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Rap-Journalistin Visa Vie über ihr Hörbuch „Das allerletzte Interview“

Moderatorin und Musikjournalistin Visa Vie hat exklusiv für Spotify ein Krimi-Hörbuch in der deutschen Rapszene geschrieben. Titel: "Das allerletzte Interview"

Moderatorin und Musikjournalistin Visa Vie hat exklusiv für Spotify ein Krimi-Hörbuch in der deutschen Rapszene geschrieben. Titel: "Das allerletzte Interview"

Leipzig. Es gibt kaum einen deutschen Rapper, der Charlotte Melahn – bekannt als Visa Vie – noch nicht Rede und Antwort stand. Die bekannteste Musik- und Hip-Hop-Journalistin des Landes ist seit zehn Jahren vor der Kamera und dem Mikrofon aktiv. Nun hat sie exklusiv für Spotify ein Krimi-Hörbuch geschrieben und eingesprochen. In „Das allerletzte Interview“ schleust sich Hauptfigur Clara als Moderatorin in die Szene ein, um den erfolgreichsten Rapper des Landes zu töten. Vor kurzem ist die zweite Staffel erschienen. Jetzt geht die 31-Jährige auf Lesetour durch Deutschland – und kommt auch nach Leipzig.

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LVZ: Du bist als Hip-Hop-Journalistin im Radio und vor Kamera aktiv, moderierst, rappst, legst als DJ auf und bist nun auch noch Autorin geworden. Bist du jemand, der immer Veränderung braucht?

Visa Vie: Ja, mir wird schnell langweilig, wenn ich stets das gleiche mache. Ich habe mich aber auch noch nicht richtig gefunden. Ich wollte früher zum Beispiel Schauspielerin werden, merkte aber, dass mich das nicht erfüllt. Moderieren ist weiterhin meine größte Leidenschaft, aber auch da spüre ich, dass ich langsam in ein Alter komme, in dem es nicht mehr das allercoolste ist, auf einer Bühne zu stehen und Künstler anzusagen. Der Schritt in die Autorenschaft kam aber, weil es schon immer mein Traum war. Dass ich nun die Möglichkeit dazu bekommen habe, ist das beste, was mir passieren konnte.

Wann war der Moment, an dem du dich dazu entschlossen hast, diesen Traum wahr zu machen?

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Da kamen viele glückliche Umstände zusammen. Ich habe an hundert verschiedenen Büchern geschrieben, die stießen in meinem Umfeld auch auf viel Zuspruch. Ich habe aber immer wieder aufgegeben, weil ich dachte, das würde niemanden interessieren. Dann wollte Spotify einen Podcast mit mir machen, wir haben ewig überlegt, in welche Richtung wir gehen. Ich wollte nicht schon wieder einen Rap-Interview-Podcast machen. Irgendwann hatte ich eine Eingebung, einen echten Geistesblitz: Warum verbinden wir nicht meine zwei größten Leidenschaften – Rap und Crime – miteinander?

Du bist also intensive Krimi-Leserin?

Ja! Hauptsächlich Real Crime, also Magazine und Bücher über echte Fälle. Ich schaue auch alle möglichen Dokumentationen über Serienmörder, am liebsten die richtig harten Sachen. Das hat mich schon immer literarisch bewegt.

„Das Schreiben hatte wirklich einen therapeutischen Effekt.“

Wie hast du den Plot entwickelt?

Nachdem ich Stephen Kings Biografie gelesen habe, habe ich auf einem riesigen Plakat ganz akribisch aufgeschrieben, was in welcher Episode passiert. Während des Schreibens ist aber alles anders gekommen. (lacht) Keine einzige Folge entspricht dem Plan, es hat sich komplett verselbstständigt. Bei der zweiten Staffel war das anders. Da hatte ich bereits die Charaktere und wusste, wo es hingeht.

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Bereits in den ersten Folgen bekommt man den Eindruck, du hättest dir einen gewissen Ballast von der Seele geschrieben. Stimmt das?

Ein wenig, ja (lacht). Ich hätte auch eine Biografie über meine Erlebnisse in der Deutschrap-Szene – speziell als Frau – schreiben können. Das erschien mir aber nicht richtig. In dieser fiktiven Form konnte ich bestimmte Gefühle und Situationen besser verarbeiten. Klar, alles in der Geschichte ist übersteigert. Und wenn es Ähnlichkeiten zu realen Personen gibt, ist das reiner Zufall ...

Nun, der Name Sharif Bull weckt Assoziationen an einen gewissen Echo-Gewinner ...

Ach so? Ich habe keine Ahnung, wen du meinst (lacht). Es ist immer sehr witzig und interessant, wenn mir Leute erzählen, in welcher Figur sie welche Person erkennen. Um auf die Frage zurückzukommen: Ja, ich fühle mich seit der ersten Staffel wesentlich leichter. Das Schreiben hatte wirklich einen therapeutischen Effekt.

Deutsch-Rap: Weniger Aggressionen, mehr Frauen

Die Rap-Szene ist noch immer männlich dominiert, deine Protagonistin Clara wird schnell Opfer sexistischer Sprüche und Kommentare. Wie hast du selbst das anfangs verarbeitet?

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Das war wohl ein unterbewusster Prozess. Ich bin damals in die Szene hinein gestolpert und anfangs war es tatsächlich so schlimm, dass ich kurz davor war, aufzugeben. Dann wollte ich es aber doch durchziehen. Ich war schließlich eine der ersten Frauen in der Szene, die Video-Interviews führten. Es dauerte einfach eine Weile, bis sich die Leute daran gewöhnten. Aber egal, ob mich nun Rapper oder Fans angegriffen haben: Ich habe stets einen Weg gefunden, so sehr mit mir im Reinen zu sein, dass ich das abblocken konnte. Ich sagte mir: Wenn ich für das Gute einstehe und kämpfe, dann gibt sich das. Und tatsächlich ist es immer, immer besser geworden. Es kommt immer mal wieder vor, dass mich Rapper auf Songs beleidigen, dann geht es aber meist nicht gegen mich als Person, sondern gegen das, wofür ich stehe, also Hip-Hop-Journalismus.

Die Grundstimmung in der Rap-Szene ist inzwischen nicht mehr so aggressiv wie noch vor einigen Jahren. Viele Künstler haben jahrelange Streitigkeiten beigelegt. Teilst du diesen Eindruck?

Nicht ganz. Natürlich haben sich viele vertragen und es gibt mehr Zusammenarbeit. Kein Vergleich zur Aggro-Berlin-Zeit [2001 bis 2009, Anm. d. Red.], als sich alle von Stadt zu Stadt gehasst haben. Aber im Hinter- und im Untergrund schwelen noch viele Konflikte, die nicht mehr so öffentlich ausgetragen werden. Ich glaube, viele Rapper wollen sich diese krassen Streits und Sticheleien nicht mehr geben, weil sie am Ende selbst das Nachsehen haben könnten. Es kommt im Moment besser an, mit anderen Musikern zu kollaborieren, als gegen sie zu schießen.

In der jüngeren Vergangenheit haben Newcomerinnen wie SXTN, Loredana, Haiyti oder Eunique auf sich aufmerksam gemacht. Erarbeiten sich die Frauen allmählich einen angemessenen Platz in der Szene?

Total! Da passiert zurzeit echt viel. Als ich mit den Interviews anfing, konnte man deutsche Rapperinnen an einer Hand abzählen und nur eine – Kitty Kat – war erfolgreich. Seit Schwesta Ewa da ist, hat sich wirklich was getan. In einigen Jahren wird es egal sein, ob du Rapperin oder Rapper bist. Wir sind da auf einem extrem guten Weg.

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Warum tauchen in „Das allerletzte Interview“ vor allem Rapper auf, die dem Klischee des prolligen Gangsters entsprechen?

An einer Stelle fragt Clara ihren Chefredakteur, warum sie nur solch extreme Interviewpartner bekommt. Seine Antwort lautet: Alles andere interessiert die Leute nicht. Lieber einen lauten, anstrengenden Typen als einen entspannten Kerl, der einfach nur nett ist. Es ist ja auch in der Realität so: Kaum ein Videoformat macht noch Interviews mit Rappern, die nicht anecken. Einfach, um möglichst hohe Klickzahlen zu generieren. Natürlich hat Rap unfassbar viele Facetten. Und das schöne an meiner Radiosendung ist, dass ich dort Platz für alle habe. Ich will auch gar nicht eine Seite gut- oder schlechtreden. Aber im Videojournalismus spielt die laute Seite einfach eine viel größere Rolle.

„Ich habe jetzt riesigen Respekt vor Hörbuch- und Synchronsprechern.“

Musstest du dich trotz deiner Erfahrung am Mikrofon auf das Hörbucheinsprechen speziell vorbereiten? Oder bist du einfach ins Studio und hast losgelegt?

Schön wär’s! Man hat mir immer gesagt, ich könne gut vorlesen und ich dachte anfangs auch, das wird gar kein Problem. Ich musste aber ganz schnell feststellen, dass das Einsprechen unfassbar anstrengend ist und ganz anders als alles ist, was ich davor gemacht habe. Auf die Atmung, das Timing, die Betonung zu achten und dabei noch die Geschichte zu fühlen – das war wirklich eine Mammutaufgabe. Zum Glück stand mir eine Hörbuchsprecherin zur Seite. Nach den ersten Tagen habe ich mich gefühlt, als wäre ich von drei Autos überfahren worden. Unfassbar kräftezehrend. Ich habe jetzt riesigen Respekt vor Hörbuch- und Synchronsprechern.

Du hast dich ja auch dazu entschlossen, alles selbst zu sprechen.

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Ich hatte zunächst überlegt, jemand anderen einsprechen zu lassen, weil ich befürchtete, dass die Leute – auch aufgrund der Ich-Perspektive – denken, das wäre wirklich meine Geschichte. Dann dachte ich aber: Vielleicht ist genau das so spannend. Die nächste Überlegung war: Hörspiel oder Hörbuch? Ein Hörspiel, also mit Geräuschen und weiteren Stimmen, hätte wie Laientheater wirken können. Wenn man stattdessen alles aus Claras Perspektive hört, ist das intensiver. Da war die Entscheidung schnell klar.

Lesung am 3. Dezember in Leipzig

Die erste Staffel erschien im Sommer, die zweite ist seit einigen Tagen online. Wieso ging das so schnell?

Die Resonanz war so groß, da wäre es schade gewesen, das Projekt einfach verpuffen zu lassen. Und die Möglichkeit war einfach da. Dank der Erfahrungen der ersten Staffel lief die Arbeit viel schneller ab. Es war zwar nicht weniger stressig, alle Beteiligten haben in den vergangenen Wochen ziemlich gelitten. Umso schöner, dass alles geklappt hat.

Können wir mit einer dritten Staffel rechnen?

Das ist natürlich die Frage... (lacht) Das kann ich nicht sagen, weil das ja auch das Ende verraten würde. Nur soviel: Die Zusammenarbeit mit Spotify lief so gut – wir haben mit dieser Hörbuchserie quasi Pionierarbeit geleistet – dass ich eine weitere Zusammenarbeit nicht ausschließen will. Ich hoffe, dass es umgekehrt genauso ist.

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Du gehst jetzt auf Tour durch Deutschland und machst am 3. Dezember in Leipzig Station. Was können die Besucher bei deiner Lesung erwarten?

Auch da will ich noch nicht alles vorweg nehmen. Auf jeden Fall werde ich mich nicht nur hinsetzen und vorlesen. Es wird den ein oder anderen Gast geben und sehr interaktiv werden.

Du hast kürzlich bei der Kampagne „#UnfollowMe“ teilgenommen, bei der Prominente ihre rechtsextremen Follower in den sozialen Netzwerken dazu auffordern, ihnen nicht mehr zu folgen. Wie wichtig ist es dir, dich politisch zu positionieren?

Das hat schon immer ein Rolle gespielt. Ich äußere mich nicht zu jedem politischen Thema, aber es gibt einige, die mir am Herzen liegen. Ich habe das Gefühl, viele Menschen mit enormer Reichweite nutzen diese nicht, weil sie Angst haben, Fans zu verscheuchen. Ich habe aber keine Lust, mich so anzubiedern. Als ich an einer Spendenaktion für Seenotrettung teilgenommen habe, waren einige Kommentare darunter derart grauenhaft, dass ich mich gefragt habe, was diese Leute überhaupt auf meiner Seite wollen. Das war der ausschlaggebenden Punkt für meine Teilnahme an „#UnfollowMe“. Es geht dabei nicht um die, die eine andere politische Meinung haben. Sondern um die, die anderen das Recht zu Leben absprechen. Die sich selbst aufgrund ihrer Hautfarbe, Sexualität oder Herkunft als überlegen ansehen, diese krassen Rassisten, Sexisten und Geistesgestörten. Mit denen kann man nicht mehr zu einem Konsens finden. Ich will meine Reichweite nutzen, um auf bestimmte Dinge aufmerksam zu machen. Ich bin nicht nur da, um Interviews zu führen.

„Das allerletzte Interview“ – Lesung am Montag, dem 3. Dezember im Täubchenthal. Karten kosten 18 Euro im VVK.

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Von Christian Neffe

LVZ

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