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Ästhetik in Schnipseln

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Der Auszug aus einem Hespos-Werk zeigt, dass er von der konventionellen Darstellung abweicht. ·
Der Auszug aus einem Hespos-Werk zeigt, dass er von der konventionellen Darstellung abweicht. © dpa

Delmenhorst - Von Uta Schalz-Laurenze. Man fasst das ja kaum, dass das kleinste Festival Deutschlands – mit einem Konzert – nun schon zum 44.

Mal stattfindet: Der Delmenhorster Komponist Hans Joachim Hespos hat es gegründet, Termin ist Jahr für Jahr der 11. November, „damit niemand sagen kann, er habe den Termin nicht gewusst“ (Hespos). Die Rechnung ist aufgegangen, es kommen wie bei jeder Neuen Musik wenig Zuhörer, diese aber zuverlässig. Hespos bietet mit seiner Kenntnis und seinen Interessen vor allem eins: neue Interpreten und zunehmend die Vorstellung von immer jüngeren Komponisten. So waren die beiden Komponisten dieses Mal 20 und 25 Jahre alt: Ole Hübner – in Köln ein Schüler von Johannes Schöllhorn – und die in Berlin lebende Neele Hülcker.

Beide präsentierten Stücke, die wie viele andere auch dem Publikum erst mal zeigen, dass es für sie keine verbindliche ästhetische Tradition mehr gibt. Der Komponist von heute muss sich sozusagen mit jedem Stück selbst neu erfinden. Hülcker geht für ihr Stück „Mitarbeit“ auf die Suche nach Klängen von verschiedenen Menschen, die bereit waren, auf ihre Sammelaktion einzugehen und ein Schnipselchen Musik abzuliefern. Die Musiker sitzen an Tischen – es sieht aus wie in einer Schulklasse – und zerschneiden Papier, sie hantieren mit Klarsichtfolie, es erklingt auch mal ein Ton, dann Ausschnitte aus Interviews wie „Ich hab so viele Ideen im Kopf“. Es gibt keine Kommunikation, keinen Sinn und als die Tonmeisterin von Radio Bremen erscheint und Mikrofone verstellt, hat man verstanden, dass wir uns im Umbau zum nächsten Stück befinden.

Ole Hübner nennt sein Stück „Brutalstück – wer nicht übt, kriegt keine Cola“ und handelt die Fragwürdigkeit von Leistung ab. Dazu zeigt er die Übungen von Scharfschützen und den Drill von koreanischen Gitarrenkindern über Video. Darüber hinaus spielt das Stück mit Ritualen des Konzertbetriebes, lässt Vivaldis Jahreszeiten und anderes hinein zittern.

Bei beiden ist die Idee, dass alles außerhalb der Musik als Material möglich ist, verständlich, aber auch recht unausgegoren umgesetzt. Und dass das vor allem auch gar nicht neu ist, wurde dann an zwei Werken der Altmeister gezeigt: einmal an dem schon 1968 entstandenen „Epicycle“ von Jani Christou, in dem alle herumlaufen und irgendetwas zu suchen scheinen, was sie dann doch nicht finden. Nach der Pause dann anscheinend ganz klassisch: Frack und Abendkleid für die „Kammerszene – Mirli“ (1995) von Hespos. Kammermusik soll gemacht werden, aber alle sind nur einsam, die Komik bleibt dem Hörer auch ziemlich schnell im Halse stecken. Der Schlagzeuger brüllt hinter der Szene, irrt dann orientierungslos durch den Zuschauerraum, die Dirigentin verausgabt sich in einem eher romantischen Stück, das gar nicht erklingt: Sie ist von ihrer Arbeit völlig fertig. Der Trompeter hängt mit den Beinen nach oben über der Empore. Insgesamt war der Abend ein fabelhaftes Programm und Hübner und Hülcker werden gespürt haben, wieviel sie für die Umsetzung ihrer explosiven Ideen noch zu lernen haben. Das 2010 gegründete Ensemble MAM – Manufaktur für aktuelle Musik – hinterließ einen mitreißenden Eindruck.

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