Ernteversicherung: Wieso sie in Bayern gilt – in Niedersachsen nicht
Hagel, Hitze, Sturm: das Jahr 2023 ist für die Landwirtschaft ein Hindernislauf. Wäre da eine Ernteversicherung die Lösung?
Erntesaison 2023: Erst regnete es gar nicht, dann viel zu viel, die Getreideernte zögerte sich hinaus, die Erträge sind gesunken. Noch in der vergangenen Woche zogen Gewitter-Zellen über Bayern hinweg und verwüsteten Äcker und Gebäude. Um es kurz zu machen: Der Klimawandel ist real. Der deutsche Bauernpräsident Joachim Rukwied hat erst kürzlich beim Vorstellen der Erntebilanz seine Forderung nach öffentlichen Zuschüssen für eine Mehrgefahrenversicherung gegen witterungsbedingte Ertragsausfälle bekräftigt.
Ernteausfall-Versicherung: Förderung vom Staat
Dieses Thema beschäftigt auch Hans-Gerd Behrens seit einigen Jahren. Er war selbst mehr als 40 Jahre lang aktiv in der Landwirtschaft tätig, hat einen Ackerbau-, Schweinezucht- und Mastbetrieb im Landkreis Oldenburg betrieben. Er ist der Landwirtschaft eng verbunden – und er will sich dafür einsetzen, dass landwirtschaftliche Familien künftig ihre Risiken besser absichern können. Behrens ist in Deutschland ein Experte für Risikomanagement in der Landwirtschaft. Er berät führende Agrarversicherer und politisch tätige Organisationen zu dieser hochaktuellen Problematik der Ernteversicherungen. „Fast in der ganzen Welt gibt es für Ernteausfall-Versicherungen Förderungen vom Staat, nur in Deutschland hinkt man damit etwas hinterher“, sagt Hans-Gerd Behrens.
Vollkasko-Versicherungen: Greift bei Hagel, Sturm, Starkregen, Trockenheit, Frost
Und dabei gibt es auch noch regionale Unterschiede: „Jedes Bundesland, also auch jedes Ministerium, entscheidet für sich, wie das Thema gehandhabt wird“, kritisiert Behrens. Die Bundesländer im Süden seien dahingehend schon weiter. Seit diesem Jahr gibt es Vollkasko-Versicherungen für bayerische Betriebe – in drei Paketen: Ackerbau, Grünland und Obst- bzw. Weinanbau. Darin enthalten ist ein Querschnitt aller möglichen Risiken: Hagel, Sturm, Starkregen, Starkfrost, Dürre, Trockenheit, Fraßschäden – je nach Wahl des Paketes.
Aber: Es gibt kein Wahlrecht zwischen den Gefahren, wie Behrens betont. Und das sei gut so: „Sonst würden Betriebe an der Küste nur Fraßschäden absichern, Betriebe in Wassernähe vielleicht nur Überschwemmungen. Wichtig ist aber, dass es eine Mehrgefahrenversicherung ist und sich die Versicherungsnehmer gegenseitig unterstützen, sonst würden die einzelnen Beiträge auch zu hoch.“ Zusammengefasst: Trockene Gebiete sichern nasse ab – und umgekehrt. Bayern fördert alle Pakete mit bis zu 50 Prozent.
Bundeseinheitliche Lösung für Mehrgefahrenversicherung gefordert
In Norddeutschland ist das noch nicht zu bekommen. „Es braucht dafür meiner Meinung nach eine bundeseinheitliche Lösung“, ist Behrens überzeugt. Er ist aber froh, dass der Deutsche Bauernverband sich inzwischen auch für eine Förderung einsetzt. Es sei für alle Versicherer deutlich besser kalkulierbar, wenn Deutschland gesamt betrachtet würde. Was Behrens betont: „Die Agrarversicherung und ihre staatliche Unterstützung sollen ausdrücklich zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft beitragen: Das finanzielle Risiko der Landwirte soll gesenkt und Anreize für ökologische und nachhaltigere Praktiken geschaffen werden Das würde zu einer größeren Resilienz des Agrarsektors führen.“
Blick über den Tellerrand: China subventioniert solche Versicherungen für den Ernteausfall mit bis zu 80 Prozent, die USA mit bis zu 65, Indien bis zu 50 Prozent, insgesamt geht der Trend zu noch höheren Fördersummen.
Haftungszeitraum von Ernteausfallversicherungen
Wie funktioniert so eine Versicherung überhaupt? „Je nach angebauter Kultur gibt es einen Haftungszeitraum“, so Behrens. „Ein Betrieb kann beispielsweise pro Hektar den Mais gegen Dürre absichern. Dafür wird die durchschnittliche Niederschlagsmenge an dem Standort zwischen Mai und August als Grundlage genommen. Regnet es in diesem Zeitraum weniger, greift die Versicherung.“ Zwischen 30 und 50 Prozent der abgesicherten Summe bekäme der Landwirt/ die Landwirtin zurück. Der Versicherungsbeitrag ist prozentual abhängig von der Fläche (angegeben in Hektar), der Art des Bewuchses und voraussichtlichem Ertrag in Euro pro Hektar.
Finanzierung der Ernteausfallversicherung für Landwirte und Landwirtinnen
Klingt sinnvoll. Wieso die Skepsis? Hans-Gerd Behrens weiß: „Viele Beteiligte hatten die Sorge, dass die Versicherungs-Summen aus der sogenannten 1. Säule bezahlt werden würden, also aus der direkten Flächenförderung. Das stimmt aber nicht!“ Und um aufzuklären, macht Behrens deutlich, dass es bei einer Versicherung ja nur um ein mögliches Risiko gehe: „Ich schließe ja auch keine Feuerversicherung ab, weil ich hoffe, dass mein Hof abbrennt. Aber falls es doch passiert, muss ich wenigstens keine Existenzängste haben.“
Bezuschussung vom Bund zu Mehrgefahrenversicherung? Fehlanzeige!
Bislang jedoch sieht der Bund keine Chancen für Zuschüsse. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der AfD-Bundestagsfraktion hervor. So machte Ophelia Nick, parlamentarische Staatssekretärin im Bundeslandwirtschaftsministerium, in ihrer Antwort deutlich, dass der Bund vor dem Hintergrund der Haushaltsentwicklung sowie der aktuellen Kürzungen der Mittel der Gemeinschaftsaufgabe zur „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK) in den nächsten Jahren keine Möglichkeit einer finanziellen Beteiligung an einer dauerhaft angelegten Mehrgefahrenversicherung innerhalb der GAK sowie darüber hinaus sieht. Zudem stelle die Regierung fest, dass Maßnahmen zur Milderung der Folgen extremer Witterungsereignisse in die Zuständigkeit der Bundesländer fallen. Die Bezuschussung von Mehrgefahrenversicherungen sei im Rahmen der Zweiten Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) aus Mitteln der EU und der Länder seit diesem Jahr möglich.
Anpassung der Landwirtschaft
Vorrangig sollten aber vorbeugende risiko- und schadensvermeidende, produktionstechnische Maßnahmen zur Anpassung der Landwirtschaft an den Klimawandel verfolgt und intensiviert werden. Im Rahmen der GAK seien Investitionen zur Verhütung von Schäden an Sonderkulturen förderfähig, die durch Naturkatastrophen gleichzusetzende, widrige Witterungsverhältnisse entstanden seien. Damit bleiben Bundesländer wie Bayern und Baden-Württemberg bei den Zuschüssen zu einer Mehrgefahrenversicherung bis auf weiteres auf sich allein gestellt.