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Mitarbeiterführung Die Feedback-Falle

Seit Jahren wird Managern eingetrichtert, sie sollten alles loben oder konstruktiv kritisieren, was ihre Mitarbeiter tun. Doch dieses Verständnis von Feedback beruht auf drei Irrtümern. Wenn Sie Ihrem Team zu Spitzenleistungen verhelfen wollen, müssen Sie anders vorgehen.
aus Harvard Business manager 5/2019
Foto: Illustration: Paul Garland

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Die Debatte über Feedback am Arbeitsplatz ist alles andere als neu. Mindestens seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts hat die Frage, wie sich Mitarbeiter zu besseren Leistungen motivieren lassen, viele Meinungen und viel wissenschaftliche Forschung hervorgebracht. Seit Kurzem aber hat die Diskussion noch einmal an Intensität gewonnen.

Nehmen Sie das bis heute andauernde Experiment beim amerikanischen Hedgefonds Bridgewater Associates, "radikale Transparenz" zu leben, und die Unternehmenskultur beim US-Medienriesen Netflix, die das "Wall Street Journal" kürzlich so beschrieb: Sie "ermuntert, harte Rückmeldungen zu geben", und setzt Mitarbeiter "intensiven und unangenehmen" 360-Grad-Feedbacks aus, oft unmittelbar. Dies sind nur zwei Beispiele für die heute vorherrschende Überzeugung, dass der beste Weg, die Leistung in Unternehmen zu erhöhen, in rigorosem, regelmäßigem, offenem, allgegenwärtigem und oft kritischem Feedback besteht.

Wir fragen uns: Wie sollten wir Feedback geben und bekommen? Wie umfassend, wie häufig und über welche neue App? Und eingedenk all des Trubels um das Vorgehen von Bridgewater und Netflix – wie hart, wie unerschrocken offen sollten wir sein? Hinter diesen Fragen verbirgt sich allerdings eine andere Frage, die wir gern übersehen, dabei ist sie entscheidend. Die Suche nach immer besseren Wegen, Feedback zu geben und zu erhalten, beruht auf der Annahme, dass Feedback stets nützlich ist. Dabei haben wir nur ein einziges Ziel: Wir wollen Menschen helfen, besser zu werden. Aber wenn wir dieses Anliegen näher betrachten und uns fragen "Wie können wir jedem Einzelnen zu mehr Erfolg verhelfen und ihn dazu bringen, sich selbst zu übertreffen?", dann merken wir, dass uns die Antworten in eine andere Richtung führen.

Um es klar zu sagen: Anleitungen – die Menschen sagen, welche Schritte sie zu befolgen haben oder welches Fachwissen ihnen noch fehlt – können wirklich nützlich sein. Genau deshalb gibt es Checklisten in den Cockpits von Flugzeugen oder, seit Kurzem üblich, in Operationssälen. Es existiert in der Tat ein richtiger Weg, wie eine Krankenschwester eine Injektion verabreicht, und wenn Sie als Neuling einen Schritt vergessen oder Ihnen entscheidende Fakten über den Zustand eines Patienten nicht bekannt sind, sollte Ihnen das jemand sagen. Doch die Fälle, bei denen die Handlungen oder das Wissen, die zur Ausführung einer Aufgabe zwingend erforderlich sind, objektiv und im Voraus definiert werden können, sind rar und werden eher seltener. Wenn wir von Feedback sprechen, geht es um etwas ganz anderes. Feedback bedeutet, Menschen zu sagen, was wir von ihrer Leistung halten und was sie verbessern sollten – ob es nun darum geht, eine wirkungsvolle Präsentation zu halten, ein Team zu leiten oder eine Strategie zu entwerfen. Und diesbezüglich ist die Forschung eindeutig: Menschen zu sagen, was wir über ihre Leistung denken, macht sie nicht erfolgreicher und lässt sie auch nicht über sich hinauswachsen. Und Leuten zu erklären, was sie unserer Ansicht nach besser machen sollten, steht dem Lernen sogar im Weg.

Die verbreitete Überzeugung, dass Feedback ausnahmslos etwas Gutes ist, stützt sich auf drei Theorien, die in der Geschäftswelt als Wahrheiten gelten. Die erste besagt, dass andere Ihre Schwächen eher erkennen als Sie selbst. Sie helfen Ihnen daher am besten, wenn sie Ihnen vor Augen führen, was Sie selbst nicht sehen können. Wir bezeichnen dies als unsere "Theorie über die Quelle der Wahrheit". Sie merken nicht, dass Ihr Anzug schäbig aussieht, dass Ihre Präsentation langweilig ist und Ihre Stimme heiser klingt. Es ist daher Aufgabe Ihrer Kollegen, Ihnen so klar wie möglich zu sagen, wo Sie stehen. Täten sie das nicht, würden Sie es nie erfahren – und das wäre schlimm.

Die zweite Theorie lautet, dass der Lernprozess dem Befüllen eines leeren Gefäßes gleicht: Ihnen fehlen bestimmte Fähigkeiten, die Sie im Job benötigen, also sollten die Kollegen Ihnen diese beibringen. Wir können dies unsere "Theorie des Lernens" nennen. Wenn Sie im Vertrieb arbeiten, wie können Sie Geschäfte abschließen, wenn Ihnen die Kompetenz fehlt, den potenziellen Kunden "zu spiegeln" und seine Sprache zu sprechen? Sofern Sie Lehrer sind, wie wollen Sie sich verbessern, wenn Sie nicht die einzelnen Schritte in den neuesten Formen des Gruppenunterrichts kennenlernen und üben oder wenn Sie nicht wissen, was "umgedrehter Unterricht" ist? Die Annahme ist: Sie können es nicht, und deshalb brauchen Sie Feedback, um die fehlenden Fähigkeiten zu entwickeln.

Die dritte Theorie besagt: Außergewöhnliche Leistung ist universell. Sie lässt sich analysieren und beschreiben. Ist sie einmal definiert, kann sie von einer Person auf die andere übertragen werden – unabhängig davon, wer dies im Einzelnen ist. Feedback darüber, wie exzellente Leistung aussieht, hilft Ihnen demnach zu verstehen, in welchen Punkten Sie nicht dem Ideal entsprechen. Anschließend können Sie versuchen, an Ihren Defiziten zu arbeiten. Wir können dies unsere "Theorie der Exzellenz" nennen. Wenn Sie eine Führungskraft sind, kommt es vielleicht vor, dass Ihr Chef Ihnen das Leitbild zeigt, an dem sich das Verhalten von Vorgesetzten ausrichten soll. Er sagt dann, wo Sie stehen, und erklärt Ihnen, was Sie tun müssen, um dem Leitbild besser zu entsprechen. Streben Sie eine Führungsposition an, benutzt Ihr Unternehmen womöglich ein 360-Grad-Feedback-Tool, um Sie an klar definierten Führungskompetenzen zu messen. Auf dieser Basis schlägt es Ihnen verschiedene Kurse oder Aufgaben vor. Diese sollen es Ihnen ermöglichen, die Kompetenzen zu erwerben, die Ihnen dem Feedback zufolge noch fehlen.

Diese drei Theorien haben gemeinsam, dass sie das eigene Selbst ins Zentrum stellen: Sie betrachten es als gegeben, dass wir über Expertise verfügen, an der es unseren Kollegen mit Sicherheit mangelt. Sie gehen davon aus, dass das, was einer Person weiterhilft, auch bei anderen funktioniert. Wie sich aber herausgestellt hat, schießen wir mit diesem Ansatz über das Ziel hinaus. Das, was uns selbst zu Höchstleistungen antreibt, muss nicht zwangsläufig auch bei anderen klappen.

Die Forschung zeigt, dass keine dieser drei Theorien stimmt. Je mehr wir ihnen folgen und je mehr Tools wir um sie herum aufbauen, desto weniger werden wir andere dazu bringen, zu lernen und produktiver zu werden. Um zu verstehen, warum das so ist, und um zu erkennen, über welchen Weg sich Leistung effektiver steigern lässt, sollten wir uns jede Theorie einmal näher anschauen.

Irrtum 1: Feedback ist objektiv

Das erste Problem von Feedback ist, dass auf die Aussagen von Menschen kein Verlass ist, wenn sie andere Menschen bewerten. In den vergangenen 40 Jahren haben Psychometriker in etlichen Studien gezeigt: Menschen verfügen nicht über das notwendige Maß an Objektivität, um in ihren Köpfen eine stabile Vorstellung einer abstrakten Eigenschaft wie "Geschäftssinn" oder "Durchsetzungsvermögen" zu haben und jemand anderes akkurat anhand dieser Definition zu beurteilen. Unsere Einschätzungen sind zutiefst gefärbt: durch unser eigenes Verständnis des Merkmals, das wir bei anderen bewerten, durch unser Gefühl, wann eine bestimmte Kompetenz als gut einzustufen ist, durch unsere Härte oder Nachsicht beim Bewerten und durch tief verwurzelte, uns selbst nicht bewusste Vorurteile. Dieses Phänomen wird als "idiosynkratischer Bewertereffekt" bezeichnet. Er ist von großer Bedeutung – wenn Sie einen Menschen bewerten, spiegelt Ihre Beurteilung zu mehr als der Hälfte Ihre eigenen Eigenschaften wider, nicht die des anderen –, und er hält sich hartnäckig, kein Training kann ihn abmildern. In anderen Worten: Die Forschung zeigt, dass Feedback eher Verzerrung als Wahrheit ist.

Aus diesem Grund ist es auch so harte Arbeit, Feedback einzuholen – trotz aller verfügbaren Schulungen dazu, wie man es richtig erfragt: Denn wer Feedback erhält, muss sich durch diesen Dschungel aus Verzerrungen kämpfen, um etwas zu finden, in dem er sich wiedererkennt.

Und weil das Feedback, das Sie anderen geben, stets mehr Sie selbst als die anderen widerspiegelt, erzeugt es systematische Fehler. Diese verstärken sich, wenn mehrere Bewertungen zusammenkommen. Es gibt nur zwei Arten von Messfehlern auf der Welt: zufällige Fehler, die sich verringern lassen, indem Sie aus einer Vielzahl von Messungen einen Mittelwert bilden, und systematische Fehler, die sich nicht beseitigen lassen. Dummerweise scheinen wir alle aus dem Mathematikunterricht nur noch erstere und nicht letztere im Kopf behalten zu haben. Wir haben all unsere Tools für Feedback zu Leistung oder Führung so aufgebaut, als seien Bewertungsfehler zufälliger Natur – doch das sind sie nicht. Sie sind systematisch.

Nehmen Sie Farbenblindheit. Wenn wir eine farbenblinde Person bitten, die Röte einer bestimmten Rose zu bewerten, werden wir ihrer Antwort nicht trauen – wir wissen, dass sie nicht in der Lage ist, Rot zu sehen, geschweige denn die Farbe zu "bewerten". Ihr Fehler ist nicht zufälliger Natur, sondern vorhersehbar und erklärbar. Er rührt von einem Defekt ihres Messsystems her, daher ist er systematischer Natur. Wenn wir sieben weitere farbenblinde Personen bitten, die Röte der Rose zu bewerten, werden ihre Fehler gleichermaßen systematisch sein. Aus ihren Bewertungen einen Mittelwert zu bilden wird uns dem Ziel, den tatsächlichen Rotton der Rose zu bestimmen, nicht näherbringen. Und es ist noch schlimmer. All die falschen Bewertungen des Rots – als "grau", "ziemlich grau", "weißlich grau", "schlammbraun" und so weiter – zu addieren und daraus den Durchschnitt zu bilden entfernt uns noch weiter vom Ziel, irgendetwas Verlässliches darüber zu erfahren, wie die Individuen die Rose persönlich erleben, und zu verstehen, wie rot unsere Rose denn nun ist.

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