte nicht notwendigerweise einen Generationseffekt reflektieren.

Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen besteht die Problemstellung der vorliegenden Studie darin, die Alterseffekte der Wahl der GRÜNEN unter gleichzeitiger Kontrolle des sich über die Zeit verändernden programmatischen Profils der grünen Partei empirisch zu untersuchen und außerdem etwaige Interaktionen zwischen beiden aufzudecken.

Gemäß dieses Anliegens gliedert sich der Aufsatz wie folgt: Zunächst werden die verschiedenen theoretischen Erklärungen für die Alterseffekte der Wahl der GRÜNEN vorgestellt (Kapitel 2). Im Anschluß daran werden wir skizzenartig die Entwicklung der grünen Partei nachzeichnen und anhand besonders hervorstechender Ereignisse in Phasen einteilen (Kapitel 3). Nach einer Deskription der verwendeten Umfragedaten (Kapitel 4) folgen schließlich die empirischen Analysen (Kapitel 5 und 6), die aufgrund der beschriebenen Problemstellung notwendigerweise eine Längsschnittperspektive aufweisen. Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich dabei über die Jahre 1980 bis 1996, also über die gesamte Geschichte der grünen Partei.

 

 

2. Konkurrierende Erklärungen für die Alterseffekte

der Wahl der GRÜNEN

Das Alter war lange Zeit die bei weitem erklärungskräftigste Determinante der Bereitschaft zur Wahl der GRÜNEN: Junge Menschen neigten ihnen in stark überdurchschnittlicher Weise zu. Damit unterschieden sich die GRÜNEN deutlich von den etablierten Parteien des bundesdeutschen Parteiensystems, deren Wählerschaften primär über ihre Schicht- bzw. Konfessionzugehörigkeit beschrieben werden konnten. Vor diesem Hintergrund wurden in der wahlsoziologischen Forschung vier konkurrierende Erklärungen für die Alterseffekte der Wahl der GRÜNEN diskutiert: Die These der studentischen Protestgeneration, die These der akademischen Plebejer sowie die These der generationalen Wasserscheide und die Lebenszyklushypothese.

2.1 Die These der studentischen Protestgeneration

Die These der studentischen Protestgeneration interpretierte die GRÜNEN als die parteipolitisch organisierte „Nachhut" der 1968er Studentenbewegung: Eine ganze Generation von Studenten sei während dieser historischen Phase in eine kritische Haltung zur bundesdeutschen Gesellschaft und ihren Institutionen hineinsozialisiert worden und habe diesen kritischen Impetus bis heute nicht abgelegt. Diese umgangssprachlich als „Alt-68er" titulierten Personen seien es folglich auch, die die Kernwählerschaft der grünen Partei darstellten (Hulsberg 1988; Stein/Ulrich 1991).

Für die Zukunftschancen der GRÜNEN ergab sich dementsprechend ein eher düsteres Szenario: Die Wähler der GRÜNEN würden zunehmend älter, während gleichzeitig die nach der Studentenbewegung sozialisierten Geburtskohorten keine besondere Affinität zu der grünen Partei aufwiesen. In sehr langfristiger Perspektive wäre folglich aufgrund der biologischen Dezimierung ihrer elektoralen Basis der Exitus der GRÜNEN unvermeidlich. Da aber die grüne Partei bis zum heutigen Tag bei den Jung- und Erstwählern überdurchschnittliche Stimmenanteile erzielen kann, steht diese Interpretation ganz offensichtlich im Widerspruch zur Empirie.

2.2 Die These von den akademischen Plebejern

Die These von den akademischen Plebejern interpretierte die GRÜNEN als den politischen „Arm einer negativ privilegierten Altersgruppe mit blockierten Aufstiegschancen" (Alber 1985: 219): Die Bildungsexpansion habe mit Beginn der achtziger Jahre zu einem starken Anwachsen der Zahl von Absolventen höherer Bildungseinrichtungen geführt, das zudem noch durch eine demographische Welle geburtenstarker Jahrgänge verstärkt worden sei. Diese junge, hochgebildete AltersgruppeAlterskohorte sei allerdings aufgrund der Finanzierungsprobleme der öffentlichen Haushalte und der damit verbundenen rückläufigen Einstellungszahlen im öffentlichen Dienst in ihren Aufstiegserwartungen weitgehend blockiert gewesen. Die Wählerschaft der GRÜNEN habe sich folglich aus den frustrierten Kindern der Bildungsrevolution rekrutiert, die lautstark den ihnen vermeintlich zustehenden sozialen Aufstieg einforderten.

Nach dieser Hypothese müßten die Grünen ihre soziale Basis aber sehr schnell wieder verloren haben: Die Mehrheit ihrer Anhänger wäre nach dem Ende der durch Bildungsexpansion, Baby-Boom und Ölpreiskrisen verursachten Mobilitätsblockade in die ihrer Qualifikation entsprechenden Positionen aufgerückt und hätte durch lebenszyklische Etablierungseffekte zunehmend konservativere Einstellungen erworben. Bei ansonsten konstanten Bedingungen müßte die Partei deshalb einem „inevitable decline" (Bürklin 1987) unterliegen. Da dieser bis Mitte der neunziger Jahre offensichtlich nicht eingetreten ist, kann auch dieser Erklärungsansatz als empirisch widerlegt gelten.

2.3 Die These der generationalen Wasserscheide

Die These der generationalen Wasserscheide unterscheidet sich von der oben vorgestellten These der studentischen Protestgeneration dadurch, daß sie die Bereitschaft zur Wahl der GRÜNEN nicht auf eine einzelne Generationseinheit beschränkt sieht, sondern allen nachwachsenden Generationen eine erhöhte Affinität zur Wahl der grünen Partei unterstellt.

Ihre theoretische Grundlage findet diese These in der von Ronald Inglehart formulierten Theorie der „Silent Revolution" (vgl. Inglehart 1971, 1977, 1989; Abramson/Inglehart 1995). Diese geht davon aus, daß sich in den westlichen Industrienationen aufgrund der langanhaltenden Phase wirtschaftlicher Prosperität und militärischer Sicherheit, die sich an den Zweiten Weltkrieg anschloß, ein über die Generationensukzession vermittelter Wandel politischer Wertprioritäten weg vom Materialismus hin zum Postmaterialismus vollzogen habe. Diese Ausbreitung postmaterialistischer Werte hätte dazu geführt, daß verstärkt die Themen der „Neuen Politik", wie z.B. der Umweltschutz und die Gleichberechtigung der Geschlechter, auf die politische Agenda gesetzt worden seien (Baker/Dalton/Hildebrandt 1981). Es sei folglich ein neuer Werte-Cleavage entstanden, der die politische Auseinandersetzung in postindustriellen Gesellschaften in zunehmendem Maße bestimmt habe. Die Themen der Neuen Politk seien in der politischen Arena von den etablierten Parteien aber nicht hinreichend vertreten worden, so daß sich linkslibertäre Parteien wie die GRÜNEN herausgebildet hätten. Im Ergebnis hätte sich ein Realigment vollzogen, d.h. eine parteipolitische Neuzuordnung der Wähler: Die jungen, hochgebildeten Wählergruppen hätten sich von der SPD ab- und den GRÜNEN zugewandt.

Eine etwas anders gelagerte Begründung für die These der generationalen Wasserscheide läßt sich außerdem aus funktionalistischen Erklärungsansätzen ableiten. Diese Ansätze argumentieren, daß sich in modernen Industriegesellschaften im Zuge des sozialen Wandels immer größere Freiräume für idealistische politische Einstellungen und Verhaltensweisen herausgebildet hätten: In dieser theoretischen Perspektive werden die Wahlerfolge linkslibertärer Parteien mit dem Wachstum des tertiären Sektors insbesondere aber mit der starken Ausweitung des öffentlichen Dienstes seit Anfang der siebziger Jahre in Verbindung gebracht (vgl. Kitschelt 1989, 1994, 1995). Personen in einem derartigen beruflichen Umfeld seien anderen Normen und Sachgesetzmäßigkeiten ausgesetzt als einem strengen ökonomischen Leistungs- und Rationalitätskalkül und würden deshalb auch verstärkt idealistischen Politikkonzepten zuneigen. Dies gelte insbesondere für Berufe in Bildung und Wissenschaft, sowie für soziale, sozialpflegerische und kulturelle Berufe. Da die Zahl der in solchen Berufsfeldern beschäftigten Personen erst in den letzten Jahrzehnten eine nennenswerte Quantität erreicht hat, läßt sich aus diesem Theorieansatz - unter der Annahme, daß keine allzu große berufliche Mobilität zwischen den Sektoren bestand und folglich vorwiegend Berufsanfänger von dem Wachstum dieser Beschäftigungsfelder profitierten - ebenfalls die These der „generationalen Wasserscheide" herleiten.

Die Zukunftschancen der GRÜNEN stellen sich im Lichte dieser Hypothese sehr positiv dar: Da alle nachwachsenden Generationseinheiten eine erhöhte Bereitschaft zur Wahl der GRÜNEN aufweisen und diese Bereitschaft als im individuellen Lebensverlauf stabil angenommen wird, können die GRÜNEN mit einem stabilen und darüber hinaus stetig wachsenden Wählerpotential rechnen.

2.4 Die Lebenszyklushypothese

Die Lebenszyklushypothese steht im Kontext der sog. „aging-conservatism-thesis" (Bürklin 1987: 188) und besagt in ihrem Kern, daß die Menschen in Anpassung an sich im Lebensverlauf verändernde Rollenanforderungen ihre politischen Einstellungen verändern und zwar dahingehend, daß sie den idealistischen Elan der Jugend ablegen und verstärkt pragmatisch-realistische Vorstellungen herausbilden. Sogenannte „kritische Lebensereignisse", die zu einem Einstellungswandel führten, seien insbesondere das Ende der schulischen bzw. universitären Ausbildung, der darauf folgende Eintritt in das Erwerbsleben, die Heirat, die Geburt des ersten Kindes, der Auszug des letzten Kindes aus dem elterlichen Haushalt sowie der Eintritt in den Ruhestand. Die so abgegrenzten Lebensphasen zeichneten sich vor allem durch ein unterschiedlich starkes Maß an sozialer Verantwortung und durch eine unterschiedlich starke Integration in das bestehende Gesellschaftssystem aus. Diese beiden Charakteristika der verschiedenen Phasen des Lebenszyklus folgten dabei dem Muster sozialer Zentralität, d.h., daß in den mittleren Altersgruppen die soziale Verantwortung und die Integration in das bestehende Gesellschaftssystem am größten ist, während die jüngeren und die älteren Altersgruppen sich durch ein eher geringes Maß an sozialer Verantwortung und gesellschaftlicher Integration auszeichnen. Erstere stellten daher die Kerngruppe der Realisten dar, während letztere eher idealistischen Werten zuneigten. Die GRÜNEN sind in dieser theoretischen Perspektive vorrangig die Partei der nicht etablierten Jugend, ihr politischer Idealismus sei dementsprechend auch als „Überbauphänomen gesellschaftlicher Nicht-Etabliertheit" (Bürklin 1984: 11f) zu verstehen. Das idealistische Politikangebot der GRÜNEN werde demnach vorrangig von Personen präferiert, die im etablierten System der politischen Interessenvermittlung, das primär nach ökonomischen Kriterien organisiert ist, strukturell benachteiligt sind und daher stärker auf eine „wertrational-idealistische Begründung des Verteilungsanspruchs" (ebd.) und der politischen Herrschaft drängen.

Das aus dieser Hypothese ableitbare Szenario für die Zukunft der GRÜNEN ist eher undramatisch: Zwar können die GRÜNEN dauerhaft mit den Stimmen der jungen, beruflich und sozial nicht etablierten Wähler rechnen, doch wenden sich diese mit ihrer Etablierung von den GRÜNEN ab. Dies impliziert, daß der Stimmenanteil der GRÜNEN über die Zeit zwar relativ stabil ist, aber in Zukunft auch keine dramatischen Zuwächse mehr zu erwarten sind.

2.5 Zusammenfassung

Die Hypothese der studentischen Protestgeneration und die Hypothese von den akademischen Plebejern können bereits an dieser Stelle als empirisch widerlegt gelten. Der Fokus der vorliegenden Studie richtet sich dementsprechend auf die Hypothese von der generationalen Wasserscheide und die Lebenszyklushypothese. Das von Bürklin und Dalton beschriebene Ergrauen der grünen Wähler scheint dabei zunächst für die Hypothese von der generationalen Wasserscheide zu sprechen. Dies gilt aber nur, wenn man unterstelltvon der Annahme ausgeht, daß das programmatische Angebot der GRÜNEN an ihre Wähler über die Zeit konstant geblieben ist. Geht man hingegen von der realistischeren Annahme aus, daß sich das programmatische Profil der GRÜNEN in den letzten Jahren deutlich gemäßigt hat, dann ist das Ergrauen der grünen Wählerschaft auch mit der Lebenszyklushypothese in Einklang zu bringen: Die GRÜNEN hätten dann erst durch ihren programmatischen Wandel für ältere Wahlberechtigte an Attraktivität gewonnen. Im folgenden Kapitel soll daher die programmatische Entwicklung der grünen Partei einer genaueren Betrachtung unterzogen werden.

 

 

3. Die Entwicklung der GRÜNEN zwischen 1980 und 1996

DIE GRÜNEN blicken Mitte der neunziger Jahre auf eine sehr wechselhafte Geschichte zurück: Ihr programmatisches und personelles Profil hat sich in den letzen Jahren wie bei kaum einer anderen Partei verändert. Im folgenden soll daher versucht werden, die Geschichte der GRÜNEN skizzenartig nachzuzeichnen und anhand bestimmter hervorstechender Ereignisse in Phasen einzuteilen. Diesem Vorgehen liegt die Annahme zugrunde, daß die öffentliche Wahrnehmung des programmatischen Profils der GRÜNEN weniger von parteiinternen Programmdiskussionen denn von massenmedial vermittelten Konflikten um Personen und bestimmte besonders markante Streitfragen abhängig ist (die folgende Darstellung stützt sich im wesentlichen auf Kleinert 1992 sowie auf Murphy/Roth 1987 und Veen/Hoffmann 1992).

3.1 Die Gründungsphase

Die Bundespartei „DIE GRÜNEN" wurden am 13. Januar 1980 in Karlsruhe gegründet. Vorausgegangen war bereits Ende der siebziger Jahre die Gründung Grüner Listen in verschiedenen Bundesländern sowie der „Sonstigen Politischen Vereinigung (SPV) DIE GRÜNEN", die bei der Europawahl vom 10. Juni 1979 3,2% der Stimmen erringen konnte. Von Anfang an waren bei den GRÜNEN sehr unterschiedliche Gruppen aktiv: Neben den zunächst dominierenden bürgerlich-wertkonservativen Ökologen um Herbert Gruhl, Baldur Springmann und Wolf-Dieter Hasenclever, die aus der Grünen Aktion Zukunft (GAZ) und der Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher (AUD) herstammten, engagierten sich sehr früh auch Exponenten der Neuen Linken wie Rainer Trampert, Jürgen Reents und Thomas Ebermann, die ihre politische Heimat vormals eher in der linksradikalen Sektenkultur der siebziger Jahre hatten. Bereits auf dem Gründungskongreß in Karlsruhe kam es zu heftigen Kontroversen zwischen den beiden Gruppen: Zwar erklärte Wolf-Dieter Hasenclever in seiner Eröffnungsrede, die GRÜNEN seien keine Melonenpartei, außen grün und innen rot, doch konnten die Linksalternativen, die vor dem Parteitag in großer Zahl der SPV DIE GRÜNEN beigetreten waren, aus der durch Umgründung die Bundespartei DIE GRÜNEN hervorging, bereits auf diesem Kongreß deutlich Boden gut machen. So konnten sie verhindern, daß in die Satzungspräambel eine Absage an alle „revolutionären Strategien" sowie eine Verortung der GRÜNEN „jenseits aller traditionellen Ideologien" aufgenommen wurde. Die von der bürgerlich-ökologischen Gruppe intendierte Abgrenzung der GRÜNEN von den Überbleibseln der K-Gruppen war somit bereits an diesem Punkt gescheitert. Auf dem Programmkongreß der GRÜNEN Ende März 1980 kamen dann in allen wichtigen Fragen die Linken zum Erfolg. Die endgültige Niederlage erlitt die bürgerliche Faktion innerhalb der GRÜNEN schließlich auf der Dortmunder Bundesversammlung vom 21./22. Juni 1980: Herbert Gruhl, der für das Amt eines der drei Sprecher der GRÜNEN kandidierte, wurde nicht gewählt. Zwar trat Gruhl erst Anfang 1981 aus der Grünen Partei aus und seine Gegengründung, die Ökologisch Demokratische Partei (ÖDP), konstitutierte sich erst am 10. Oktober 1981, doch begann mit dem Dortmunder Parteitag der Rückzug der konservativ-ökologischen Kräfte aus der Partei.

3.2 Die Phase der ökosozialistischen Dominanz

Seit Dortmund war nun die ökosozialistische Parteilinke auf dem Vormarsch, die die ökologische Frage primär als Ausfluß der kapitalistischen Produktionsverhältnisse sah und nach einer neuen Verbindung von Ökologie und Systemfrage suchte. Im November 1982 wurde in Hagen mit Rainer Trampert einer der herausragendsten Exponenten dieses Flügels zu einem der drei Sprecher der Bundespartei gewählt, der Bundesvorstand der GRÜNEN war durch Ökosozialisten dominiert.

In dieser Phase ihrer Geschichte trafen die GRÜNEN auf für sie sehr günstige politische Bedingungen, so daß die innerparteilichen Machtkämpfe und -verhältnisse von der Öffentlichkeit nur bedingt wahrgenommen wurden: Im Oktober 1981 begannen die großen Friedensdemonstrationen gegen den NATO-Doppelbeschluß vom Dezember 1979 sowie die Kontroverse um die Frankfurter Startbahn-West. Die Neuen Sozialen Bewegungen, als deren parlamentarischer Repräsentant sich die seit der Bundestagswahl vom 6. März 1983 auch im Bundestag vertretenen GRÜNEN verstanden, bestimmte bis in den Spätsommer 1983 hinein das politische Leben der Bundesrepublik. Mit der Entscheidung des Bundestages zur Stationierung der Pershing-Raketen vom 22. November 1983 fand allerdings auch die Friedensbewegung ihr Ende.

3.3 Die Phase der Fundi-Realo-Kontroverse

Die Phase der ökosozialistischen Dominanz endete mit dem 1. Oktober 1983: An diesem Tag beschlossen die hessischen GRÜNEN auf ihrer Landesversammlung in Marbach-Petersberg, ohne alle Vorbedingungen Verhandlungen mit der SPD über eine parlamentarische Zusammenarbeit im hessischen Landtag aufzunehmen. Mit dieser Entscheidung entstand eine neue innerparteiliche Spannungslinie, die quer zu der vormals dominierenden Links-Rechts-Achse, also dem Konflikt zwischen Ökosozialisten und bürgerlichen Ökologen, verlief: „Wohl hatte die Partei in ihrer Gesamtheit eine politisch-programmatische Linkswendung durchgemacht. Gleichzeitig erhielten aber jetzt habituelle Unterschiede und verschiedene strategische Politikoptionen eine wachsende Rolle bei den innerparteilichen Flügelbildungen" (Kleinert 1992: 111). Dieser Strömungsdualismus zwischen Fundis und Realos sollte das Bild der Partei auf Jahre hinaus prägen.

Die Realos standen hierbei für einen verantwortungsethisch motivierten ökologischen Reformismus, der die Spielregeln der parlamentarischen Mehrheitsdemokratie akzeptiert und eine praktische Politik der kleinen Schritte anstrebt. Koalitions- und Regierungsbeteiligungen der GRÜNEN schlossen die Realos nicht aus. Die Fundis hingegen beharrten auf einer gesinnungsethischen Fundamentalopposition der GRÜNEN gegenüber „dem System" und den es tragenden politischen Parteien. Jede Form des „kompromißlerischen Sich-Einlassens auf parlamentarische Bündnispolitik oder gar Regierungsbeteiligungen" (Kleinert 1992: 112) lehnten die Fundis strikt ab. In dieser systemoppositionellen Anti-Haltung traf sich die Gruppe der vormals dominierenden Ökosozialisten mit den Radikalökologen um Jutta Ditfurth und Jan Kuhnert, die am Rande der hessischen Landesversammlung in Marbach-Petersberg das „Radikalökologische Forum" gründeten.

In dieser Phase der Geschichte der GRÜNEN dominierten auf Bundesebene deutlich die Fundis: Auf der Bundesversammlung in Hamburg am 7.12.1984 wurden mit Jutta Ditfurth, Rainer Trampert und Lukas Beckmann drei exponierte Vertreter dieser Strömung zu Sprechern der Bundespartei gewählt. Jutta Ditfurth hatte dieses Amt bis Ende 1988 inne, Trampert und Beckmann wurden Anfang Mai 1987 durch Christian Schmidt und Regina Michalik ersetzt -ebenfalls ausgewiesene Vertreter des fundamentalistischen Flüges der Partei- die dann wie Ditfurth bis Ende 1988 amtierten. Die Realos hatten ihre Hochburg im hessischen Landesverband, der von Joschka Fischer, Hubert Kleinert und Daniel Cohn-Bendit dominiert wurde: Die grüne Fraktion im hessischen Landtag wählte am 4.6.1984 im Rahmen eines Tolerierungsbündnisses Holger Börner zum hessischen Ministerpräsidenten, am 27.10.1985 stimmte die hessische Landesversammlung -nachdem das Tolerierungsbündnis Anfang Dezember 1984 gescheitert war- einer rot-grünen Koalition zu. Joschka Fischer wurde am 12.12.1985 hessischer Umweltminister. Die Kontroverse zwischen hessischen Realos und den auf Bundesebene dominierenden Fundis nahm in der Folgezeit an Schärfe zu.

Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl am 28.4.1986 und der Bruch des rot-grünen Bündnisses in Hessen im Februar 1987 führt zu einer weitere Verschiebung der innerparteilichen Gewichte zugunsten des fundamentalistischen Flügels der Partei. Auf der Duisburger Bundesversammlung im Mai 1987 kames inhaltlich und personell zum „Durchmarsch der Fundis". In Reaktion darauf trafen sich Himmelfahrt 1987 mehr als 200 grüne Realos in Frankfurt und gaben die Parole aus, nunmehr müsse der „Kampf um die Partei" (Kleinert 1992: 233) aufgenommen werden.

3.4 Die Phase des „Grünen Aufbruchs"

Zu diesem Zeitpunkt, da die innerparteilichen Strömungskämpfe ihren Höhepunkt erreichten und die Spaltung der Partei drohte, konstituierte sich Anfang Januar 1988 um Antje Vollmer, Ralf Fücks und Christa Nickels die Gruppe „Aufbruch 88". Diese Gruppe nahm für sich in Anspruch, die Basis der Partei zu repäsentieren und zwischen Fundis und Realos angesiedelt zu sein. Die Aufbruch-Gruppe trat dafür ein, die Entscheidung über den künftigen Kurs der GRÜNEN über einen Mitgliederentscheid klären zu lassen, da aus ihrer Sicht die grünen Parteitage von einer Überrepräsentanz der Radikalen und der Parteitagsregie der Fundis im Bundesvorstand geprägt seien.

Auch sonst kommt Bewegung in die innerparteiliche Debatte: Hubert Kleinert äußert Ostern 1988 in einem Interview mit dem STERN, Aufgabe der GRÜNEN sei nicht die Überwindung des Kapitalismus sondern vielmehr dessen Ökologisierung, während Joschka Fischer in verschiedenen Interviews die Zukunft der GRÜNEN als die einer „ökologischen FDP" beschreibt und die Öffnung zu den neuen Mittelschichten fordert. Im Entwurf eines Realo-Manifests für einen grünen Perspektivenkongreß formuliert eine Autorengruppe um Kleinert und Fischer, Ansprechpartner der GRÜNEN sei der „städtisch liberale, an seinen individuellen Lebensentwürfen zuerst orientierte konsumfreudige Citoyen, der zugleich gegen Atomkraft und ökologischen Wahnsinn nicht nur protestiert, ebenso wie er den ausgegrenzten und von neuer Armut betroffenen Minderheiten sich verpflichtet weiß" (zit. nach Veen/Hoffmann 1992: 69).

Am Rande des Perspektivenkongresses der GRÜNEN im Juni 1988 gründet sich schließlich um Ludger Volmer, Eckart Stratmann und Jürgen Reents die Gruppe „Linkes Forum", die sich von den traditionellen ökosozialistischen und dogmatisch-marxistischen Vorstellungen absetzt und grüne Koalitions- und Regierungsbeteiligungen nicht prinzipiell ablehnt. In dieser Phase ihrer Geschichte waren die GRÜNEN folglich tatsächlich im „Aufbruch": Das innerparteiliche Machtgefüge kam in Bewegung und auch programmatisch wurden einige alte Zöpfe abgeschnitten. In der öffentlichen Wahrnehmung trat der fundamentalistische Flügel der Partei immer mehr in den Hintergrund. Als schließlich im Sommer 1988 der Bundesvorstand der GRÜNEN durch einen Finanzskandal um nichtabgeführte Sozialversicherungsbeiträge ins politische Abseits geriet und Anfang Dezember 1988 auf dem Parteitag in Karlsruhe den drei 3 Sprechern der Bundespartei das Mißtrauen ausgesprochen wurde, war die fundamentalistische Dominanz im Bund erstmals gebrochen. In einer Grundsatzrede vor dem Deutschen Bundestag erklärte die damalige Fraktionsprecherin der GRÜNEN Antje Vollmer, bei der Bundestagswahl 1990 gehe es um die Ablösung der Regierung Kohl durch eine rot-grüne Reformmehrheit. Die Realos hatten sich, so schien es, durchgesetzt.

3.5 Die Phase der einheitsbedingten Repolarisierung

Mit dem Fall der Mauer am 9. November 1989 kam es allerdings zu einer neuen Polarisierung bei den GRÜNEN: Der Umbruch der politischen Landschaft durch die revolutionären Umwälzungen im Osten, die Auseinandersetzung um die Einheit oder die Zweistaatlichkeit Deutschlands, die Entstehung der PDS als neuer linker Konkurrenz im Parteiensystem, das von Jürgen Reents in die Diskussion gebrachte „Linksbündnis" mit der PDS und der bevorstehende Zusammenschluß mit dem ostdeutschen Bündnis 90, das sich primär als Bürgerrechtspartei verstand, all das führte dazu, daß sich nach Überwindung der Trennungslinie zwischen Fundis und Realos die „Konfliktlinien jetzt wieder mehr entlang ideologischer Grundsatzkontroversen" (Kleinert 1992: 385) organisierten. Zwar verließen bereits im Frühjahr 1990 die führenden Ökosozialisten Thomas Ebermann und Rainer Trampert die Partei, doch wurden die Parteitage der GRÜNEN in Hagen (Osten 1990), Dortmund (Juni 1990) und Neumünster (April 1991) von erbitterten Auseinandersetzungen zwischen den Parteiflügeln bestimmt. Die Niederlage bei der Bundestagswahl 1990 schien diese Konflikte zunächst noch weiter anzuheizen.

3.6 Die Phase der realpolitischen Dominanz

Zwei Tage nach der verlorenen Bundestagswahl forderten am 4.12.1990 Antje Vollmer und Joschka Fischer anläßlich eines gemeinsamen Auftritts vor der Bundespressekonferenz einen politischen und strukturellen Neuanfang der GRÜNEN. Zunächst sah es allerdings -insbesondere auf dem Parteitag von Neumünster- nicht so aus, als ob dieser gelingen könnte. Hilfe nahte dann im Mai 1991 von unerwarteter Seite: Unter Führung von Jutta Ditfurth spalten sich 300 Radikalökologen von den GRÜNEN ab und gründen die „Ökologische Linke". Mit dem Abgang von Jutta Ditfurth verband sich letztlich jenes Signal, das nach der verlorenen Bundestagswahl von vielen erwartet worden war, die Partei aus sich heraus aber nicht zustandegebracht hatte: „Anscheinend waren die GRÜNEN jetzt doch zur kalkulierbaren politischen Größe im Konzert des parteipolitischen Kräftespiels geworden" (Kleinert 1992: 432). Das realpolitische Profil der GRÜNEN gewann in der Folgezeit sehr schnell an Kontur: Am 11.12.1991 wurde in Bremen die erste Ampelkoalition in der Geschichte der Bundesrepublik geschlossen, nachdem bereits am 5. April Joschka Fischer zum zweiten Mal hessischer Umweltminister und nunmehr auch stellvertretender hessischer Ministerpräsident geworden war. Nach der Landtagswahl in Baden-Württemberg am 4. April 1992 nannte Ministerpräsident Teufel die GRÜNEN als eine der Parteien, mit der er über mögliche Koalitionen verhandeln wolle; die Möglichkeit schwarz-grüner Koalitionen wurden in den nächsten Wochen zum Medien-Hit. Nicht zuletzt dies hat deutlich gemacht: „Die GRÜNEN sind .. zum Bestandteil des normalen parlamentarischen Spiels um Mehrheiten geworden" (Kleinert 1992: 448).

 

 

4. Datenbasis

Die nachfolgend berichteten empirischen Analysen der Wählerschaft der GRÜNEN zwischen 1980 und 1996 beruhen auf der Auswertung zweier unterschiedlicher Umfragereihen: Zunächst wurden die Politbarometer der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen ausgewertet. Diese haben den Vorteil, daß sie allmonatlich erhoben werden und dadurch eine kontinuierliche und lückenlose Beschreibung der Entwicklung der Wählerschaft der GRÜNEN ermöglichen. Um die stichprobenbedingten Zufallsschwankungen bei der Auswertung dieser Daten zu verkleinern, haben wir die Umfragen jeweils quartalsweise zusammengefaßt. Darüber hinaus haben wir die auf dieser Grundlage berechneten Zeitreihen anschließend mittels eines dreigliedrigen gleitenden Mittelwertes geglättet, da wir weniger an der kurzfristigen Volatilität im Wahlverhalten, alsdenn an mittel- und langfristigen Veränderungen in der Struktur der GRÜNEN-Wähler interessiert sind.

Problematisch an den Politbarometer-Umfragen ist die Tatsache, daß das Erhebungsverfahren im August 1988 von mündlichen auf telefonische Interviews umgestellt wurde, so daß die Zeitreihe durch einen Methodeneffekt kontaminiert ist. Dies wiegt besonders schwer, weilals die Umstellung des Erhebungsformates in eine derjenigen Entwicklungsphasen der grünen Partei fällt, für die wir theoretisch bedeutsame Strukturveränderungen der Wählerschaft erwarten würden, nämlich in die Phase des „Grünen Aufbruchs". Darüber hinaus zeigen die von der Forschungsgruppe Wahlen veröffentlichten Untersuchungen über die Auswirkungen der Umstellung des Erhebungsverfahrens auf die Zusammensetzung der Stichprobe, daß gerade junge, hochgebildete und im tertiären Sektor tätige Menschen über telefonische Interviews besonders gut erreicht werden können (Jung 1990: 399-402). All diese Merkmale stehen aber in einem deutlichen Zusammenhang zur Bereitschaft, die GRÜNEN zu wählen, so daß hinsichtlich unserer Forschungsfrage Verzerrungen zu erwarten sind, auch wenn die Forschungsgruppe Wahlen selbst keine signifikante Differenz des Stimmenanteils der GRÜNEN zwischen mündlichen und telefonischen Befragungen feststellen kann (Jung 1990: 406-408). Dies mag damit zusammenhängen, daß Menschen in Einpersonenhaushalten via telefonischer Befragungen schlechter erreicht werden können (Jung 1990: 399-402), so daß sich die verzerrenden Effekte letztlich womöglich wechselseitig aufheben. Um zumindest die altersmäßige Verzerrung der Stichprobe zu korrigieren, haben wir die Daten bei der Auswertung mittels des personenbezogenen Repräsentativgewichts gewichtet.

Zur externen Validierung unserer Analyseergebnisse haben wir außerdem die ALLBUS-Zeitreihe ausgewertet. Die ALLBUS-Umfragen wurde durchgängig über mündliche Interviews erhoben, so daß bei der Analyse dieser Daten Methodeneffekte ausgeschlossen werden können. Als Nachteil dieser Umfragen sind ihre relativ weit auseinanderliegenden Erhebungszeitpunkte (i.d.R. 2 Jahre) sowie -verglichen mit dem Politbarometer- relativ geringen Fallzahlen zu nennen. Ihr wesentlicher Vorteil besteht in der hervoragenden Datenqualität und der Vielfalt der verfügbaren Indikatoren.

 

5. Die Entwicklung der Wählerschaft der GRÜNEN
zwischen 1980 und 1995

In Abb. 2 ist die Entwicklung der Wahlbereitschaft zugunsten der GRÜNEN abgetragen, wobei außerdem die in Kapitel 3 entwickelte Phaseneinteilung durch vertikale gestrichelte Linien markiert wurde. Auffällig ist zunächst der starke Anstieg des grünen Stimmenanteils in der Phase der ökosozialistischen Dominanz (II). Dieser Anstieg muß wohl in erster Linie mit dem Aufkommen der Friedensbewegung in Zusammenhang gebracht werden, die in den Jahren 1981 bis 1983 das politische Klima der Bundesrepublik Deutschland maßgeblich bestimmte. In der Phase der Fundi-Realo-Kontroverse (III) kommt es zu einer gewissen Stagnation der Wahlbereitschaft für die GRÜNEN, wobei allerdings unschwer zwei Gipfelpunkte auszumachen sind: Einer Mitte/Ende 1984, ein zweiter Anfang/Mitte 1986. Ersterer deckt sich mit dem Tolerierungsbündnis zwischen den hessischen GRÜNEN und der dortigen SPD, letzterer koinzidiert sowohl mit dem Beginn der ersten rot-grünen Koalition in Hessen als später auch mit der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. In der Phase des grünen Aufbruchs (IV) erlebt der Stimmenanteil der GRÜNEN einen deutlichen Aufschwung, um dann aber in der Phase der einheitsbedingten Repolarisierung (V) wieder abzufallen. Mit dem Beginn der realpolitischen Dominanz allerdings steigen die Anteile der GRÜNEN wieder stark an, um sich dann seit 1993 auf einem Niveau von ca. 10 Prozent einzupendeln. Bei aller gebotenen Vorsicht: Es scheint, als ob sich die innerparteiliche Befriedung und programmatische Pragmatisierung der GRÜNEN positiv auf deren Wahlchancen ausgewirkt habe.

 

Abb. 2: Die Entwicklung des Stimmenanteils der Grünen
(Bundesrepublik Deutschland, alte Bundesländer 1980-1995)

Datenbasis: Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen 1980-1995 (quartalsweise)
Anmerkung: Eintragungen sind dreigliedrige gleitende Mittel

 

Ein weiteres Indiz für eine solche Interpretation ist auch die Entwicklung der Sympathie zugunsten der GRÜNEN: Wie Abb. 3 zeigt, waren die GRÜNEN bis Anfang 1988 knapp 40% der Bevölkerung unsympathisch, während nur ca. 10% sie sympathisch fanden. Erst in der Phase des „Grünen Aufbruchs" (IV) sinken die Antipathien deutlich ab, während die Sympathien ebenso deutlich ansteigen. Diese Entwicklung stagniert während der Phase der einheitsbedingten Repolarisierung (V) und setzt sich erst während der Phase der realpolitischen Dominanz (VI) fort: Im Jahr 1995 schließlich empfindet knapp ein Drittel der Bevölkerung Sympathie für die GRÜNEN, während nur noch knapp 20% ihnen Antipathien entgegenbringen. Der Prozeß der Pragmatisierung der GRÜNEN hat folglich deutliche Spuren in ihrer Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit hinterlassen.

 

Abb. 3: Die Entwicklung der Sympathie für die Grünen unter den
Grün-Wählern und dem Rest der Bevölkerung
(Bundesrepublik Deutschland, alte Bundesländer 1980-1995)

Datenbasis: Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen 1980-1995 (quartalsweise)
Anmerkung: Eintragungen sind der Prozentanteil in der jeweiligen Gruppe, der den
Grünen auf einer von -5 bis +5 reichenden Sympathieskala mindestens
einen Wert von +3 zuweist (mit Sympathie) oder aber einen Wert kleiner
als -3 (Antipathie) . Die Werte wurden anschließend über einen
dreigliedrigen gleitenden Mittelwert geglättet.

 

Der Kern unseres theoretischen Arguments bezog sich aber auf einen vermuteten Zusammenhang zwischen der Bereitschaft der verschiedenen Altersgruppen, die GRÜNEN zu wählen und deren konkreten Politikangeboten: Wir gingen dabei davon aus, daß das Ergrauen der Wählerschaft der GRÜNEN womöglich auf die programmatische Pragmatisierung der grünen Partei im Laufe ihrer Geschichte zurückgeführt werden könne. In Abb. 4 haben wir deshalb die Entwicklung der altersmäßigen Zusammensetzung des grünen Elektorates über die letzten 15 Jahre abgetragen. Sollte unsere Annahme zutreffend sein, so müßte es in den verschiedenen Phasen zu deutlichen Verschiebungen in der Altersstruktur der Wählerschaft der GRÜNEN kommen. Die Hypothese der generationalen Wasserscheide hingegen würde über die Zeit einen kontinuierlichen Anstieg des Anteils der älteren Altersgruppen erwarten lassen, bei gleichzeitigem Rückgang des Anteils der Jungwähler.

Betrachtet man die in Abb. 4 dokumentierte Entwicklung der Alterstruktur des grünen Elektorates, so spricht einige empirische Evidenz für einen Zusammenhang zwischen der Bereitschaft der verschiedenen Altersgruppen, die GRÜNEN zu wählen, und deren konkreten Politikangeboten. So ist die Alterstruktur bis weit in die achtziger Jahre hinein weitgehend stabil und erst mit Beginn der Phase des grünen Aufbruchs (IV) ist ein deutlicher Strukturbruch zu erkennen: Der Anteil der 18-24 Jährigen an der Wählerschaft der GRÜNEN geht deutlich zurück, während gleichzeitig der Anteil der 25-34 Jährigen und der Anteil der 35-49 Jährigen ansteigt. Diese Entwicklung stagniert während der Phase der einheitsbedingten Repolarisierung (V) und setzt sich erst in der Phase der realpolitischen Dominanz (VI) fort. Jetzt steigt auch der Anteil der über 50 Jährigen deutlich an. Ende 1995 ist knapp die Hälfte der potentiellen Wählerinnen und Wähler der GRÜNEN über 35 Jahre alt, während dieser Anteil noch Ende 1988 nur knapp über 20 Prozent betrug. Das Ergrauen der grünen Wähler scheint folglich weniger dem generationalen Wandel zuzuschreiben zu sein, denn dem Ergrauen der grünen Partei.

 

 

 

 

Abb. 4: Die Entwicklung der altersmäßigen Zusammensetzung
der Wähler der Grünen
(Bundesrepublik Deutschland, alte Bundesländer 1980-1995)

Datenbasis: Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen 1980-1995 (quartalsweise)
Anmerkung: Eintragungen sind dreigliedrige gleitende Mittel

 

Dreht man nun in einem weiteren Schritt die Perspektive um und betrachtet nicht mehr dem Anteil der verschiedenen Altersgruppen an den Wählern der GRÜNEN, sondern richtet den Blick auf die Bereitschaft zur Wahl der GRÜNEN in den verschiedenen Altersgruppen, so wird unsere These ebenfalls bestätigt: Wie die obere Hälfte von Abb. 5 zeigt, steigt die Bereitschaft der 35-49 Jährigen, die GRÜNEN zu wählen, in der Phase des Grünen Aufbruchs (IV) deutlich an, um während der sich anschließenden Repolarisierungsphase (V) wieder abzusinken und dann in der Phase der realpolitischen Dominanz (VI) auf ein beinahe dreimal so hohes Niveau anzusteigen. Auch die Bereitschaft der über 50 Jährigen, grün zu wählen, steigt in dieser letzten Phase deutlich an. Die Affinität der jüngsten Altersgruppe zu den GRÜNEN sinkt bis Ende 1991 deutlich ab, um dann wieder merklich anzusteigen. Auch die jüngste Altersgruppe scheint folglich die Befriedung und Pragmatisierung der GRÜNEN elektoral zu honorieren.

In der unteren Hälfte von Abb. 5 ist darüber hinaus die Bereitschaft zur GRÜNEN-Wahl in den verschiedenen Altersgruppen in Prozent des durchschnittlichen Stimmenanteils der GRÜNEN in der Bevölkerung abgetragen. Dadurch werden die durch die kurzfristige Volatilität bedingten Niveaueffekte kompensiert und die Struktur der Altersabhängigkeit der GRÜNEN-Wahl tritt deutlicher zu Tage. Es zeigt sich, daß -beginnend mit der Phase des Grünen Aufbruchs- die Affinität der verschiedenen Altersgruppen zu den GRÜNEN einem deutlichen Angleichungsprozeß unterliegt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Abb. 5: Die Entwicklung der Grünen-Wahlabsicht in den
verschiedenen Altersgruppen
(Bundesrepublik Deutschland, alte Bundesländer 1980-1995)

In Prozent des durchschnittlichen Stimmenanteils in der Bevölkerung

Datenbasis: Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen 1980-1995 (quartalsweise)
Anmerkung: Eintragungen sind dreigliedrige gleitende Mittel

 

6. Die Determinanten der GRÜNEN-Wahl im
multivariaten empirischen Test
.

Die bislang berichteten Analysen können insofern nicht völlig zufriedenstellen, als sie keine stringente empirische Beweisführung darstellen, sondern eher eine Anhäufung von Evidenzen. Darüber hinaus konnten im Rahmen des bisherigen Vorgehens die beschriebenen Verzerrungen durch die Umstellung des Erhebungsverfahrens nicht angemessen statistisch kontrolliert werden. Im folgenden soll daher auf der Grundlage der kumulierten ALLBUS-Umfragen 1980-1996 ein log-lineares Modell geschätzt werden, dasß alle theoretisch relevanten Einflußfaktoren enthält und unter wechselseitiger Kontrolle deren Effektstärken bestimmt. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf möglichen Interaktionen zwischen den verschiedenen Prädiktoren. Da der ALLBUS durchgängig mittels Face-to-Face Umfragen erhoben wurde, treten keine Methodeneffekte auf. Die aus der Umstellung der Stichprobenziehung im Jahre 1994 resultierenden Verzerrungen können problemlos durch die im ALLBUS enthaltene Transformationsgewichtung korrigiert werden (vgl. ALLBUS-Codebuch 1980-94, S.13-16).

Vor der multivariaten Analyse wurden aber zur externen Validierung der bislang berichteten empirischen Befunde zunächst die in den beiden Abbildungen 4 und 5 dokumentierten Analysen der Altersabhängigkeit der GRÜNEN-Wahl auf der Grundlage der ALLBUS-Datensätze repliziert (vgl. Abbildungen A1 und A2 im Anhang). Dabei zeigen sich weitgehend übereinstimmende Strukturen, wenn man einmal davon absieht, daß die Veränderungen in der Phase des „grünen Aufbruchs" in den ALLBUS-Daten weniger dramatisch ausfallen als auf der Grundlage der Politbarometer-Daten. Hier mag sich der verschiedentlich erwähnte Methodeneffekt niederschlagen. Außerdem muß angemerkt werden, daß der ALLBUS 88, der die einzige Erhebung während der Phase des grünen Aufbruchs darstellt, zwischen April und Juli 1988 erhoben wurde, die Strukturveränderungen des grünen Elektorates, die über die Politbarometer-Zeitreihe angezeigt werden, aber erst Ende 1988 einsetzen, so daß es auch aus diesem Grund zu Abweichungen kommen mag. Übereinstimmend zeigen aber beide Datensätze die deutlichen Struktuveränderungen der Wählerschaft der GRÜNEN, die sich in der Phase der realpolitischen Dominanz vollziehen. Hier können methodisch bedingte Verzerrungen keine Rolle spielen.

Die von uns im folgenden berichteten log-linearen Modelle ermöglichen die Analyse der Abhängigkeitsstrukturen kategorialer Daten (vgl. einführend Knoke/Burke 1980). Sie sind daher für die im Rahmen unserer inhaltlichen Fragestellung relevanten Variablen besonders geeignet, zumal log-lineare Modelle außerdem problemlos die Schätzung von Interaktionseffekten ermöglichen. Gleichwohl sind bei der Anwendung log-linearer Modelle aber einige Besonderheiten zu beachten: So sollte die zu analysierende Kontingenztabelle im Verhältnis zur Stichprobengröße nicht übermäßig viele Zellen enthalten, da sonst die Gefahr besteht, daß viele Zellen unbesetzt bleiben bzw. nur mit wenigen Fällen besetzt sind. Unter diesen Umständen würden allerdings die Annahmen des c 2-Tests so massiv verletzt, daß die berechneten Werte für Pearson’s c 2 und das Likelihood Ratio-c 2 zur Beurteilung der Modellgüte nicht mehr geeignet sind. (vgl. Langeheine et al. 1996). Um die Anzahl der Zellen, die sich aus der multiplikativen Verknüpfung der Zahl der Levels aller Faktoren ergibt, nicht allzu groß werden zu lassen, haben wir deshalb die von uns analysierten Variablen auf möglichst wenige Ausprägungen reduziert. Darüber hinaus haben wir darauf verzichtet, die Variable Generationszugehörigkeit als Variable in die Analyse miteinzubeziehen, da bei gleichzeitiger Analyse der Altersgruppe und der Generationszugehörigkeit viele strukturell leere Zellen entstehen.

In die Analyse einbezogen haben wir letztlich die folgenden Variablen: Die abhängige Variable stellt die Wahlbereitschaft zugunsten der GRÜNEN dar, als unabhängige Variablen dienen das Alter, die Wertorientierung (operationalisiert als Einstufung auf dem einfachen Inglehartindex) und die formale Bildung der Befragungsperson sowie das programmatische Profil der GRÜNEN zum Zeitpunkt der Durchführung des Interviews, indiziert über die Entwicklungsphase. Die Variablen wurden wie folgt kategorisiert: Das Alter der Befragten wurde auf die Kategorien jünger bzw. älter als 35 Jahre reduziert. Die Variable Bildung repräsentiert den Kontrast zwischen Personen mit Hauptschulabschluß und den Personen mit höheren Schulabschlüssen. Beim Inglehart-Index wurden Postmaterialisten und postmaterialistische Mischtypen einerseits, materialistische Mischtypen und Materialisten andererseits zusammengefaßt. Außerdem wurden die ersten drei der oben diskutierten Phasen (Gründungsphase, ökosozialistische und Fundi-Realo-Kontroverse) zu einer einzigen Periode zusammengefaßt, da sich in diesen Phasen im Rahmen der bisherigen empirischen Analysen keine erkennbaren Effekte gezeigt haben. Die resultierende fünfdimensionale Kreuztabelle hat insgesamt 64 Zellen, von denen keine einzige unbesetzt ist.

In welchem Zusammenhang stehen nun diese Variablen mit den oben diskutierten Hypothesen? Das Alter dient als Indikator für die zunehmende Übernahme sozialer und beruflicher Verantwortungsrollen, die gemäß der Lebenszyklushypothese eine ideologische Mäßigung und damit Abwendung von den GRÜNEN bewirken sollte. Die Hypothese der generationalen Wasserscheide erfassen wir über die beiden Indikatoren Postmaterialismus und Bildung: Wir machen uns hierbei die Tatsache zunutze, daß gemäß dieser Hypothese nicht der generationale Wandel an sich mit der Steigerung der Wahlbereitschaft zugunsten der GRÜNEN in Zusammenhang gebracht wird, sondern daß diese Steigerung über die Ausbreitung postmaterialistischer Wertorientierungen und hoher formaler Bildung vermittelt ist. Die Bedeutung des Postmaterialismus im Rahmen der Theorie der Silent Revolution ist selbstevident, die Rolle der formalen Bildung für den funktionalistischen Erklärungsansatz besteht darin, daß humanzentrierte Berufe im tertiären Sektor in besonders hohem Maße von Menschen mit höheren Bildungsabschlüssen ausgeübt werden. Wir können somit die Hypothese von der generationalen Wasserscheide testen, ohne explizit die Generationszugehörigkeit in das Modell miteinzubeziehen: Sollte sich ein starker Zusammenhang zwischen dem Postmaterialismus bzw. der Bildung und der Wahl der GRÜNEN zeigen, so würde dies für die Hypothese von der generationalen Wasserscheide sprechen, da sich beide Faktoren über die Generationensukzession auszubreiten scheinen (vgl. Tab. 1-3).

 

Tab. 1: Die generationale Zusammensetzung der ALLBUS-Stichproben

 

Entwicklungsphase der GRÜNEN

Geburtskohorte

I

II

III

IV

V

VI

-1918

19

15

11

8

6

4

1918-1935

31

30

27

24

24

21

1936-1951

30

31

32

29

29

28

1952-1967

21

24

30

32

32

33

1968-

-

-

1

8

9

14

 

100

100

100

100

100

100

Tab. 2: Der Anteil der Hochgebildeten in verschiedenen Geburtskohorten

 

Entwicklungsphase der GRÜNEN

Geburtskohorte

I

II

III

IV

V

VI

-1918

26

22

24

22

27

29

1918-1935

28

27

31

25

31

29

1936-1951

38

36

39

40

43

40

1952-1967

52

55

61

61

68

60

1968-

-

-

62

67

72

72

Alle

35

36

42

43

49

48

Tab. 3: Der Anteil der Postmaterialisten in verschiedenen Geburtskohorten

 

Entwicklungsphase der GRÜNEN

Geburtskohorte

I

II

III

IV

V

VI

-1918

16

10

18

21

24

21

1918-1935

24

31

32

34

41

33

1936-1951

37

34

49

51

54

53

1952-1967

49

51

62

65

73

65

1968-

-

-

68

72

69

66

Alle

31

31

45

51

57

53

 

Ausgangspunkt unserer log-linearen Analysen ist das Modell (0), das nur die Beziehungen der unabhängigen Variablen untereinander enthält, also unterstellt, daß kein systematischer Zusammenhang zwischen der Wahl der Grünen und den unabhängigen Variablen besteht. Diese Modell haben wir in einem ersten Schritt um die Haupteffekte der erklärenden Variablen Alter, Postmaterialismus, formaler Bildung sowie der programmatischen Phase auf die Wahl der Grünen erweitert. Dieses Modell (1) weicht jedoch signifikant von den empirischen Daten ab, muß also um Interaktionseffekte ergänzt werden. Vor unserem theoretischen Hintergrund ist hier in erster Linie an Interaktionen zwischen den Effekten von Bildung, Alter und Postmaterialismus und der programmatischen Phase zu denken. Inhaltlich repräsentierten solche Interaktionsterme Schwankungen in der Wirkung eines Haupteffektes auf die Wahl der Grünen, die sich durch die jeweilige programmatische Phase erklären lassen. Durch die Erweiterung um eine Interaktion zwischen Bildung und Phase (Modell (3)) oder Postmaterialismus und Phase (Modell (4)) ergibt sich (auf dem 5%-Niveau) keine signifikante Verbesserung des Modells: Bei einem Verlust von drei Freiheitsgraden müßte das LR-c 2 dazu um mindestens 7,8 zurückgehen, was es jedoch -wie Tab. 4 zeigt- in beiden Fällen nicht tut. Dementsprechend bleibt auch der Fit des Modells inakzeptabel.

Modell (2) jedoch, das eine Interaktion zwischen dem Alter und der Phase enthält, stellt gegenüber dem Ausgangsmodell, dessen LR-c 2-Wert um den Betrag von 48 reduziert wird, eine eindeutige Verbesserung dar und erreicht einen guten Fit. Wird dieses Modell um eine der beiden anderen Interaktionen mit der Phase (Modelle (5) und (6)) oder sogar um beide Terme (Modell (8)) ergänzt, so resultiert daraus keine signifkante Verbesserung mehr, und die Anpassungsgüte sinkt.

 

Tab. 4: Verschiedene log-lineare Modelle im Vergleich

 

   

Pearson

 

LR

 
  Modell

c 2

p

 

c 2

p

df

(0)

(Grü) (Alter *Bildung*Postmat*Phase)

1703

,000

 

1874

,000

31

(1)

Modell (0) + (Grü*Alter)(Grü*Bildung)(Grü*Postmat)(Grü*Phase)

77

,000

 

80

,000

25

(2)

Modell (1) + (Grü*Alter*Phase)

31

,098

 

32

,077

22

(3)

Modell (1) + (Grü*Bildung*Phase)

73

,000

 

73

,000

22

(4)

Modell (1) + (Grü*Postmat*Phase)

76

,000

 

78

,000

22

(5)

Modell (1) + (Grü*Alter*Phase)(Grü*Bildung*Phase)

28

,086

 

29

,068

19

(6)

Modell (1) + (Grü*Alter*Phase)(Grü*Postmat*Phase)

29

,065

 

30

,054

19

(7)

Modell (1) + (Grü*Bildung*Phase)(Grü*Postmat*Phase)

71

,000

 

71

,000

19

(8)

Modell (7) + (Grü*Alter*Phase)

25

,062

 

26

,051

16

 

Wenden wir uns deshalb der Interpretation von Modell (2) zu, das vorerst als angemessenste Repräsentation der Daten gelten kann. Die Aussage von Tabelle 5, in der die zu diesem Modell gehörenden Effektkoeffizienten dokumentiert sind, läßt sich am besten an einem Beispiel verdeutlichen: Die logarithmierten Odds für die Wahl der Grünen durch einen jungen, hochgebildeten Postmaterialisten in der realpolitischen Phase werden vom Modell auf

-2,474+0,626+0,603+0,325+0,319-0,298=-0,899

geschätzt. Macht man die Logarithmierung rückgängig, so ergeben sich die odds als e-0,899=0,407=1/2,457. Die log-odds für einen älteren, niedriggebildeten Materialisten in dieser Phase berechnen sich zu

-2,474-0,626-0,603-0,325+0,319+0,298=-3,411.

Das entspricht odds von e-3,411=0,033=1/30,296. Rechnet man diese odds in Wahrscheinlichkeiten um, so resultiert daraus für das erste Beispiel eine Wahrscheinlichkeit von rund 29%, daß die betreffende Person die Grünen wählt. Im zweiten Fall hingegen beträgt die geschätzte Wahrscheinlichkeit nur etwa 3%.

Vergleicht man die b -Werte untereinander, dann zeigt sich, daß im betrachteten Zeitraum das Lebensalter und die Einstufung auf dem Inglehart-Index die bei weitem größte Bedeutung haben: Die Eigenschaft, älter als 35 Jahre zu sein, reduziert die Wahrscheinlichkeit, die Grünen zu wählen, die Einstufung als Postmaterialist oder postmaterialistischer Mischtyp hebt sie in etwa gleichem Umfang. Eine hohe formale Bildung erhöht ebenfalls die Chancen, daß ein Befragter die Grünen wählt,; der relative Einfluß der Bildung ist jedoch deutlich geringer.

Bei der Betrachtung der Parameter für die programmatischen Phasen zeigt sich, daß die Wahlchancen der Grünen über alle Alters*Bildungs*Wertetyp-Gruppen hinweg in der Zeit des „Grünen Aufbruchs" deutlich niedriger liegen als im Mittel des betrachteten Zeitraums, während sie in der Phase der realpolitischen Dominanz über alle Gruppen hinweg überdurchschnittlich hoch sind. In den anderen Phasen treten keine signifikanten Effekte auf.

Dies scheint zunächst im Widerspruch zu den auf der Grundlage der Politbarometer-Daten erzielten Befunde zu stehen. Dort hatten wir gesehen, daß die Partei in der Zeit des „Grünen Aufbruchs" einen Aufschwung erlebte und bereits in dieser Periode der Anteil der älteren Wahlberechtigten an den Wählern der GRÜNEN deutlich angestiegen ist. Die etwas anders gelagerten Befunde bei der Analyse der ALLBUS-Daten können auf die oben bereits erwähnte Tatsache zurückgeführt werden, daß der ALLBUS 88 nur die Anfangsmonate der Phase des „Grünen Aufbruchs" abdeckt. Während dieser Anfangsmonate aber haben die innerparteilichen Konflikte durch die Entstehung neuer innerparteilicher Gruppierungen und die damit verbundene stärkere Faktionalisierung der grünen Partei noch an Schärfe zugenommen. Erst im Laufe der darauffolgenden Monate wurde der innerparteiliche Bedeutungsverlust der Fundis erkennbar. Vor diesem Hintergrund sind die eben berichteten empirischen Befunde zu beurteilen.

Von besonderer Bedeutung für unsere Argumentation schließlich sind die beiden signifikanten Interaktionseffekte, die nach ihrer Stärke den Parametern für die höheren Bildungsabschlüsse und für den Effekt der realpolitischen Phase vergleichbar sind. Das negative Vorzeichen des ersten Koeffizienten ist dahingehend zu interpretieren, daß die negativen Effekte des Alters und der „Aufbruch"-Phase in dieser Zeit nochmals überhöht wurden. Dies bedeutet, daß für ältere Menschen in der Anfangsphase des „Grünen Aufbruchs" eine noch geringere Wahlabsicht zugunsten der Grünen geschätzt wird, als dies durch das additive Zusammenwirken beider Faktoren zu erwarten wäre. Umgekehrt kann das positive Vorzeichen des zweiten Parameters so verstanden werden, daß sich in der realpolitischen Phase, in der die Grünen ohnehin in allen Gruppen zulegen können, der negative Effekt des höheren Lebensalters auf die Wahl der Grünen substantiell abschwächt, die Grünen also auch für eine Altersgruppe wählbar(er) werden, in der sie sich bisher schwer getan haben.

 

Tab. 5: Effektkoeffizienten b des log-linearen Modells (2)

   

b

z

Konstante   -2,474** -64,71
Alter Jünger als 35 Jahre 0,626** 17,84
  35 Jahre und älter -0,626** -17,84
Postmat Materialist oder materialistischer Mischtyp -0,603** -19,91
  Postmaterialist oder postmaterialistischer Mischtyp 0,603** 19,91
Bildung Hauptschulabschluß -0,325** -11,68
  Realschulabschluß und höher 0,325** 11,68
Phase Phasen I bis III 0,014 0,33
  Grüner Aufbruch (Phase IV) -0,289** -3,67
  Einheitsbedingte Repolarisierung (Phase V) -0,045 -0,70
  Realpolitische Dominanz (Phase VI) 0,319** 7,12
Phase * Alter Phasen I bis III und 35 Jahre und älter 0,031 0,69
  Grüner Aufbruch und 35 Jahre und älter -0,300** -3,81
  Einheitsbedingte Repolarisierung und 35 Jahre und älter -0,030 -0,46
  Realpolitische Dominanz und 35 Jahre und älter 0,298** 6,67

 

 

7. Zusammenfassung und Schlußfolgerungen.

Die Wählerschaft der GRÜNEN ist, wie Bürklin und Dalton (1994) dies so treffend formulieren, in den letzten Jahren deutlich „ergraut". Daneben ist aber auch die grüne Partei selbst „grauer" geworden: Die ökosozialistischen, radikalökologischen und fundamentalistischen Kräfte haben innerhalb der Partei nahezu jeden innerparteilichen Einfluß verloren. Vor diesem Hintergrund stellten wir uns in diesem Beitrag die Frage, ob das Ergrauen der grünen Wähler womöglich primär das Ergrauen der grünen Partei reflektiert und nicht -wie Bürklin und Dalton dies annehmen- das Ergebnis eines Kohorteneffektes darstellt.

Die Antwort auf diese Frage muß vor dem Hintergrund unserer empirischen Befunde differenziert ausfallen. So sind generationenspezifische Mechanismen der GRÜNEN-Wahl durchaus präsent: Sowohl Postmaterialismus als auch hohe formale Bildung stehen über den ganzen betrachteten Zeitraum hinweg in einem deutlichen Zusammenhang zur Wahl der Grünen. Da sich beide Einflußgrößen über die Generationensukzession ausbreiten, sollten die GRÜNEN vom generationalen Wandel elektoral profitieren. Daneben sind gleichzeitig aber auch lebenszyklische Mechanismen wirksam: Das Alter weist -auch bei gleichzeitiger Kontrolle von Bildung und Postmaterialismus- einen deutlichen negativen Effekt auf die Bereitschaft zur Wahl der GRÜNEN auf. Dieser Effekt schwächt sich allerdings in der Phase der realpolitischen Dominanz signifikant ab: Den GRÜNEN gelingt es nun, auch bei älteren Wahlberechtigten nennenswerte Stimmenanteile zu erzielen. Darüber hinaus weist die Phase der realpolitischen Dominanz aber auch einen positiven Effekt auf alle anderen Wahlberechtigten auf.

Den GRÜNEN ist folglich -ob intendiert oder nicht- eine strategische Meisterleistung gelungen: Im Zuge ihres programmatischen Wandels haben sie für die gesamte Wahlbevölkerung, insbesondere aber für die älteren Wahlberechtigten, deutlich an Attraktivität gewonnen. Gleichzeitig ist der programmatische Wandel der grünen Partei aber nicht so weit gegangen, als daß ihre bisherige Wählerklientel ihnen in nennenswertem Umfang den Rücken gekehrt hätte: Die Zusammenhänge zum Postmaterialismus und zur hohen formalen Bildung sind in allen Entwicklungsphasen der GRÜNEN stark und stabil; zudem verharren die Stimmenanteile in den jüngeren Altersgruppen auch weiterhin auf relativ hohem Niveau. So präsentieren sich die GRÜNEN und ihre Wähler Mitte der neunziger Jahre zwar durchaus grau in grau, doch ist dies keinesfalls als Zeichen von Erstarrung oder Niedergang zu werten, sondern vielmehr als das Ergebnis einer gelungenen Neupositionierung der GRÜNEN im politischen Markt.

 

 

 

 

 

Anhang:

Abb. A1: Die Entwicklung der altersmäßigen Zusammensetzung
der Wähler der Grünen
(Bundesrepublik Deutschland, alte Bundesländer 1980-1996)

Datenbasis: ALLBUS 1980-1996

 

 

 

Abb. A2: Die Entwicklung der Grünen-Wahlabsicht in den
verschiedenen Altersgruppen
(Bundesrepublik Deutschland, alte Bundesländer 1980-1996)

In Prozent des durchschnittlichen Stimmenanteils in der Bevölkerung

Datenbasis: ALLBUS 1980-1996

 

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