Zum Inhalt springen

US-Sparpaket Warum die USA die Klippe kaum umschiffen können

Barack Obama und sein Gegenpart John Boehner treffen sich zum Krisengipfel: Es gilt, Steueranhebungen und Kürzungen in Höhe von 607 Milliarden Dollar zu vermeiden. Boehner und viele Parteifreunde dürften wenig kompromissbereit sein: Es geht um ihre Jobs, und die Tea Party macht Druck.
Von Markus Gärtner
John Boehner: Boehner will im Januar als Sprecher des Repräsentantenhauses wiedergewählt werden. Zeigt er sich nachgiebig, könnte er den Job los sein

John Boehner: Boehner will im Januar als Sprecher des Repräsentantenhauses wiedergewählt werden. Zeigt er sich nachgiebig, könnte er den Job los sein

Foto: REUTERS

New York - Die Kreditwächter drohen mit einer weiteren Abstufung der USA. Die Wall Street jault auf, die Kurse haben seit der US-Präsidentschaftswahl kräftig nachgegeben. Die Topmanager führender US-Firmen schreiben alarmierende Briefe an den Kongress: Die Angst vor dem Sturz über das fiskalische Kliff - also 607 Milliarden Dollar höhere Steuern und reduzierte Budgetausgaben Anfang 2013 - versetzen die USA in Alarmstimmung.

Selbst die G20 warnten vor einer Woche bei ihrem Gipfeltreffen in Mexiko City: Der nahende Budget-GAU, der die US-Wirtschaft zurück in eine Rezession stoßen könnte, stellt jetzt die größte Gefahr für die Weltwirtschaft dar. Es beruhigt die Börsianer auch nicht, dass Barack Obama und sein wichtigster Gegenspieler bei den Republikanern, John Boehner, in ersten Stellungnahmen zu den anstehenden Verhandlungen über ein gemeinsames Sparpaket kompromissbereit klingen.

"Wenn das Wahlergebnis einen Auftrag enthält, dann ist es der zur Zusammenarbeit", fasste John Boehner, der Sprecher des Repräsentantenhauses, am Tag nach der Präsidentenwahl das Resultat zusammen. Er sei bereit, sich auf "höhere Einnahmen" einzulassen, so Boehner. Manche sahen darin einen Wink, die Republikaner könnten ihre rigide Position aufweichen und höheren Steuersätzen für besser verdienende Amerikaner mit einem Einkommen über 250.000 Dollar zustimmen. Auch Obama signalisiert die Bereitschaft zum Kompromiss. Er sei "nicht mit allen seinen Positionen verheiratet", gab er am Freitag zu Protokoll, doch er werde keinen unausgewogenen Sparkompromiss unterschreiben.

Trotz der Kompromissformeln: Kontrahenten liegen weit auseinander

So weit, so gut. Doch schon jetzt zeichnet sich ein erbarmungslos hartes Ringen in den Gesprächen ab, zu denen Obama für diese Woche ins Weiße Haus geladen hat. Neben Boehner sind auch Nancy Pelosi eingeladen, die Fraktionschefin der Demokraten im Repräsentantenhaus sowie der Top-Demokrat im Senat, Harry Reid, und dessen Republikanischer Counterpart Mitch McConnell. Schon vor diesem ersten vor sicher vielen Treffen in den kommenden Wochen ist deutlich: Die Positionen sind weit voneinander entfernt.

Und die Top-Repräsentanten der Republikaner haben bei diesen Gesprächen viel zu verlieren, wenn sie wirklich zu einem Kompromiss bereit sind. Allen voran Boehner, der im Januar als Sprecher des Repräsentantenhauses wiedergewählt werden will. Er könnte Gegenkandidaten haben, heißt es in Fraktionskreisen. Gibt Boehner auch nur einen Zentimeter bis zu seiner Wiederwahl nach, ist er den enorm einflussreichen Job wahrscheinlich los.

Mit Mitch McConnell muss auch der zweite von wenigen Top-Republikanern am Verhandlungstisch auf den Wahl-Kalender schielen. McConnell, ein Senator aus Kentucky, war schon im vergangenen Jahr eine Schlüsselfigur bei den damals gescheiterten Sparverhandlungen. Er bewirbt sich 2014 in der nächsten Zwischenwahl für den Kongress um eine Wiederwahl. Jegliches Zugeständnis, das aus der Sicht seiner Wähler als Schwäche gewertet werden könnte, wird Mitch McConnell ablehnen.

Höhere Steuern für die Reichen: Für Obama geht es um Glaubwürdigkeit

Obama dagegen kann sich nicht um eine dritte Amtszeit bewerben, er kann harte Verhandlungen führen, für ihn geht es um den Einzug in die Geschichtsbücher. Aus diesem Grund gruben sich Obama und Boehner am Freitag auch gleich in ihren Stellungen ein, obwohl sie laut vernehmbar ihre Bereitschaft zu Zugeständnissen signalisierten.

Höhere Steuern für die Reichen, sagt Obama, "waren ein zentraler Punkt in meinem Wahlkampf, die Mehrheit der Amerikaner will das auch."

Ebenso vehement ist Boehners Absage an höhere Steuersätze für die wohl betuchten Amerikaner. "Mehr als die Hälfte von diesen Leuten sind Mittelständler, höhere Steuern reduzieren deren Bereitschaft, neue Jobs zu schaffen", kontert Boehner.

Grabenkrieg zwischen der Tea Party und gemäßigten Konservativen

In der Republikanischen Partei hat ein Grabenkrieg zwischen dem radikalen Flügel der Tea Party und den gemäßigteren Konservativen begonnen. Sowohl im Repräsentantenhaus - wo die Republikaner weiterhin die Mehrheit stellen - als auch im Senat haben sie diesmal Sitze verloren.

Die republikanische Partei sucht aber nicht nur einen Schuldigen für die Wahlschlappe von Mitt Romney. Sie sucht auch ein schärferes Profil. Ein Einknicken am Verhanglungstisch hilft ihnen dabei nicht.

Schon jetzt erhält Boehner zahlreiche Warnungen aus seiner Fraktion. Diesmal solle er keinen Kompromiss mit dem Präsidenten aushandeln, ohne zuvor die Abgeordneten zu konsultieren. So war das 2011 gewesen, und Boehner musste einen für ihn persönlich peinlichen Rückzieher machen.

Alarmstimmung bei der Tea Party: "Gibt Boehner diesmal Obama nach?"

Selbst moderate Republikaner rufen Boehner in dieser Lage zu einer strikten Verhandlung auf, in der keine Prinzipien - wie höhere Steuersätze - aufgegeben werden. Ein Beispiel ist der Republikanische Abgeordnete John Fleming aus Louisiana. Fleming räumt ein, dass es unter den Konservativen manche gibt, die bereit wären, Obama bei höheren Steuern für die Reichen nachzugeben.

Aber er warnt eindringlich: "Mag sein, dass eine Mehrheit von Amerikanern mit höheren Steuern für besser Verdienende leben kann, aber das ist eine emotionale Haltung nach dem Motto: Mir geht es schlecht, jemand anders soll zahlen. Aber das löst nicht die Probleme von Amerika."

Unterdessen hadert die bei der Wahl ordentlich gerupfte Tea Party am rechten Rand der Konservativen damit, dass Romney als gemäßigter Kandidat gegen Obama gescheitert ist. Ein zuverlässigerer Kandidat mit mehr konservativem Stallgeruch wäre ihnen lieber gewesen.

Mit den Tea-Party-Kandidaten Linda McMahon, Richard Mourdock und Todd Akin haben drei prominente Mitglieder der Protestbewegung gegen Obamas Bailouts in der vergangenen Woche wichtige Wahlgänge in Connecticut, Indiana und Missouri verloren. Jetzt hat der radikale Flügel, der für kleine Regierungen, minimale Regulierung und drastische Budgetkürzungen steht, Furcht, dass Boehner ihnen in den Rücken fällt.

"Gibt Boehner jetzt Obama nach?, oder hält er Kurs? Oder geht er zu den Abgeordneten der Tea Party und erklärt ihnen, wie viel sie nachgeben müssen, um an der Macht zu bleiben?" Das fragt Brendan Steinhauser von FreedomWorks, einer der Tea-Party-Aktivisten.

Big Money muss das gestörte Verhältnis zum Weißen Haus reparieren

Nach dieser Wahl können die Republikaner auch nicht so stark die Vertreter der Wirtschaft einspannen wie in früheren Kampagnen gegen Obamas Steuerpläne. Die Wall Street-Banken und viele große Firmen haben bei dieser Präsidentenwahl voll und ganz auf Romney gesetzt - und verloren. Jetzt wollen sie ihr gestörtes Verhältnis zum Weißen Haus reparieren. "Die Wall Street muss jetzt einen Weg finden, diese gestörte Beziehung zu normalisieren", sagt der Nomura-Analyst Glenn Schorr. "Das ist nicht unmöglich, aber das ist nicht der Start für Obamas zweite Amtszeit, den man sich an der Wall Street gewünscht hätte."

Ein bitterer Kreuzzug gegen höhere Steuern für Reiche würde der Finanzwelt in dieser Situation sicher nicht helfen, zumal in den vergangenen Wochen über 80 prominente CEOs sich öffentlich für höhere Steuern aussprachen, um den eskalierenden Budgetdefiziten zuleibe zu rücken. Fondsmanager und Finanzinvestoren hatten Obama auf dem Höhepunkt der bitteren Schuldenverhandlungen in Washington im Sommer 2011 teils massiv angegriffen. Der Mitbegründer der Blackstone Group, Steven Schwarzman, hatte einen von Obamas Sparvorschlägen "mit dem Einmarsch von Hitler in Polen 1939" verglichen.

Für die Republikaner bedeutet das, dass sie in den Verhandlungen einen wichtigen Verbündeten weniger haben, zumindest keinen, der sich gewohnt stark ins Zeug legen kann. Was die Verhandlungsposition der Republikaner zusätzlich erschwert, ist der Faktor Zeit. Boehner will einen Umbau des Steuersystems in die Verhandlungen zum Schuldenabbau einbeziehen. Er glaubt, dass ein effizienteres Steuersystem die Konjunktur kräftig anschieben und so die Steuereinnahmen verbessern kann.

Doch Zeit ist genau das, was Amerika nicht hat, denn das fiskalische Kliff droht in nur acht Wochen.

Krugman: "Obama soll hart bleiben"

Verhandlungen über eine Reformierung des Steuersystems brauchen jedoch mehr Zeit als nur acht Wochen. Die Konservativen könnten also in Versuchung gelangen, die Verhandlungen auch aus diesem Grund zu verschleppen. Für die Wall Street bedeutet das einen möglichen Albtraum. Anleger und Investoren wollen klare Verhältnisse. Unsicherheit ist Gift für die Aktienkurse.

Aber auch Obamas Demokraten könnten in Versuchung geraten, auf Zeit zu spielen. Die Republikaner sind nach dieser Wahl geschwächt. Eine Untersuchung, die das Congressional Budget Office am Donnerstag vorlegte, argumentiert zudem, dass - entgegen Boehners Behauptung - ein vereinfachtes Steuersystem mit geringeren Sätzen für die Einkommen die Wirtschaft nicht ausreichend anheizen könnte, um über Mehreinnahmen des Staates die Etatlücken zu schließen.

Eine Lösung des Schuldenproblems durch Wachstum allein wird bezweifelt. In dieser Situation rät Nobelpreisträger Paul Krugman Obama, sich bei den Verhandlungen Zeit zu lassen. Der Druck auf die Konservativen - und die Wirtschaft - sei immens. "Obama soll hart bleiben, selbst um den Preis, dass seine politischen Gegner der zerbrechlichen Erholung Schaden zufügen", sagt Krugman. Sein Argument: Schwerer Schaden tritt für die US-Konjunktur 2013 erst nach ein paar Wochen oder Monaten ein, wenn es keinen Spar-Kompromiss gibt. Also solle Obama zulassen, dass der Druck auf die Konservativen groß genug wird, um sie zu Zugeständnissen zu zwingen.

Viele US-Amerikaner sind bereit, höhere Steuern zu zahlen

Die Wahl vor einer Woche hat auch deutlich gemacht, dass Amerikas Wähler durchaus bereit sind, höhere Steuern zu zahlen, selbst im Mittelstand. Die sogenannte "Proposition 39", die große Firmen zu höheren Steuern veranlagt, wurde mit 60 Prozent angenommen. Die "Proposition 30", die von den Kaliforniern eine Anhebung der Umsatzsteuer verlangt, um eine Lücke von sechs Milliarden Dollar im Schul-Budget des Bundesstaates zu schließen, wurde mit 53,9 Prozent der Stimmen angenommen.

Umfragen an den Wahlurnen hatten in der Wahlnacht zudem gezeigt, dass 60 Prozent der amerikanischen Wähler höheren Steuersätzen für die Reichen zustimmen.

Die Kreditwächter bei Standard & Poor's sehen unterdessen die Gefahr eines Sturzes über das fiskalische Kliff steigen. Sie beziffern die Wahrscheinlichkeit dieses Budget-GAUs jedoch noch bei unter 20 Prozent.

Die Hoffnung, dass in Washington ziemlich schnell die Vernunft siegt, hält sich also noch. Doch sie könnte sich schon bald als Illusion entpuppen.