Ankündigung der niederländischen Regierung

Niederlande wollen aktive Sterbehilfe bei Kleinkindern erlauben

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Die Niederlande wollen aktive Sterbehilfe auf unheilbar kranke Kinder ausweiten. Patientenschützer warnen vor schleichender Gewöhnung: Statt Einsamen und Kranken Hilfen anzubieten, werde die Tötung zur Normalität.

Von Anfang an gab es Warnungen vor einer "schiefen Ebene". Als die Niederlande 2002 als erstes Land weltweit die aktive Sterbehilfe legalisierten, äußerten Kritiker Befürchtungen vor einer schleichenden Normalisierung bei der Tötung kranker und lebensmüder Menschen.

Der Trend ist seither eindeutig: Nicht nur, dass Belgien im selben Jahr nachzog und Luxemburg 2009 folgte. Selbst das katholisch geprägte Spanien hat 2021 sowohl aktive Sterbehilfe als auch Beihilfe zum Suizid erlaubt. Auch in Portugal und Frankreich sind Initiativen zur Legalisierung der "Euthanasie" weit gediehen.

Hemmschwelle gesunken

Auch innerhalb der Niederlande haben sich Grenzen weiter verschoben. Die Tötung auf Verlangen ist längst kein Tabu mehr. 2021 kamen 7.666 Menschen durch aktive Hilfe von Ärzten zu Tode. Das sind rund zehn Prozent mehr als 2020 und 4,5 Prozent aller Todesfälle.

Die Hemmschwelle zur Tötung ist deutlich gesunken. Es habe nur wenige Jahre gedauert, bis sich aus der anfangs "extremen Ausnahme" eine "normale Sterbeweise" entwickelt habe, so Kritiker.

Auch die Diagnosen haben sich ausgeweitet: So ist laut Gesetz aktive Sterbehilfe nur bei schweren, unheilbaren und unerträglichen Krankheiten zugelassen. Inzwischen akzeptieren Ärzte jedoch auch "Lebensmüdigkeit" oder eine Vielzahl an Altersgebrechen als Grund.

Ausweitung auf Kleinkinder

Wenn bestimmte Bedingungen eingehalten werden, darf in den Niederlanden seit 2005 auch Neugeborenen, die mit einer Fehlbildung zur Welt gekommen sind, das Leben genommen werden. Laut einem Urteil des Obersten Gerichtshofs von 2020 ist die Tötung von schwer dementen Patienten sogar dann zulässig, wenn sie zuvor eine entsprechende Patientenverfügung formuliert haben, sich vor der unmittelbar anstehenden Tötung jedoch gegen eine Hilfe zum Sterben wehren.

Vor wenigen Tagen hat die Regierung in Den Haag einen weiteren Schritt angekündigt - eine Ausweitung der aktiven Sterbehilfe auf Kleinkinder. Laut niederländischem Innenministerium betrifft die Regelung eine "kleine Gruppe" von fünf bis zehn Kindern unter zwölf Jahren pro Jahr, "bei denen die Möglichkeiten der Palliativmedizin nicht ausreichen, um ihr Leiden zu lindern". Damit folgt das Land seinem Nachbarn Belgien, wo eine ähnliche Regelung seit 2014 gilt. Für die Neuregelung ist keine Zustimmung des Parlaments erforderlich.

Sterbehilfe für Minderjährige

Bereits jetzt können Kinder, die älter als zwölf Jahre sind, in den Niederlanden Sterbehilfe beantragen. Bis zum Alter von 16 Jahren ist die Zustimmung der Eltern erforderlich.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz sieht Warnungen vor einer schleichenden Gewöhnung an aktive Sterbehilfe damit als bestätigt an. "Die Niederlande zeigen mit diesem Schritt, dass sich eine Gesellschaft mit der organisierten Tötung von Menschen arrangieren kann", sagte Vorstand Eugen Brysch der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Reaktion aus Deutschland

"Der gesellschaftliche Gewöhnungseffekt stärkt nicht die Hilfe und den Beistand für kranke und lebensmüde Menschen", so Brysch. "Vielmehr führt der Einstieg zum organisierten Angebot auf Tötung immer zu einer Ausweitung." Deshalb müsse die deutsche Politik in der aktuellen Debatte um die Beihilfe zur Selbsttötung die Entwicklung des Nachbarlandes in den Blick nehmen.

Klar ist dabei, dass das Wort "Euthanasie" in den Niederlanden einen anderen Klang als in Deutschland hat. In Deutschland wurde über aktive Sterbehilfe schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit Blick auf Erbgesundheit debattiert; in Nazi-Deutschland gipfelte dieses Denken in der Ermordung von zehntausenden Menschen mit Behinderung.

In den Niederlanden war das Thema dagegen ein Produkt der 1960er und 1970er Jahre. Die immer perfektere Gerätemedizin ließ eine Debatte über die Grenzen ärztlicher Behandlung und eine Begrenzung des Leidens sterbenskranker Menschen aufkommen.

Sterbehilfe in Deutschland untersagt

In Deutschland ist aktive Sterbehilfe bislang klar untersagt. Fragt sich allerdings, wie lange noch. Denn das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil zur Suizidbeihilfe vom Februar 2020 ein weitreichendes Grundrecht auf selbstbestimmten Tod und dabei auch das Recht auf Hilfe Dritter formuliert. Manche Kritiker sehen jetzt nur noch eine hauchdünne Grenze in Richtung aktiver Sterbehilfe.

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