StraßennetzDie Flickschuster von Köln

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Erste Hilfe, um größere Schäden zu verhindern: Mit Kalt-Asphalt werden die Löcher notdürftig gestopft.

Erste Hilfe, um größere Schäden zu verhindern: Mit Kalt-Asphalt werden die Löcher notdürftig gestopft.

Köln – Kalt-Asphalt. Das klingt schon so, als könne es nicht lange halten. Eine anständige Straße wird geteert. Oder, wie der Fachmann sagt, es wird eine bituminöse Schicht aufgebracht. Da muss es dampfen und stinken, da muss das Gemisch bei 180 Grad auf die Straße fließen. Bei Vasilios Tsigiannis (47) und Oliver Lubritz (31) fließt gar nichts. Die beiden Straßenwärter vom Bauhof Frankfurter Straße in Köln-Höhenberg haben auch nichts dagegen, als Flickschuster oder Notstopfer bezeichnet zu werden.

Lucky und Olli sind seit sieben Uhr morgens mit ihrem Laster unterwegs. Auf der Ladefläche zwei Schaufeln, ein Stampfer, Splitt, Sand und Kalt-Asphalt. Es regnet in Strömen, doch es hilft alles nichts. Alle paar Meter müssen sie anhalten, Warnblinker einschalten, Absperrhütchen aufstellen und wieder ein Loch stopfen. "Das ist im Moment echt nicht normal. Wir kommen mit den Schäden kaum noch nach." Das Loch sauber kehren, den Kalt-Asphalt reinschütten, festklopfen, dabei vor allem auf die Ränder achten, danach Splitt draufkippen und weiter - zum nächsten Loch. Wie lange das hält? "Kommt drauf an", sagt Olli, "wenn es nass ist und der Asphalt nicht richtig bindet, kann das in drei Tagen schon wieder kaputt sein. Da reicht ein Lkw." Die Straße sich selbst zu überlassen und auf den Frühling zu warten geht aber auch nicht. "Dann werden die Schäden immer größer. Und wenn ein Unfall passiert, fällt das auf uns zurück."

Arne Wrobel ist nicht zu beneiden. Kölns Straßennetz ist 2582 Kilometer lang und hat einen Wert von 1,071 Milliarden Euro. Hinzu kommen 500 Kilometer ausgebaute Radwege. Die längste Straße ist der Militärring mit 21,6 Kilometern. Die Tipsgasse in der Altstadt misst gerade mal 16 Meter. Wrobel ist für beide zuständig. Der Boss der Kölner Bauhöfe darf im Jahr 15,3 Millionen Euro für Reparaturen und Sanierungen der Straßen ausgeben. "Wir bräuchten eigentlich 50 Millionen, um den drohenden Generalsanierungsstau abzuwenden", sagt er. Und dass er lieber schneller reparieren würde, "um weitere negative Auswirkungen auf den Straßenkörper zu minimieren". Aber dazu reicht das Geld nicht aus - und wenn der Frost kommt, es wieder taut und erneuter Frost kommt, weiß Wrobel nicht mehr, wo er zuerst anfangen soll.

Fotografieren, klassifizieren, priorisieren, reparieren. Dieser Bearbeitungskette kann sich kein Kölner Schlagloch entziehen. An ihrem Anfang steht, oder besser geht, Ayse Kirmizigül, Berufsbezeichnung Wegebegeherin. Frau Kirmizigül ist gut zu Fuß, marschiert mit strammem Schritt und einem Datenerfassungsgerät jeden Tag die Straßen ihres Stadtbezirks entlang, um Schäden zu dokumentieren. Visi Köln heißt das System, die Abkürzung steht für Visualisierungssystem Straße Köln, i-kön das Gerät. Nachmittags zum Schichtende kommt Ayse Kirmizigül mit ihrem i-kön in den Bauhof. Ihr letzter Weg führt sie zu Heinrich Schmitt, an dessen Computer sie ihren Arbeitsnachweis hinterlässt. Ein kleiner Auszug aus ihrem Schadensprotokoll vermittelt den Eindruck, als sei der Bensberger Marktweg nur noch mit schwerem Gerät passierbar.

12.53 Uhr: Unebenheiten/Setzungen (08/31342), 12.54 Uhr: Verkehrszeichen reinigen (08/31352), 12.54 Uhr: Platten gebrochen (05/41978), 12.54 Uhr: Stolperkante (10/25930), 12.54 Uhr: Platten lose (12/24511), 12.54 Uhr: Stolperkante (12/09872). Sechs Schäden in einer Minute.

Heinrich Schmitt nennt sich Regietechniker. Das klingt im ersten Moment übertrieben, doch wenn 30 Wegebegeher ihre Schäden abgeliefert haben, muss er die Touren für den nächsten Tag zusammenstellen. "Das geschieht nach drei Prioritäten", erklärt Wrobel, sein Boss. Stufe eins: im Prinzip sofort beheben, spätestens am nächsten Tag, Stufe zwei: unmittelbar, Stufe drei: in absehbarer Zeit. Wrobel weiß, dass diese Begriffe dehnbar sind und jetzt, in einem Winter mit ständigem Frost-Tau-Wechsel, kann "absehbar" auch schon mal drei Wochen bedeuten. Zumal auch noch die Bürger anrufen, mailen, böse Briefe schreiben oder mit ihren Smartphones ihr Schlagloch fotografieren und mit Hilfe der Köln-App direkt ins Amt schicken. "Dafür sind wir sehr dankbar. Wir sind auf die Bürger angewiesen." Bauhofleiter Wrobel weiß aber auch, dass die gute Tat auch zum Fluch werden kann. "Wir müssten überall gleichzeitig sein, aber wir können nicht alles gleichzeitig reparieren."

Deshalb gibt es neben der Priorisierung noch eine zweite Regel. "Je schwerer der Schaden, je wichtiger die Straße, je höher die Anzahl der Betroffenen, je größer das Gefahrenpotenzial, desto eiliger der Schaden", sagt Wrobel. Die Hauptverkehrsstraßen seien die Sorgenkinder, "im Prinzip alle dicken gelben Straßen im Stadtplan. Auf denen sind pro Tag mehr als 30 000 Fahrzeuge unterwegs."

Und wenn es doch nur die Straßen wären. In der vergangenen Woche hat Wrobel mehr als 1000 Schäden an Gehwegen aufnehmen lassen. Besonders schlimm war es am Rheinufer in der Altstadt - eine Folge des Hochwassers. Für einen gelernten Bauingenieur stellt sich der Schadensablauf exakt so dar: "Die Wasserableitfähigkeit des Bodens ist durch die Übernässung stark eingeschränkt. Die Versickerung stellt sich sehr zögerlich dar." Durch den Wechsel von Frost und Tauwetter bildeten sich Klumpen unter den Gehwegplatten. "Wenn dann auch noch der Sand aus der Fuge unter die Platte rutscht, müssen wir sie herausnehmen, alles glätten, neu verlegen und verfugen." Altstadt und Rheinufer seien wegen der vielen Touristen von höchster Priorität. "Wir wollen natürlich vermeiden, dass unsere Gäste, die aus dem Bus steigen, gleich einen Salto schlagen und sich die Haxen brechen." Aber auch Gehwegplatten können erst repariert werden, wenn der Boden komplett frostfrei ist. "Vorher können wir gar nichts machen."

Wrobel mach den Bauhof-Job seit 27 Jahren

Arne Wrobel macht den Bauhof-Job seit 27 Jahren. "In verschiedenen Funktionen", sagt er. Beim Zustand der Kölner Straßen mache ihm so schnell keiner etwas vor. Dass die Stadt angesichts der leeren Kassen mehr auf die Generalsanierung als auf Reparaturen setzt, hält er für einen Fehler. "Ich würde lieber früher Deckenüberzüge machen, damit ich erst gar nicht so tief in die Fahrbahn rein muss." Eine Generalsanierung sei viel aufwendiger und müsse von den Anliegern mitbezahlt werden.

Wenn der Frühling kommt, werden Lucky und Olli weiter flicken. Dann nicht mehr mit Kalt-Asphalt, sondern mit einem Thermo-Container und Asphaltbeton. Das ist wenigstens von Dauer.

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