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Geyserhaus-Parkbühne

Die weltabgewandte Weltbetrachtung der Tindersticks

In der Schwerelosigkeit: Stuart A. Staples (Mitte) und Kollegen im Arthur-Bretschneider-Park.

In der Schwerelosigkeit: Stuart A. Staples (Mitte) und Kollegen im Arthur-Bretschneider-Park.

Leipzig. Das der Erde am nächsten gelegene Schwarze Loch befindet sich weit jenseits unseres Sonnensystems. Vergangenes Jahr begab sich die französischen Regisseurin Claire Denis mit ihrem Film "High Life" dorthin; einer faszinierend stillen, kammerspielartigen Sci-Fi-Meditation. Mit auf die Reise – gleichsam als deren atmosphärische Antriebskraft – ging eine Musik, die Stuart A. Staples, Kopf der Tindersticks, geschrieben hatte. Kaum etwas, das besser geeignet wäre für einen solchen intergalaktischen Trip an den Rand der Stille. Wie auch das Konzert von Staples und seiner Band am Dienstag auf der freilich recht irdischen Parkbühne des Geyserhauses bestens bewies.

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Nun war es ja schon so, dass man sich dort gelegentlich die schalldichte Isolation einer Raumkapsel wünschte, die einen im Namen der Kunst vor plappernden Kindern, noch viel mehr aber vor plappernden Erwachsenen errettet. Zumindest im hinteren Teil des solide besuchten Areals ergab man sich hier und da beherzt den Konversationen jener Alltäglichkeit, der man ja eigentlich gerade auch mit dieser Musik zu entfliehen trachtet.

Indes: Das Wunder – also die Flucht – gelingt dann dennoch. Funktionieren die Songs der Tindersticks doch seit je wie Einflüsterungen gerade auch wider dem lärmigen Zeitgeist. Eine Britpop-Band, die nie wirklich Britpop war (weshalb sie ja heute auch noch existiert); die keinen Moden folgt, sondern so stoisch wie stilsicher ihre künstlerische Haltung einer weltabgewandten Weltbetrachtung pflegt, ob der sich, ähnlich der berühmten ewigen Wiederkunft des Gleichen, Songperle für Songperle an der Kette der Melancholie auffädelt.

Schlaflieder, die zu schön zum Einschlafen sind

Quer durchs Schaffen der 1992 gegründeten Band geht das Konzert. Zwei brandneue Songs („The Amputees“, „Pinky in the Daylight“) inklusive. Dass dabei die Orchestrierungen, die instrumental üppigeren Arrangements zahlreicher Studioaufnahmen, in der Live-Darbietung zwangsläufig flachfallen, verstärkt hier vor allem erst einmal einen Effekt: Der Einflüsterungscharakter dieser Musik wirkt destillierter.

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Insgesamt klingt das dann an wie Schlaflieder, die zu schön sind, um einzuschlafen. Und die die Tindersticks, passend zu ihrem Erscheinungsbild in lässiger Eleganz, zum Konzert so unprätentiös und sanft darbieten, als wollten sie den Abendgesang der Vögel in den Bäumen nicht stören. Von „Like Only Lovers Can“ über „How We Entered“ zu „She’s Gone“ geht die Reise; dimmt sich tiefer und tiefer herab, bis bei „Factory Girls“ der Gesang Staples nur noch von Bass und Keyboard gerahmt wird. Und bei „Willow“ schließlich, einem Stück vom „High Life“-Soundtrack, endgültig einen Randzustand schwebender Schwerelosigkeit erreicht. Und nur der Form halber sei grad noch erwähnt, dass bei der Studioaufnahme des Songs auch „High Life“-Hauptdarsteller Robert Pattinson gesanglich zu hören ist.

Sehnsucht nach dem irdischen Glück jenseits der Erde

Zum Konzert jedenfalls ist „Willow“ so etwas wie der Kern-, der Zielpunkt. Nicht nur die Vögel sind da schon längst verstummt. Andächtig lauscht man diesem Sehnsuchtsstück nach dem irdischen Glück – das freilich bloße Sehnsucht bleibt, da draußen, jenseits unseres Sonnensystems. Und weil man nach „Willow“ eigentlich nur noch verstummen und im Schwarzen Loch der Schwermut verschwinden oder alternativ dazu die Heimreise antreten kann, machen sich die Tindersticks dann auch umgehend an letzteres.

Mit „We Are Dreamers!“, „Show Me Everything“ und „This Fire of Autumn“ – Songs, die perfekt geeignet sind, die Gravitation mit beschleunigtem Rhythmus, rockigerer Gitarre oder einem auch mal in Leichte tänzelnden Vibraphon zu verstärken. Bis hin zum augenzwinkernd wehmütigen Abschluss mit dem ja schon vielfach gecovertem „Hushabye Mountain“ – einem Song aus dem doch recht albernen Musical-Film „Chitty Chitty Bang Bang“ von 1968. Was für eine wunderbar ruhige Landung nach diesem Höhenflug an den Rand der Stille!

Von Steffen Georgi

LVZ

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