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Diskussion um Lockerung der Beschränkungen "Wir sind bis hierhin gut durchgekommen zusammen"

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zeigt sich optimistisch

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zeigt sich optimistisch

Foto: Bernd von Jutrczenka/ dpa

Drei Tage vor den nächsten Beratungen von Kanzlerin Angela Merkel mit den Ministerpräsidenten werden die Rufe nach einem schrittweisen Ausstieg aus den harten Corona-Beschränkungen lauter. FDP-Chef Christian Lindner forderte, den entsprechenden NRW-Plan zur "Blaupause für ganz Deutschland" zu machen. Ex-Unionsfraktionschef Friedrich Merz nannte es "wichtig, in den Betrieben so schnell wie möglich wieder normal zu arbeiten". Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) bot breite Unterstützung der Bundeswehr etwa bei der Nachverfolgung von Infektionsketten an.

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zeigte sich optimistisch, dass Deutschland die erste Dynamik der Corona-Krise gut übersteht. "Wir sind bis hierhin gut durchgekommen zusammen", sagte er Bild TV. "Wenn wir das jetzt durchtragen über Ostern, dann werden wir diese erste Dynamik gemeinsam geschafft haben, und dann wird es darum gehen, wie wir schrittweise zurückkommen." Für die Wirtschaft nannte Spahn konkrete Bedingungen: "Wenn uns bestimmte Branchen zeigen, sie können Hygiene- und Abstandsregeln durchsetzen, dann können die Bereiche, wo das geht, auch wieder anfangen, in den Alltag zurückkehren." Für Schulen und Kindergärten werde es dagegen knifflig.

Die Wirtschaftsweisen sprachen sich in einem Gastbeitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" (FAS) bei der Lockerung gegen starre Bestimmungen für einzelne Wirtschaftsbranchen aus. "Die Politik sollte klare Regeln vorgeben, die helfen, die Virusausbreitung einzudämmen und eine Überlastung des Gesundheitssystems durch schwere Krankheitsverläufe zu vermeiden." Mehrere Ministerpräsidenten warben für Geduld, während NRW-Regierungschef Armin Laschet Kriterien für ein Wiederanfahren der Wirtschaft entwickeln ließ.

Sachsen-Anhalts Bildungsminister Marco Tullner (CDU) ist dafür, zuerst die Abschlussjahrgänge wieder in den Schulen zu unterrichten. Nur so könne es in ungewöhnlichen Zeiten ein normales Abitur geben, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Eine Öffnung für alle Kinder und Jugendlichen hält Tullner für unwahrscheinlich. Ihm fehle die Fantasie bei der Frage, wie mit Kleinkindern im Kindergarten die Abstandsregel von 1,5 Metern eingehalten werden sollten. Der Städte- und Gemeindetag plädierte für umfassende Tests und das Tragen von Masken bei einer anvisierten Lockerung.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) will an diesem Mittwoch (15. April) mit den Ministerpräsidenten in einer Schaltkonferenz die Lage in der Corona-Krise nach den Ostertagen bewerten. Sie hatte sich kürzlich für ein vorsichtiges Vorgehen ausgesprochen. Zunächst war offen, ob am Mittwoch bereits weitreichende Entscheidungen getroffen werden. In der Bundesregierung wurde dies als wünschenswert bezeichnet, da die Länder bis zur nächsten Schaltrunde mit der Kanzlerin am 19. April Anschlussregeln für ihre vor vier Wochen meist bis zum Ende der Osterferien terminierten allgemeinen Verfügungen erlassen müssten. Bereits an diesem Dienstag tagt erneut das Corona-Krisenkabinett.

Lindner sagte der dpa: "Einschränkungen der Freiheit sind nur so lange gerechtfertigt, wie es keine bessere Alternative gibt." Offensichtlich sei der jetzige Zustand für den Gesundheitsschutz nicht mehr zwingend nötig, eine schrittweise Öffnung sei möglich. "Mit verantwortlichen Schritten für den Gesundheitsschutz kann und muss nach Ostern das Leben langsam wieder hochgefahren werden."

"Jetzt muss auch in den Blick genommen werden, dass der Stillstand auch soziale, psychologische und wirtschaftliche Schäden verursacht. Wenn sie durch eine neue Strategie verhindert werden können, darf diese Möglichkeit nicht ausgeschlagen werden", sagte Lindner auch vor dem Hintergrund der Ergebnisse der von der NRW-Landesregierung eingesetzten Expertengruppe. "Die Bundesregierung und die anderen Länder sollten auf der Grundlage der Vorschläge des größten Bundeslandes in dieser Woche einen gemeinsamen Weg für die langsame Rückkehr in die Normalität beschließen", forderte der FDP-Chef.

Schrittweise Rückkehr zur Normalität

In einem Papier der NRW-Expertengruppe waren Maßstäbe und Vorschläge zur Lockerung der Corona-Einschränkungen genannt worden. Eine Rückkehr zur Normalität könne schrittweise forciert werden, wenn klar sei, dass das Gesundheitssystem absehbar nicht überfordert sei und die Voraussetzungen für ein besseres Monitoring der Krise vorlägen.

Kramp-Karrenbauer sagte der dpa zum weiteren Unterstützungseinsatz der Bundeswehr: "Wir haben sehr viele Köpfe, sehr viele Hände, die bereit sind zu helfen." Denkbar sei etwa der Einsatz in Gesundheitsämtern bei der Nachverfolgung von Infektionsketten. Soldaten könnten aber auch helfen, Einkäufe zu organisieren, wenn Menschen ihre Wohnung nicht verlassen könnten.

Merz, der für den CDU-Vorsitz kandidiert, stellte sich hinter den Kurs Merkels für einen vorsichtigen und schrittweisen Ausstieg aus den Beschränkungen. "Die Infektionsgefahr ist nicht über Nacht gebannt, und auch viele Unternehmen kann man nicht einfach am Tag X wieder einschalten wie eine Wohnzimmerlampe", sagte er der dpa in Berlin. "Mit gewissen Einschränkungen werden wir also noch eine ganze Weile leben müssen." Nach Ostern werde es "mehr und mehr um die Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft gehen".

Bayerns Regierungschefs Markus Söder dämpfte jedoch Hoffnungen, in Kürze würden die Kontaktbeschränkungen abgebaut: "Es wird auch nach den Osterferien nicht einfach so weitergehen können wie vorher. Wer zu früh lockert, riskiert einen Rückfall." Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann sagte der FAS, es hänge von der Zahl der Infizierten, Testkapazitäten, medizinischen Personal und Zahl der Intensivbetten ab. Ähnlich wie Kretschmann sagte der sächsische Regierungschef Michael Kretschmer dem Blatt: "Solange es nötig ist, müssen wir durchhalten."

Unternehmen brauchen Anhaltspunkte

DIHK-Präsident Eric Schweitzer sagte, Unternehmen bräuchten Anhaltspunkte, wie es weitergehen werde. Ein solcher Horizont sei für die Unternehmensfinanzierung von enormer Bedeutung. "Denn die Firmen müssen auch Geldgebern eine Perspektive bieten können." Wirtschaft und Politik müssten darüber sprechen, wie sie Gesundheitsschutz mit Maßnahmen zur Stabilisierung der Wirtschaft verbinden könnten. Berater der Bundesregierung - die sogenannten Wirtschaftsweisen - sprachen sich gegen starre Öffnungen und Schließungen einzelner Branchen aus. Die Politik sollte klare Regeln vorgeben, schrieben die fünf Ökonomen in einem Gastbeitrag für die FAS. "Unternehmen und Einrichtungen könnten wieder öffnen, wenn sie die Richtlinien einhalten."

Diskutiert wird auch, ob bei einem Lockern der Maßnahmen begleitend das Tragen von Schutzmasken verpflichtend sein soll. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) sagte der "Bild am Sonntag": "Wir werden das öffentliche Leben nur schrittweise hochfahren können. Und wir brauchen zusätzliche Maßnahmen wie Mundschutz für alle."

Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der dpa zufolge spricht sich die Mehrheit der Deutschen dafür aus, das Tragen von Masken zumindest an bestimmten Orten zur Pflicht zu machen. Demnach wollen 33 Prozent eine solche Pflicht wie in Österreich auf Supermärkte beschränken. Weitere 21 Prozent meinen, dass generell in der Öffentlichkeit Schutzmasken getragen werden sollten. Nur 37 Prozent sind gegen eine Schutzmaskenpflicht, 9 Prozent machten keine Angaben. In Österreich hatte die Regierung Ende März das Tragen von Schutzmasken in Supermärkten verordnet.

dpa/akn