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Vorsorge "Geld macht Frauen nicht sexy"

Viele Frauen geben ihr Geld lieber aus, anstatt für das Alter zu sparen. Das hat viel mit dem Frauenbild in unserer Gesellschaft zu tun, sagt Finanzexpertin Mechthild Upgang und warnt: Drei Viertel der heute 35- bis 50-Jährigen droht im Alter eine Rente unter Hartz-IV-Niveau.

mm.de: Frau Upgang, Sie haben 1999 den Bundesverband  der unabhängigen Finanzdienstleisterinnen gegründet. Ein Ziel war es, einen Beitrag zu größerer wirtschaftlicher Unabhängigkeit von Frauen zu leisten. Ist das Ihrem Verband gelungen?

Upgang: Es hat sich sicherlich einiges bewegt in den vergangenen Jahren. Nehmen wir das Beispiel der jetzt verbindlichen Unisex-Tarife in der Riester-Rente. Hier haben die "Finanzfachfrauen"  genauso wie unser Verband versucht, für mehr Verständnis in Politik und Versicherungswirtschaft zu sorgen, dass Frauen bei der Tarifgestaltung gegenüber den Männern eben gleichberechtigt zu behandeln sind.

Und wenn es jetzt in vielen Frauenzeitschriften eine Finanzseite gibt, oder Banken spezielle Seminare für Frauen anbieten, dann ist das sicherlich auch ein Ergebnis dieser Entwicklung, die wir mit angestoßen haben. Jenseits dieser Arbeit versuchen wir in unseren täglichen Beratungsgesprächen, die konkreten Bedürfnisse von Frauen anzusprechen und ihnen in der Altersvorsorge gezielt zu helfen. Unter dem Strich betrachtet sind wir sicherlich ein gutes Stück weitergekommen.

mm.de: Ratgeber, Finanzbriefe, Internetforen, Umfragen, wissenschaftlich-historische Konferenzen - Frauen und Geld, das ist ein Thema. Was legitimiert diesen geschlechtsspezifischen Fokus, gehen Frauen mit Geld anders um als Männer?

Upgang: Frauen gehen mit Geld grundsätzlich schon deshalb anders um als Männer, weil sie in der Regel in anderen ökonomischen Zusammenhängen leben. Das heißt, sie agieren völlig realitätsnah.

mm.de: Was meinen Sie damit?

Upgang: Wenn zum Beispiel junge Frauen mit Familienwunsch und einem noch vergleichsweise niedrigen Einkommen zu uns in die Beratung kommen, dann wollen sie ihr Geld anders angelegt wissen als der junge Mann, der in erster Linie seine Karriere plant. In diesem Fall achten Frauen sehr darauf, dass das Geld zwischenzeitlich verfügbar ist. Sie sind weniger bereit, größere Summen monatlich zu binden und scheuen risikoreichere Investments.

mm.de: Sie sind Unternehmerin, leiten eine Finanzberatung, die sich auf individuelle Vorsorgekonzepte für Frauen konzentriert. Lassen sich Frauen in Geldfragen lieber von Frauen beraten?

Upgang: Wir beschäftigen mittlerweile auch Berater. Bei unseren Kundinnen stößt das auf große Akzeptanz, das hatten wir so nicht erwartet. Dennoch gibt es Frauen, die sich ausschließlich von Frauen beraten lassen möchten. Der primäre Fokus unserer Kundinnen und Kunden ist aber nicht das Geschlecht des Menschen, der ihnen gegenübersitzt, sondern die Beratungsqualität. Unsere Erfahrung ist, wer schlecht berät, wird beim Kunden keinen Blumentopf gewinnen, gleich ob es ein Mann oder eine Frau ist.

"Entbehrungsreichere Zeit als Mutter"

mm.de: Dennoch, was läuft womöglich anders in einer Finanzberatung für Frauen, gibt es andere Fragestellungen, mit denen Sie es zu tun haben?

Upgang: Die Fragen sind in der Tat schon andere, weil sich Frauen aufgrund ihrer privaten Situation und ihrer Einkommenslage dem Thema Geld eben anders nähern. Sie suchen eher flexiblere Produkte und planen nicht so lange voraus. Zugleich wägen Frauen bei ihrer Geldanlage viel länger ab als Männer, die sich deutlich schneller entscheiden ...

mm.de: ... weil Männer in Geldfragen besser informiert sind?

Upgang: Nein, das kann ich nicht bestätigen. Vermutlich liegt es daran, dass Männer glauben, Verluste bei der Geldanlage besser verkraften zu können. Frauen dagegen wollen ganz sichergehen, die Risiken auch voll überschauen zu können. Die Erklärung dafür ist ganz einfach: Sie verdienen in der Regel weniger Geld und gehen deshalb auch vorsichtiger damit um.

mm.de: Müssen sich Berater darauf einstellen?

Upgang: Unbedingt. Männliche Berater, die zumeist eine andere Beratungskultur erfahren haben, müssen lernen, dass sie Frauen bestimmte Finanzprodukte schlicht nicht anbieten sollten. Für Zertifikate oder Produkte mit hohen Basisrenten, die kaum jemand erreicht, finden Sie kaum Abnehmerinnen. Frauen wünschen andere Lösungen, die ihrer Lebenslage besser entsprechen.

mm.de: Schenkt man einer repräsentativen Umfrage Glauben, ist für 97 Prozent der Frauen in Deutschland die Altersvorsorge ein wichtiges Thema. Vier von zehn Frauen räumen gleichwohl ein, dass sie ihr Geld lieber für Dinge ausgeben, von denen sie jetzt etwas haben. Leben Frauen lieber im Hier und Jetzt als Männer, planen sie womöglich auch deshalb ihre Altersvorsorge weniger langfristig?

Upgang: Ich will diesen Zusammenhang gar nicht ausschließen. Verfügen jüngere Frauen über Geld, geben sie es gern auch einfach so aus. Treibendes Motiv kann dabei die ja nie auszuschließende Perspektive einer entbehrungsreicheren Zeit als Mutter sein. Also nutzen sie die Gunst der Stunde und konsumieren. Haben diese Frauen die Kinderphase hinter sich, können sie sich dem Thema Altersvorsorge ganz anders widmen. Nur leider ist es dann oft zu spät. Ich habe manchmal das Gefühl, dass die mögliche Kinderphase jungen Frauen wie ein schweres Verkehrshindernis den Weg zur Altersvorsorge versperrt.

"Die Ehe ist kein sicherer Hafen mehr"

mm.de: Und wie überwinden Sie solche Hindernisse in der Beratungspraxis?

Upgang: Nehmen wir die Riester-Rente. Eines meiner Beratungsargumente für dieses Produkt ist, dass Frauen im Falle der Familienpause die Beiträge herabsetzen können. Und oft ist es das einzige Argument, das Kundinnen überzeugt. Zuvor aber erstarren sie wie paralysiert vor diesem vermeintlichen Hindernis und fragen sich ängstlich, was denn wohl passiert, wenn die Kinder kommen. Die Bedeutung dieser Frage ist bei einer Finanzberatung für Frauen nicht zu unterschätzen.

mm.de: Nahezu jede zweite Ehe wird vorzeitig geschieden. Zugleich kann das neue Unterhaltsrecht für geschiedene Frauen eine Verschlechterung ihrer finanziellen Situation bedeuten. Sind Altersvorsorge und finanzielle Unabhängigkeit auch in diesem Zusammenhang ein Thema?

Upgang: Ja, auch wenn Frauen sich diese Frage ungern stellen, wir sprechen das an. Denn nach der Kürzung der Witwenrenten und mit dem neuen Unterhaltsrecht ist doch eines offensichtlich: Die Ehe ist für die Frauen kein sicherer Hafen mehr - weder nach dem Ableben des Familienernährers noch nach der Scheidung. Erschwerend kommt hinzu, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf noch längst nicht so weit fortgeschritten ist, wie es eigentlich notwendig wäre, wenn man Frauen auf der anderen Seite Sicherheiten nimmt.

mm.de: Umfragen zeigen, dass sich viele Frauen bei der Altersvorsorge nach wie vor gern auf den Partner verlassen. Zugleich ist Altersvorsorge unter Freundinnen selten Gesprächsthema - in überraschend hohem Maße sogar bei gut ausgebildeten Frauen. Wie erklärt sich das?

Upgang: Die Ursache für die unter Frauen weitverbreitete Abneigung, sich mit dem Thema Geld intensiver auseinanderzusetzen, liegt auch tief in unserer Geschichte begründet. Genauer gesagt hat das Thema Frauen und Geld, wie wir es heute diskutieren, eine noch sehr junge Tradition. Das indes ist nicht verwunderlich. Kaum jemand weiß zum Beispiel, dass Frauen in unserer Republik bis 1976 keinen Anspruch auf einen eigenen Arbeitsplatz hatten, um Geld zu verdienen. Bis dahin konnte der Ehemann den Job seiner Frau ohne ihre Zustimmung einfach kündigen.

mm.de: Wie bitte?

Upgang: Sehen Sie, das ist genau, was ich meine. Der Börsenguru André Kostolany prägte einmal den Satz: "Der Mann ist geschaffen, Geld zu machen, die Frau hält die Kasse". Diese klassische Aufteilung - sie sitzt zu Hause, verwaltet die Haushaltskasse, er verdient in der weiten Welt das Geld - war eben noch bis vor nicht allzu langer Zeit gesetzliche Realität. Vergleichsweise jungen Datums ist auch die Tatsache, dass die Tugendhaftigkeit einer Frau lange Zeit vor allem daran bemessen wurde, wie sie mit dem Haushaltsgeld umgehen konnte. Die sparsame und bescheidene Hausfrau war das gängig beschriebene Idealbild, an dem sich Frauen messen lassen mussten.

"Altersvorsorge ist völlig unerotisch"

mm.de: Hat sich da bis heute so viel geändert?

Upgang: Vermutlich nicht. Schauen Sie sich doch das Frauenbild an, das heute vielfach noch vorgelebt wird. Damals gab es eine Hedwig Courths-Mahler, jetzt ist es eine Rosamunde Pilcher ...

mm.de: ... Frauen, die es durch ihre Arbeit zu einem erheblichem Vermögen gebracht haben sollen ...

Upgang: Das steht nicht in Zweifel. Aber das über ihre Romane und Romanverfilmungen transportierte Frauenbild halte ich für problematisch: Die reiche, geldfixierte und unfreundliche Frau wird irgendwann abgesägt zugunsten der bescheidenen und deutlich weniger verdienenden Nebenspielerin, die die große Liebe vor allem wegen ihrer inneren Werte findet. Das klingt jetzt sehr prosaisch ...

mm.de: ... und hat mit Altersvorsorge, Frauen und Geld heute vermutlich nicht mehr viel zu tun ...

Upgang: ... täuschen Sie sich da nicht. Die Wirkung solch vermittelter Frauenbilder ist auf die Einstellung von Frauen und ihren Umgang mit Geld nicht zu unterschätzen. Meine These lautet daher auch: Geld macht Frauen nicht sexy, im Gegenteil.

mm.de: Aha.

Upgang: Das heißt, wir sollten immer schauen, ob es sich lohnt, nach dem zu streben, was womöglich gar nicht erstrebenswert ist. Letztlich muss das jede Frau für sich entscheiden. In jedem Fall prägt es aber ihren Umgang mit Geld.

mm.de: Soweit die kulturhistorische Analyse. Wie aber lassen sich Frauen jetzt ganz praktisch für das Thema Geld und Altersvorsorge stärker sensibilisieren?

Upgang: Wir müssen das Thema Frauen und Geld positiv besetzen. Wenn das der Fall wäre, würden sich auch mehr Frauen dafür interessieren. Bildungspolitik zum Beispiel sollte daran arbeiten, zu zeigen, dass Mädchen, die Geld haben, auch witzig und nett sein können - und dass Frauen, die Geld haben, keine Hyänen sind, die keiner haben will. Das Thema Altersvorsorge an sich ist völlig unerotisch - für Männer wie für Frauen. Gleichwohl tun sich Männer in der Regel gern mit dem Hinweis hervor: Ich habe ein gutes Einkommen, ich bin erfolgreich. Das erleben sie bei Frauen viel seltener.

mm.de: Ach so, Männer interessieren sich also mehr für Geld, weil sie im Falle des Erfolgs auch damit prahlen können?

Upgang: Ich kenne zahlreiche erfolgreiche Frauen, die ihren Mercedes lieber um die Ecke parken, damit keine ihrer Freundinnen sieht, welches Auto sie fährt. Für mich ist das ein Zeichen, dass sich Frauen nur schwer daran erfreuen können, wenn sie erfolgreich Geld verdienen. Das fiele ihnen sicherlich leichter, wäre das Thema positiv besetzt. Dann würden sich Frauen auch mehr darüber unterhalten und austauschen.

"Das ist gruselig, einfach nur gruselig"

mm.de: Wenden wir den Blick mal weg vom versteckten Mercedes auf folgenden Fall: Frau, 35 Jahre, ein Kind, alleinerziehend, Halbtagsjob - viel Geld für die private Altersvorsorge bleibt da vermutlich nicht. Was kann man dieser Frau raten?

Upgang: Ich würde da immer einen Riester-Vertrag empfehlen. Denn in diesem Fall zahlt die Frau nur jene Beiträge ein, die abzüglich der staatlich gewährten Zulagen aufzubringen sind. Setzen wir ein Jahresbruttoeinkommen von 20.000 Euro voraus, müssten für die volle Zulage 800 Euro in den Vertrag fließen. Von diesen 800 Euro hätte die Frau ab 2008 wegen der Grund- und Kinderzulage selbst allerdings nur 461 Euro aufzubringen. Das läuft dann auf Monatsbeiträge hinaus, die Frauen auch mit einem geringen Einkommen leisten können.

mm.de: Mit durchschnittlich 649 Euro monatlich beziehen Frauen gegenwärtig rund 300 Euro weniger als Männer aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Das ist zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig. Ist drohende Altersarmut ein Thema, mit dem sich Ihre Klientinnen auseinandersetzen?

Upgang: Sicher, ob nun in der Beratung oder in Vorträgen, wir konfrontieren sie mit dieser Gefahr. Einer seriösen Studie zufolge haben 75 Prozent der heute 35- bis 50-jährigen Frauen eine Rente unter dem jetzigen Hartz-IV-Niveau zu erwarten. Das heißt, für sehr viele Frauen wird die Gemeinschaft aufkommen müssen, soweit sie nicht anders abgesichert sind. Wenn die Kundinnen davon erfahren, sind sie geschockt.

mm.de: Ein heilsamer Schock?

Upgang: Wir erstellen für alle unsere Klientinnen eine Rentenprognose unter Einbeziehung der Inflation. Zeigen wir ihnen das Ergebnis, fallen sie oft aus allen Wolken. Die meisten Frauen rappeln sich auf und machen dann etwas. Viele sehen aber auch keinen Sinn im Sparen, weil sie erkennen, dass die Altersrente zum Erhalt des bisherigen Lebensstandards trotzdem kaum reichen wird. Dann stellen sich schnell Fatalismus und Zynismus ein.

mm.de: Wie reagieren Sie darauf?

Upgang: Dann ist harte Überzeugungsarbeit angesagt. Oft gehen aber auch uns die Argumente aus. Wir kennen Frauen, die über 50 sind, ein kleines Gehalt beziehen und Rentenansprüche von weniger als 500 Euro haben. Was soll man da noch raten? Das ist gruselig, einfach nur gruselig.

Altersvorsorge: Das Schweigen der Frauen

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