Neues BuchWie Richard Wagner Bugs Bunny und Adolf Hitler inspirierte

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Richard Wagner dpa

Richard Wagner im Jahr 1861

Köln – Man könne nicht leben und an allem und jedem zweifeln, schreibt der Autor W.E.B. Du Bois, tief bewegt nach dem Besuch einer Vorstellung von „Lohengrin“: „Irgendwo auf dieser Welt, und nicht im Jenseits, gibt es Vertrauen, und irgendwie führt Vertrauen zur Freude.“ Du Bois ist der wichtigste afroamerikanische Intellektuelle seiner Zeit. Und ein glühender Wagnerianer.

Für seinen Besuch in Bayreuth hat er sich ein seltsames Jahr ausgesucht: 1936. Die Festspiele werden von der Nazi-Diktatur finanziert, Thomas Mann, auch er Wagnerianer, schimpft sie „Hitlers Hoftheater“.

W.E.B. Du Bois vertraut nicht blind, berichtet in seinen Bayreuth-Artikeln auch über den deutschen Antisemitismus, der an Rachsüchtigkeit und öffentlicher Demütigung alles übertreffe, was er als Schwarzer erlebt habe. Dennoch sitzt er selig im Festpielhaus unter Industriellen und Nazi-Größen und träumt von einem panafrikanischen „Ring“.

Solche unerwarteten Querverbindungen finden sich auf beinahe jeder der 900 Seiten von Alex Ross’ Kulturgeschichte „Die Welt nach Wagner“. Ross ist einer der prominentesten Musikkritiker der USA, hauptberuflich schreibt er für den „New Yorker“. Sein erstes Buch „The Rest is Noise“, eine Geschichte der klassischen und Neuen Musik des 20. Jahrhunderts, gilt als Standardwerk.

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In „Wagnerism“, wie der Originaltitel lautet, spürt Ross nun dem kaum zu unterschätzenden Einfluss Richard Wagners bis in unsere Gegenwart nach, von Baudelaire bis Bugs Bunny, von Friedrich Nietzsche bis Francis Ford Coppola. Es gehe ihm vor allem, schreibt Ross, um den Einfluss eines Musikers auf Nicht-Musiker, um den Nachhall maßlos monumentaler Werke wie „Tristan und Isolde“ oder des „Ring“-Zyklus und die kuriose Tatsache, dass man diesen am lautesten in den „stummen Künsten“, in Malerei und Literatur, vernehmen kann.

Wie ein Detektiv, der sich in jedes Hinterzimmer Eintritt verschafft, oder ein Virus, das vor keiner Grenze haltmacht, erscheint der Komponist und der Autor folgt ihm quer durch alle Gesellschaftsschichten und Ideologien der letzten 150 Jahre.

Wagner als Karies-Test

In der Verkürzung führt das unweigerlich zu Paradoxien: Wenn einerseits Wagners „Tannhäuser“ Theodor Herzl zu seiner Vision vom zionistischen Staat inspiriert, und andererseits seine „Meistersinger“ die Keimzelle von Hitlers Plänen zur Judenvernichtung bilden, wenn Symbolisten, Satanisten, Sozialisten, wenn Feministinnen und Faschisten ihre Ideen gleichermaßen im Wagner’schen Werk verankert finden, dann steht der Komponist letztlich für alles und jedes, dann erinnert der „Wagnerismus“ eher an jenen in den 1980er Jahren beworbenen Karies-Test einer Zahnpastamarke, der den Mundinnenraum unterschiedslos rot färbte.

Doch erschöpft sich Ross’ Spurensuche nicht in bloßer Aufzählung. Vielmehr legt er all die Widersprüchlichkeiten offen, die bereits in Wagners Person angelegt sind: Ein Betrüger ist er, ein Anarchist und Visionär, der sich als Dragqueen avant la lettre in endlose Schichten von rosa Seide hüllt, Heilung durch Mitgefühl predigt und gegen Juden hetzt. Sind seine Frauenfiguren nur Opferlämmer, mit der Tendenz, ohne medizinischen Befund tot zu Boden zu sinken? Oder sind sie die wahren Heldinnen seiner Musikdramen? Wie etwa Brünnhilde, die am Ende des „Rings“ mit der Götterburg Walhall auch die „falschen Narrative“ patriarchalischer Herrschaft zerstört?

Saalschlacht um „Tannhäuser“

Immer dort, wo es sich lohnt, genauer hinzugucken, wechselt der Autor von der Überschau zum „close reading“: Sorgfältig zeigt Ross auf, wie es ausgerechnet die ersten französischen Fürsprecher Wagners sind – die Pariser Erstaufführung von „Tannhäuser“ löst 1861 eine Saalschlacht aus – die den „Wagnerismus“ begründen, die in den Opern des Meisters psychologische Tiefe entdecken, wo seine Landsleute nur Überwältigungsgesten hörten.

Wie ein Wagner’sches Leitmotiv schlängelt sich Thomas (und Heinrich) Manns lebenslange Auseinandersetzung mit Richard Wagner, zwischen Hingabe und Abscheu, durch das Buch. Ross setzt sie in den jeweiligen Kontext, von Fin-de-Siècle-Pessimismus des Kaiserreiches bis zum kalifornischen Exil, Thomas Manns letzte Reise vor dem erzwungenen Abschied aus Deutschland war eine Vortragsreise, das Thema: „Leiden und Größe Richard Wagners“.

Tiefpunkt der Menschheit

Von dort gelangt Ross unweigerlich zum Tiefpunkt der Menschheitsgeschichte und der Frage, wie gerade die Linie ist, die von Wagner – dessen Ausspruch „Der Jude ist der plastische Dämon des Untergangs der Menschheit“ im Nazi-Propagandafilm „Der ewige Jude“ zitiert wird – zum Holocaust führt. Der Autor beschönigt nichts, er erzählt ebenso die Geschichte der gegenseitigen Bewunderung zwischen der Familie Wagners und Adolf Hitler, die bis in die 20er Jahre zurückreicht, wie dessen beinahe komische Bemühungen, seine unwilligen Parteigenossen für Wagner zu begeistern.

Sein Urteil über die simple These, Wagner sei der Wegbereiter des Nationalsozialismus, fällt harsch aus: Die wiederhole nur unter anderen Vorzeichen „Verlautbarungen aus dem Dritten Reich“ wie „Hitlergeist ist Wagnergeist“. Nichts ist eben simpel, wenn es um Wagner und den Wagnerismus geht, mindestens das hat man am Ende dieser funkensprühenden, betörenden, erschöpfenden Ideengeschichte gelernt.

Und noch eines: „Nach zwei Jahrhunderten können wir deswegen immer noch so sehr in Rage geraten, als ob der Mann bei uns im Zimmer wäre.“

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