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Gyrokopter-Weltreise: 43.500 Kilometer im offenen Cockpit

Foto: Tanja Schalling/ picture alliance / dpa

Um die Welt im Gyrokopter Unglaubliche Reise in einem verrückten Fluggerät

43.500 Kilometer im offenen Cockpit: Der Nordire Norman Surplus will als Erster in einem winzigen Tragschrauber um die Welt fliegen. Auf dem Weg zum Weltrekord tritt er an gegen bürokratische Hürden und Wetterkapriolen - zweimal musste er schon notlanden.
Von Anika Kreller

Kalkutta - Die Neuigkeit macht schnell die Runde an diesem feucht-heißen Tag in einem kleinen Dorf vor Kalkutta: Ein Ding sei vom Himmel geschwebt, knallgelb und kaum größer als ein Ochse. Mitten in ihren Feldern ist es gelandet. Auch im Nachbardorf haben sie es gesehen. An diesem Nachmittag im April versammeln sich innerhalb von fünf Minuten 200 Menschen um das mysteriöse Fluggerät. Daraus entsteigt ein Mann in einem leuchtend roten Anzug. Er gestikuliert, geht zum Rücksitz, fummelt eine Weile daran herum. Dann steigt er wieder ein, winkt kurz - und hebt wieder ab.

So erzählt es Norman Surplus, der Mann im roten Anzug. Das gelbe Ding ist sein Gyrokopter. Der 47-Jährige ist angetreten, als erster Mensch die Welt in einem Tragschrauber zu umrunden. Am 22. März ist er in seinem nordirischen Heimatort Larne gestartet. Anfang Oktober will er dort wieder landen. Dazwischen liegen 43.500 Kilometer und 24 Länder - ein Flug über Wüsten, Bergketten und drei Weltmeere.

Der Rumpf des Gyrokopters ist nicht viel größer als ein Zweierbob. Daran sind drei kleine Räder montiert, das Ruder hängt an einem dünnen Alugestänge. Der Rotor wird nur durch den Fahrtwind in Drehung versetzt. Der Motor, der lediglich den Antriebspropeller am Heck bewegt, ist ungeschützt, das Cockpit offen - kein Wunder, dass die indischen Dorfbewohner sich über den Flieger wunderten. An dem Aprilnachmittag musste Surplus notlanden und das Benzin per Hand nachfüllen, weil eine Luftblase den Tankschlauch verstopfte. "Ich glaube, die Leute dort reden noch heute darüber", sagt Surplus lachend.

Das ungewöhnliche Fluggerät wirkt überall wie ein Magnet: Wo Surplus landet, strömen die Leute hin. Die meisten haben so ein Gefährt noch nie gesehen. "Ich fühle mich oft wie in den zwanziger Jahren, als Flugzeuge noch ähnliche Reaktionen hervorriefen", sagt Surplus.

Sandmännchen im Kampf gegen die Bürokratie

Zurzeit ist er mit seinem gelben Gyrokopter auf den Philippinen. Hinter ihm liegen die Strände von Frankreich, Italien und Griechenland, die Pyramiden von Gizeh, die saudi-arabische Wüste, die Scheichtümer von Katar, Oman und den Vereinigten Arabischen Emiraten, der indische Subkontinent sowie Burma, Thailand und Malaysia. In den nächsten Tagen und Wochen will Surplus weiter nach Taiwan, Japan, über Russland zur Beringstraße nach Alaska, Kanada und in die USA und von dort aus dann über Grönland, Island und die Färöer-Inseln über den Atlantik zurück nach Nordirland.

Mit seinem 160 km/h schnellen Cabrio-Flieger legt Surplus im Schnitt 700 Kilometer am Tag zurück. Das Modell kommt von einer deutschen Firma. "Die haben die beste Bauqualität", erklärt der Pilot, der ein Unternehmen für Windkraftanlagen in Larne besitzt. Wie ein Spielzeug wirkt der Gyrokopter: Wenn er darin sitzt, erinnert Surplus ein bisschen an das Sandmännchen, das auch immer etwas zu groß für seine Fluggeräte aussah. Eine Weltumrundung in einer fliegenden Nussschale - was anderen den Angstschweiß auf die Stirn treibt, macht für Surplus gerade den Reiz aus. "Man spürt den Wind, und der Ausblick ist wunderbar", sagt er. Tatsächlich sei das Fliegen noch das Einfachste am seinem Projekt. "Die meisten Schwierigkeiten macht die Bürokratie", sagt Surplus.

Landegenehmigungen, Überflugrechte, Flughöhen - alles muss vorher geklärt und beachtet werden. So bestanden die Ägypter darauf, dass er zweieinhalb Kilometer hoch fliegt. "Da wurde es ganz schön kalt", erzählt Surplus lachend. Normalerweise ist er in etwa 1000 Meter Höhe unterwegs. "Da hat auch mein Überlebensanzug nicht mehr geholfen." Den hatte er extra in Finnland anfertigen lassen. Eine Stoffmischung aus Nylon, Teflon und Polyurethan soll ihn warm und trocken halten und in den tropischen Gebieten vor der Sonne schützen. Außerdem ist ein roter Notfallknopf eingebaut. Wird er gedrückt, sendet er ein Signal mit seiner Position an eine Rettungsstelle in England.

Für China waren Überflugrechte nicht zu bekommen - Surplus musste die Route um das Land herum planen. Im Nachhinein ein Glücksfall: "Durch den Umweg habe ich viele interessante Menschen und Kulturen kennengelernt, die mir sonst entgangen wären", sagt er. Auch Russland wird eine bürokratische Herausforderung. Die Behörden bestehen darauf, dass ein russischer Begleiter mitfliegt. Das Problem: Auf dem Rücksitz des Gyrokopters lagern neben dem gesamten Gepäck auch zwei zusätzliche Benzintanks, die die Reichweite des Tragschraubers von den üblichen 480 auf knapp 1300 Kilometer erweitern.

1000 Menschen auf dem Rücksitz

Unberechenbarer als die Bürokratie ist nur das Wetter. Der Gyrokopter hat keinen Autopiloten, bei schlechter Sicht kann er nicht fliegen. Schon einige Male musste Surplus eine Zwangspause einlegen. Die Ungewöhnlichste erlebte er in Saudi-Arabien: Auf dem Weg von Riad nach Doha zog ein Wüstensturm auf. Zurück konnte er auch nicht, denn hinter ihm braute sich schon der nächste zusammen. Also landete Surplus kurzerhand neben einer Tankstelle auf einer Straße mitten in der Wüste. Die Saudis schauten zunächst ein wenig irritiert, boten ihm aber dann süßen Chai-Tee und einen Schlafplatz an. Am nächsten Morgen schob Surplus sein nur 500 Kilo schweres Fluggerät an die Zapfsäule - es fliegt mit ganz normalem Benzin.

Am Boden schließt Surplus mit seinem ungewöhnlichen Flieger schnell Freundschaften. Und auch in der Luft fühlt er sich nie allein. Über einen sogenannten Spot Tracker  kann jeder am eigenen Computer verfolgen, wo er gerade ist. "Das ist für mich psychologisch wichtig", sagt Surplus. "Es ist, als säßen tausend Leute auf dem Rücksitz, die mir beim Fliegen über die Schulter schauen."

Surplus' Weltreise ist ein großer persönlicher Triumph. Noch vor sieben Jahren sah es nicht so aus, als würde er das Jahr 2010 erleben: Damals wurde bei ihm Darmkrebs diagnostiziert, da war er gerade 40. Im Krankenhaus bot ihm vor allem der Fernseher Ablenkung. Beim Zappen durch das Vormittagsprogramm stieß er auf eine Sendung, in der ein alter Tragschrauber restauriert wurde. Surplus kannte solche Gefährte bisher nur aus einem James-Bond-Film. Die Leichtigkeit und Agilität beeindruckten ihn. Er schwor sich: "Wenn ich hier rauskomme, lerne ich, so ein Ding zu fliegen." Surplus kämpfte sich entgegen aller Prognosen erfolgreich durch die Chemotherapie. Bald nach seiner Entlassung machte er sein Versprechen wahr: 2005 begann er das Flugtraining im Gyrokopter.

Hitzeempfindlicher Bruchpilot

Mit der Weltumrundung will Surplus nun auch Geld für die Krebsforschung sammeln, die ihm selber zugute kam. Und er will ein Zeichen setzen: "Der Flug um die Welt soll zeigen, was man mit einer positiven Einstellung alles erreichen kann - und Menschen aufmuntern, die in einer ähnlich aussichtlosen Lage sind wie ich damals", sagt Surplus.

Er ist nicht der Erste, der eine solche Weltumrundung versucht. 2004 scheiterte der Brite Barry Jones am indischen Monsunregen, der seinen Gyrokopter überflutete. Und auch Surplus stand schon einmal kurz vor dem Ende seines Projekts: Am 1. Mai musste er in Thailand in einem See notlanden. Zu seinem Glück war das Gewässer so flach, dass sein Fluggerät und das Gepäck geborgen werden konnten.

Aufgeben wollte Surplus nach dem Crash nicht. Aber eine Zeitlang war unklar, ob es weitergehen konnte. Erst nach drei Monaten war der Gyrokopter wieder flugtüchtig. Eine der größten Herausforderungen liegt nun noch vor ihm: der Flug über den Atlantik mit seinem unberechenbaren Wetter. Surplus freut sich schon darauf: "Wenigstens sind die Temperaturen dann wie zu Hause. Die 47 Grad in Indien waren echt zu viel."

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