GENERATIONENKONFLIKT: Junge fordern Gerechtigkeit

Die junge Generation fühlt sich in der Debatte über die Altersvorsorge ignoriert. Jungpolitiker stellen nun sogar die AHV in Frage.

Michel Burtscher
Drucken
Die Frage nach der Finanzierung der Renten und der Höhe des Rentenalters birgt Konfliktpotenzial zwischen Jung und Alt. (Bild: Getty)

Die Frage nach der Finanzierung der Renten und der Höhe des Rentenalters birgt Konfliktpotenzial zwischen Jung und Alt. (Bild: Getty)

Michel Burtscher

Als Schiedsrichter verkleidet stehen bürgerliche Jungpolitiker derzeit in verschiedenen Städten der Schweiz. Sie wollen die rote Karte zeigen, und zwar der Initiative AHV plus, über die das Stimmvolk am 25. September entscheidet. Für die jungen Politiker von Mitte-rechts ist das Volksbegehren, das eine Erhöhung aller AHV-Renten um zehn Prozent fordert, «unfair, unsolidarisch und nicht nachhaltig». Die Umverteilung zu Lasten der jungen Generation müsse aufhören, fordern sie.

Die bürgerlichen Jungpolitiker wollen mit den Aktionen signalisieren: Hier geht es um etwas, das auch uns betrifft. Denn es ist ihre Generation, die darauf angewiesen ist, dass die AHV auch in den kommenden Jahrzehnten noch auf einem soliden Fundament steht; auch noch in 40 oder 50 Jahren. «Unsere Generation wird bei der Rentendiskussion aber ignoriert», sagt Benjamin Fischer, Präsident der JSVP. Das sei teilweise auch selbst verschuldet, gibt er zu. Die Jungen würden sich nicht für das Thema Altersvorsorge interessieren, die Brisanz des Themas für ihre eigene Zukunft sei ihnen nicht bewusst.

Auf dem Weg in die Gerontokratie

Die Jungparteien versuchen nun, auf ihre Positionen aufmerksam zu machen. Nicht nur im Zusammenhang mit der AHV-plus-Initiative, sondern auch der Altersvorsorge 2020, über die im Parlament diskutiert wird. Und sie haben eine klare Meinung dazu: «Wir kommen nicht darum herum, das Rentenalter zu erhöhen», sagt Fischer. Den vorgeschlagenen Mechanismus zur Erhöhung des Alters auf 67, wenn die AHV finanziell in Schieflage gerät, findet er richtig. Dem pflichtet auch Tino Schneider, Präsident der JCVP, bei. Er mahnt gleichzeitig aber, dass man vorsichtig vorgehen müsse bei der Rentenreform. «So ein Mechanismus kann dem Volk im Moment noch nicht verkauft werden.»

Damit scheint Schneider recht zu haben, wie eine Umfrage im Auftrag der «Schweiz am Sonntag» zeigt. Demnach spricht sich im Moment eine klare Mehrheit der Bevölkerung gegen eine Erhöhung des Rentenalters aus. Dagegen sind auch die Jungsozialisten – und gehen noch weiter: Die Juso spricht sich gar für eine Senkung des Rentenalters aus, wie Präsidentin Tamara Funiciello gegenüber dem «Tages-Anzeiger» sagte. Die reiche Schweiz könne sich das leisten.

Das Problem der AHV ist altbekannt: Die Lebenserwartung ist in den vergangenen Jahrzehnten gestiegen, die Geburtenrate gesunken. Das Verhältnis zwischen jungen und älteren Menschen hat sich stark verändert. Die demografische Entwicklung ist aber nicht nur eine Herausforderung für die AHV selbst, sondern auch für die Reform ebendieser. Das sagt die liberale Denkfabrik Avenir Suisse. Die Schweiz befinde sich auf dem Weg in eine Gerontokratie, warnte sie unlängst. Rentner und Personen kurz vor der Pensionierung werden in rund 20 Jahren erstmals in der Lage sein, die werktätige Bevölkerung zu überstimmen. Avenir Suisse befürchtet, die Senioren könnten dann jede Reform der Sozialwerke blockieren, da sie sich eine möglichst hohe Rente sichern wollten. Verschärft wird die Problematik zusätzlich noch dadurch, dass junge Menschen weniger oft an die Urne gehen.

Mathematik statt Politik

Man wolle keinen Generationenkonflikt heraufbeschwören, betont Andri Silberschmidt, Präsident der Jungfreisinnigen. «Die ältere Generation ist nicht egoistisch.» Er sagt aber gleichzeitig, dass die demografische Entwicklung durchaus Herausforderungen mit sich bringe. Er und seine bürgerlichen Kollegen fordern darum, dass das Rentenalter künftig nicht mehr eine politische, sondern eine rein mathematische Frage sein soll. Das Rentenalter würde somit an die Lebenserwartung gekoppelt.

Ansetzen wollen die Jungpolitiker nun erst einmal bei ihrer eigenen Generation. Wichtig sei, dass man die junge Bevölkerung von den Ideen überzeugen und motivieren könne, an die Urne zu gehen, sagt Andri Silberschmidt. «Eine einfache Aufgabe ist das aber nicht», gibt er zu. Und die Aufgabe wäre damit auch noch nicht erledigt. Schliesslich würde es nicht reichen, nur die junge Generation zu überzeugen. Tino Schneider von der JCVP erwartet bei der Rentendiskussion auch mehr Unterstützung von der Mutterpartei. «Sie sollte die Generationengerechtigkeit leben, die sie immer von den Jungen fordert.»

Gelinge es nicht, die AHV auf ein gesundes Fundament zu stellen und die Renten zu sichern, könne sich die JSVP durchaus vorstellen, radikalere Vorschläge zu unterstützen, sagt Benjamin Fischer. «Beispielsweise die Abschaffung der AHV.» Dafür spricht sich auch Pierre Bessard aus, der Direktor des Liberalen Instituts. Er hält die AHV für überflüssig. Die meisten Menschen könnten für ihre Vorsorge durch Pensionskassen und individuelle Vorsorgekonten mit entsprechender Steuersenkung problemlos sorgen. «Für die kleine Minderheit, die nicht eigenverantwortlich auskommt, kann es gezielte Lösungen geben», so Bessard.

Reiche und Steuerzahler subventionieren die AHV

Die AHV sei sehr effizient und kostengünstig – und damit der beruflichen Vorsorge (BVG) weit überlegen. Dies ist im Abstimmungskampf zur Initiative AHV plus ein zentrales Argument der Gewerkschaften. Ist das Preis-Leistungs-Verhältnis der ersten Säule tatsächlich besser? Zumindest in zwei Punkten trifft dies zu. Zum einen sind die Lohnbeiträge für die AHV seit vierzig Jahren nicht mehr erhöht worden. Bis 2013 war die AHV, etwa dank der hohen Zuwanderung, erstaunlich stabil.
Zum anderen funktioniert die AHV nach dem Umlageverfahren. Im Gegensatz zur zweiten Säule, wo im Prinzip jeder für sich selber sparen sollte, finanzieren die Erwerbstätigen die heutigen Rentner. Damit sind auch die Verwaltungskosten tiefer, da die AHV weniger Geld als die Pensionskassen an den Finanzmärkten anlegt. Die tiefen Zinsen und unsicheren Erträge machen ihr deshalb ebenfalls weniger stark zu schaffen.

Ausgleichsfonds mit tieferer Rendite

Doch auch die AHV legt mit dem Ausgleichsfonds Milliarden an, um das Kapital zu vermehren und die Renten sicherzustellen. Pikant: Die Sendung «Eco» des Schweizer Fernsehens kam 2015 zum Schluss, dass der AHV-Fonds von 1999 bis 2013 eine schlechtere Performance als die gängigen Pensionskassen hatte – und rund vier Milliarden Franken zu wenig Rendite erzielte. Dies blendet das gewerkschaftliche Loblied auf die Effizienz der AHV aus.

Tatsache ist zudem, dass die erste Säule viel umverteilt, von Jung zu Alt und von Reich zu Arm. Gutverdienende zahlen mehr ein, als sie mit der Rente erhalten. In der BVG ist eine Umverteilung zwar nicht vorgesehen, aber zurzeit der Fall, unter anderem wegen der tiefen Zinsen. Der zu hohe Umwandlungssatz von 6,8 Prozent im BVG-Obligatorium führt dazu, dass die Jungen Rentner mitfinanzieren. Zudem kommt es zur Umverteilung von höheren zu tieferen Einkommen, da viele Pensionskassen den Umwandlungssatz im überobligatorischen Teil weit unter 6 Prozent senken mussten. Ein wichtiger Unterschied ist zudem, dass der Steuerzahler die AHV stark subventioniert. Der Bund ist per Gesetz verpflichtet, 19,55 Prozent der Ausgaben der AHV zu übernehmen – unabhängig von deren Einnahmen. Es handelt sich um seinen grössten Ausgabenposten. Allein 2014 beliefen sich die Beiträge auf insgesamt rund zehn Milliarden. Auch die Konsumenten beteiligen sich: Seit 1999 wird ein Mehrwertsteuerprozent erhoben, das zum grössten Teil der ersten Säule zugutekommt. Insgesamt übernimmt die Allgemeinheit damit rund einen Viertel der Einnahmen der ersten Säule.

Linke hat vor Loch gewarnt

Aus diesen Gründen bevorzugt die Linke die AHV. Mit der Erbschaftssteuer-Initiative, deren Erträge zu zwei Dritteln der AHV hätten zugutekommen sollen, wollte sie gar noch mehr umverteilen. In der Parlamentsdebatte 2014 argumentierten linke Politiker mit dem finanziellen Loch, das bei der AHV drohe. «Bereits die demografische Entwicklung allein gefährdet die sichere Finanzierung», sagt die damalige Nationalrätin Yvonne Gilli (Grüne/SG). Und Beat Jans (SP/BS) sekundierte: «Heute sind wir mit der AHV in einer Situation, in der alle feststellen, dass die Finanzierung mittelfristig nicht mehr gesichert ist.» Im Abstimmungskampf zur Initiative AHV plus betont die Linke nun, wie stabil die erste Säule sei. Die Erbschaftssteuer lehnte das Volk 2015 wuchtig ab. Zur Finanzierung von AHV plus schlagen die Initianten nun eine Erhöhung der Lohnbeiträge vor.

Tobias Gafafer