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Leadership und Diversity Als Führungskraft alle mitnehmen

Zu den Hauptaufgaben von Führungskräften zählt, alle im Team einzubinden und ein Gefühl der Zugehörigkeit zu vermitteln. Zwei Eigenschaften der integrativen Führung sind dabei besonders wichtig: Demut und Empathie.
Foto: melitas / Getty Images/iStockphoto

Was sorgt dafür, dass sich Menschen in Organisationen zugehörig fühlen? Das Gefühl, fair und respektvoll behandelt und wertgeschätzt zu werden? Viele Faktoren spielen hierfür eine Rolle, einschließlich des Unternehmensleitbilds, der Geschäftspraktiken sowie des Verhaltens von Kolleginnen und Kollegen.

Am meisten kommt es jedoch auf die Vorgesetzten an. Wir haben herausgefunden, dass das Verhalten der Führungskräfte zu bis zu 70 Prozent darüber entscheidet, ob eine Person sich einem Unternehmen zugehörig fühlt. Und dieses Gefühl zu vermitteln ist essenziell. Denn je mehr sich die Belegschaft mit einem Unternehmen identifiziert, desto mehr meldet sie sich zu Wort, erbringt umso häufiger Leistungen jenseits der Erwartungen und arbeitet effektiver zusammen - was letztendlich die Unternehmensleistung steigert.

In Anbetracht dieser Zusammenhänge ist integrative Führung zu einer entscheidenden Führungsqualität geworden, die Unternehmen dabei hilft, sich an unterschiedliche Kunden, Märkte, Ideen und Talente anzupassen. Unsere Untersuchungen haben ergeben, dass integrative Führungskräfte eine Gruppe von sechs charakteristischen Merkmalen aufweisen:

  1. Sichtbares Engagement: Sie zeigen ein authentisches Engagement für Vielfalt, stellen den Status quo in Frage, nehmen andere in die Pflicht und machen Diversity und Integration zu einem persönlichen Anliegen.

  2. Bescheidenheit: Sie sind bescheiden in Bezug auf ihre Fähigkeiten, geben Fehler offen zu und schaffen Raum für die Beiträge anderer.

  3. Bewusstsein für Vorurteile: Sie zeigen ein Bewusstsein für persönliche blinde Flecken sowie für Fehler im System und arbeiten hart daran, dennoch eine zur Mitarbeit ermutigende Atmosphäre zu schaffen.

  4. Neugier auf andere: Sie sind aufgeschlossen und interessiert gegenüber Anderen, hören zu, ohne zu urteilen und versuchen, die Menschen um sie herum durch Empathie zu verstehen.

  5. Kulturelle Intelligenz: Sie sind sensibel für kulturelle Unterschiede und passen sich der Kultur anderer bei Bedarf an.

  6. Effektive Zusammenarbeit: Sie ermutigen andere zur Zusammenarbeit, gewährleisten Denkvielfalt und psychologische Sicherheit und legen großen Wert auf Teamzusammenhalt.

Dies sind ambitionierte Anforderungen, und es ist nicht verwunderlich, dass wir regelmäßig gefragt werden, welche die wichtigste Eigenschaft ist. Die Antwort hängt davon ab, wer fragt. Wenn es die Führungskraft ist, ist das Engagement die wichtigste Eigenschaft, denn ohne können sich die anderen Eigenschaften nicht voll entfalten.

Für alle, die mit einer Führungskraft arbeiten - wie etwa leitende oder direkte Mitarbeiter und Kollegen - stiftet das sichtbare Bewusstsein der Führungskraft für Vorurteile am meisten Zugehörigkeitsgefühl. Diese Erkenntnis wird auch von unserer Analyse des 360-Grad-Inclusive-Leadership-Assessments (ILA) untermauert, in der mehr als 4000 Mitarbeiter zu über 400 Führungskräften befragt wurden. Sie zeigt, dass zwar alle sechs Eigenschaften wichtig sind und in Wechselwirkung zueinander stehen, aber dass das Bewusstsein einer Führungskraft für persönliche und organisatorische Vorurteile für die Belegschaft am wichtigsten ist.

Aus den Kommentaren der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der ILA-Befragung geht hervor, dass zum Beispiel besonders positiv ins Gewicht fällt, wenn eine Führungskraft "ständig (ihre) Voreingenommenheit hinterfragt und andere ermutigt, sich ihrer eigenen Vorurteile bewusst zu werden" oder wenn eine Führungskraft eigene Vorurteile ergründet, indem sie zum Beispiel "[andere] bittet, ihre Gedankengänge auf Voreingenommenheit zu prüfen".

Die Befragten erwarten dabei allerdings nicht bloß ein einfaches Eingeständnis von Voreingenommenheit, bei dem immer mitschwingt, dass man wenig dagegen tun kann. Ihnen geht es vielmehr um das Bewusstsein für Voreingenommenheit in Verbindung mit zwei zusätzlichen Verhaltensweisen:

  • Demut: Die Befragten wollen sehen, dass ihre Führungskräfte entschlossen sind, eigene Voreingenommenheit anzusprechen. Fatalismus sieht so aus: "Hey, ich weiß, dass ich dieses Vorurteil habe, aber was soll's, ich bin, wie ich bin." Im Gegensatz dazu erkennen Führungskräfte, die demütig sind, ihre Anfälligkeit für Vorurteile an und bitten um Feedback zu ihren blinden Flecken und Gewohnheiten. In einem Kommentar zu einer Führungskraft hieß es, dass sie "sehr offen und verletzlich ist, was ihre Schwächen angeht und sie diese in Teamentwicklungs-Workshops anspricht. Sie teilt ihre Einschätzung der eigenen Führungsqualität offen mit dem Team und bittet oft um Feedback und Hilfe zur Selbstverbesserung." Unsere Forschungsergebnisse zeigen, dass das Wissen um Voreingenommenheit in Kombination mit einem hohen Maß an Demut das Gefühl der Zugehörigkeit innerhalb der Belegschaft um bis zu 25 Prozent steigern kann.

  • Empathie und Perspektivwechsel: Es ist dabei nicht der Wunsch der Befragten, dass ihre Führungskräfte das von ihnen erwartete Verständnis als trockene intellektuelle Übung begreifen, sondern empathisch. Dies bedeutet, Führungskräfte sollen sich in ihr Gegenüber hineinversetzen und ihm das Gefühl geben, dass es gehört wird. Ein Befragter kommentierte zum Beispiel: "[Die] Empathie der Führungskraft im Umgang mit anderen macht [die Führungskraft] ansprechbar, vertrauenswürdig und zeugt von [ihrer] Bereitschaft, mit anderen Chefs, Kollegen und Vorgesetzten zu arbeiten und/oder sie zu unterstützen." Wenn die Erkenntnis von Voreingenommenheit mit einem hohen Maß an Empathie/Perspektivenwechsel kombiniert wird, kann dies das Gefühl der Zugehörigkeit um bis zu 33 Prozent erhöhen.

Warum sind Demut und Empathie in diesem Zusammenhang so wichtig? Demut einerseits ermutigt andere, ihr Feedback mitzuteilen (zum Beispiel, dass eine Führungskraft möglicherweise manche Mitarbeiter bevorzugt oder dazu neigt, Menschen zu unterbrechen oder bestimmte Arten von Informationen auszublenden). Empathie und Perspektivenwechsel andererseits vermitteln der Belegschaft den Eindruck, dass eine Führungskraft sich um sie kümmert und ihre Ansichten berücksichtigt, anstatt mit vorgefasster Meinung oder einem eingeschränkten Vorstellungsbild voranzugehen. Darüber hinaus schafft dieses Attribut ein Gefühl persönlicher Verbundenheit zwischen Führungskräften und einer Vielzahl von Stakeholdern, wodurch es einfacher wird, gemeinsame Entscheidungen zu treffen und umzusetzen.

Die Eigenschaften in die Tat umsetzen

Wie können Führungskräfte diese Erkenntnisse in die Praxis umsetzen? Eine Taktik besteht darin, ein vielfältiges persönliches Beratungsgremium (Personal Advisory Board, PAD) einzuberufen. Ein solches besteht aus einer Gruppe von Personen, vorzugsweise in einer gleichrangigen Position, die in regelmäßigem Kontakt zur Führungskraft stehen und deren ehrliches Feedback die Führungskraft sich zu Herzen nimmt. Diese Berater können der Führungskraft einen anderen Blickwinkel auf ihre alltäglichen zwischenmenschlichen Verhaltensweisen eröffnen und aufzeigen, welche von ihnen den Teamzusammenhalt fördern oder behindern. Zum Beispiel: Schenkt die Führungskraft allen Meeting-Teilnehmern die gleiche Aufmerksamkeit oder bevorzugt sie diejenigen, die in Präsenz teilnehmen gegenüber denen, die sich virtuell dazugeschaltet haben? Bezieht sich die Führungskraft immer auf ein Geschlecht, wenn sie Beispiele nennt, oder auf beide? Verwendet die Führungskraft eine vielfältige Bildsprache, wenn sie ein ebenso vielfältiges Publikum anspricht, oder ist ihre Bildsprache einseitig (wie etwa Sportmetaphern oder ausschließlich männliche Ikonographie) und spricht nur eine Teilmenge der Belegschaft an?

Durch die regelmäßige Einberufung des Beratungsgremiums kann die Führungskraft schließlich auch Rückmeldung darüber erhalten, ob von ihr vorgenommenen Änderungen Wirkung zeigen.

Eine zweite Taktik liegt darin, dass Führungskräfte ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an ihrem Erkenntnisprozess über eigene Voreingenommenheit teilhaben lassen. Wir haben erlebt, dass Führungskräfte dies taten, indem sie ihre Beurteilungsergebnisse mit ihrem Vorgesetzten oder gar öffentlich besprachen. Einige etablierten wiederum den Tagesordnungspunkt "inclusion moments" in der wöchentlichen Teambesprechung, wo jedem eine Bühne gegeben wurde, ihre oder seine Erfahrungen mit den anderen zu teilen. Diese Aktionen drücken Demut aus und helfen darüber hinaus den Führungskräften, ihre neu gewonnenen Erkenntnisse zu testen und auszubauen und als Vorbild für eine demütige Herangehensweise an Vorurteile zu fungieren.

Eine dritte Taktik besteht darin, dass sich Führungskräfte in unbequeme oder neue Situationen begeben, die sie mit unterschiedlichen Interessengruppen in Kontakt bringen, zum Beispiel, indem sie an einem Treffen von Interessensgruppen teilnehmen oder jede Woche an einem anderen Arbeitsplatz sitzen. Sich mit solchen Situationen auseinanderzusetzen und den Status quo zu hinterfragen, hilft den Horizont zu erweitern und vorgefasste Meinungen zu durchbrechen.

Integrative Führung ist eine entscheidende Fähigkeit, um vielfältiges Denken in einer Belegschaft mit zunehmend unterschiedlichen Märkten, Kunden und Talenten zu fördern. Wir haben festgestellt, dass nur eine von drei Führungskräften eine genaue Vorstellung von ihren integrativen Führungsfähigkeiten hat. Ein Drittel glaubt, dass sie offener sind, als sie von ihrem Umfeld tatsächlich wahrgenommen werden, während ein Drittel kein Vertrauen in ihre integrativen Führungsfähigkeiten hat und daher weniger tut, als sie könnte, um andere aktiv anzuleiten und den Status quo in Frage zu stellen.

Sich seiner Fähigkeiten dahingehend bewusst zu werden ist entscheidend für die Selbstentwicklung, aber Bewusstsein allein reicht nicht aus. Ohne Demut und Empathie/Perspektivwechsel ist es für Führungskräfte schwierig, tiefe Einblicke in ihre blinden Flecke zu gewinnen, diese Defizite aufzuholen und daran zu wachsen. Dies erfordert Anstrengung, dient aber auch einem guten Zweck. Führungskräfte, die bescheiden und einfühlsam sind, werden offener für Kritik an ihrer persönlichen Voreingenommenheit, was ihnen einen größeren Einblick in die eigenen Grenzen ermöglicht und so zu mehr Demut und Einfühlungsvermögen verhilft. Diese Qualitäten sind nicht nur entscheidend für die persönliche Entwicklung von Führungskräften, sie helfen auch, dass sich andere auf dem Weg dorthin besser einbezogen fühlen. Und das ist natürlich das Ziel.