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Automobilabsatz "Autokäufer werden wieder vorsichtiger"

In diesem Jahr werden Deutschlands Autohersteller mit Absatzrekorden glänzen. Doch für 2012 nehmen die Unsicherheiten zu. Automobilexperte Thomas Sedran über die Auswirkungen der Euro-Schuldenkrise, lange Lieferzeiten als Vorsichtsmaßnahme und erste Maßnahmen gegen einen Abschwung.
Von Wilfried Eckl-Dorna
Ford-Neuwagen bei dem Transport auf dem Rhein: In Südeuropa halten sich Autokäufer wegen der Schuldenkrise bereits zurück

Ford-Neuwagen bei dem Transport auf dem Rhein: In Südeuropa halten sich Autokäufer wegen der Schuldenkrise bereits zurück

Foto: Oliver Berg/ picture-alliance/ dpa

mm: Herr Sedran, die deutschen Autohersteller haben in diesem Jahr Rekordzahlen vorgelegt und steuern auf ein glänzendes Jahr 2011 zu. Doch in der Branche gibt es nun erste Stimmen, die vor einem möglichen Konjunktureinbruch warnen. Was trübt die bisher so offen zur Schau getragene Euphorie?

Sedran: Leider zeigt sich das Finanzsystem nicht ganz so stabil, wie es sich die Länder Europas nach den Milliardenspritzen an ihre Banken erhofft hatten. Die Diskussion über die Stabilität des Euro wirkt sich inzwischen auch auf das Verbraucherverhalten bei größeren Konsumentscheidungen aus. Im September waren die Auftragseingänge zwar noch in Ordnung, doch im Grunde sind die Autohersteller sehr vorsichtig, denn die Erinnerung an 2008 ist noch sehr frisch. Alle bereiten sich auf ein bisschen weniger Absatz in Europa im nächsten Jahr vor.

mm: Wieso könnte die europäische Schuldenkrise die deutschen Autohersteller so stark treffen? Das große Wachstum stammt doch ohnedies von außerhalb Europas.

Sedran: Die meisten deutschen Autohersteller setzen immer noch über 50 Prozent ihrer Fahrzeuge in Europa ab. In den südeuropäischen Märkten sieht man bereits, wie sich niedrigeres Verbrauchervertrauen auswirkt. So werden in Italien in diesem Jahr etwa 200.000 Autos weniger verkauft als noch im Jahr 2010, in Spanien sind es 150.000 weniger. Das ist signifikant. Die Frage ist nun, was in Deutschland passiert. In diesem Jahr werden wir 350.000 Zulassungen mehr haben als noch 2010, der deutsche Markt ist der margenstärkste in Europa. Doch ob die gute Stimmung hält, ist unsicher.

mm: Welche Gefahren sehen Sie denn für den deutschen Automarkt?

Sedran: Keiner weiß, wie viel Vertrauen deutsche Verbraucher in ihr Einkommen der nächsten drei Jahre haben. Zudem befürchten die Konsumenten, dass wir neben der Umlage für Ostdeutschland womöglich künftig auch Geld nach Griechenland und Italien schicken müssen. In diesem Szenario gäbe es in Deutschland dann nicht mehr 3,5 Millionen Neukunden pro Jahr, sondern vielleicht nur mehr 2,8 Millionen. Das wirkt sich dann schon deutlich aus.

mm: Gibt es bereits Anzeichen dafür, dass die Krise im Bankensektor wie im Jahr 2009 auf die Realwirtschaft übergreift?

Sedran: Man merkt heute schon an einigen Stellen, dass die Autokäufer wieder vorsichtiger werden. Doch letztlich wird alles davon abhängen, ob die Banken wie vor drei Jahren bei der Vergabe von Darlehen wieder restriktiver werden. Für eine solche Kreditverknappung gibt es allerdings noch keine Anzeichen. Die Europäische Zentralbank ( EZB) hat in den letzten Tagen einiges in die Wege geleitet, um die Lage zu stabilisieren. Doch die Verschuldungsfähigkeit der Staaten ist am Limit, und das schränkt die Möglichkeiten einiger Länder ein, Konjunkturprogramme zu fahren. Eine zweite Abwrackprämie wird es in Deutschland nicht geben.

Hersteller und Zulieferer haben Fixkosten deutlich gesenkt

mm: Bestehen in diesem Szenario große Insolvenzgefahren für Unternehmen der Automobilbranche, wie es ja vor drei Jahren der Fall war?

Sedran: Nein, das sehe ich ehrlich gesagt nicht. Hersteller und Zulieferer haben stark an ihren Fixkosten gearbeitet, BMW  und Daimler  beispielsweise haben heute mehrere Tausend Menschen weniger auf ihrer Gehaltliste als noch 2008. Die Deutschen haben zwar nicht so dramatisch restrukturiert wie ihre Konkurrenten in den USA, wo massiv Kapazitäten abgebaut wurden. Doch genau das hat sich in den letzten 18 Monaten als Glücksfall erwiesen, denn sonst hätten die Autohersteller und Zulieferer den Boom in China nicht mitnehmen können. Laut der jährlich durchgeführten Automotive-Studie von Alix Partners waren im Jahr 2009 rund 50 Prozent der Zulieferer insolvenzgefährdet, derzeit sind es 17 bis 19 Prozent. Das entspricht in etwa dem Normalzustand in einem guten Jahr, und hier sehe ich derzeit keine großen Veränderungen.

mm: Vor drei Jahren traf der Konjunktureinbruch die Autobranche ziemlich unvorbereitet. Was haben die Unternehmen daraus gelernt?

Sedran: Ich sehe zwei große Unterschiede. Die Fixkosten der Unternehmen sind deutlich niedriger als noch vor drei Jahren. Der zweite Unterschied liegt in den Beständen an Fertigfahrzeugen, die bereits im Markt sind. Waren Mitte 2008 noch 100.000 produzierte Fahrzeuge auf Lager bei Herstellern und Handel, so sind es heute etwa 50.000 solcher Fahrzeuge. Das ist das absolute Minimum, um die Lieferzeiten noch im Rahmen zu halten.

mm: Wie hat sich dieser hohe Bestand vor drei Jahren ausgewirkt?

Sedran: Was die Zulieferer und Autohersteller im Endquartal 2008 so beutelte, war der Verkauf von Lagerfahrzeugen. Die Hersteller mussten sehr attraktive Angebote machen, um Käufer zu finden. Gleichzeitig wurde die Produktion zurückgefahren, also weniger Fahrzeuge gebaut als wenige Monate zuvor geplant und deutlich unter den verfügbaren Kapazitäten. Diese Situation haben wir heute nicht mehr. Man erkennt an den relativ langen Lieferzeiten für bestimmte Modelle und Motoren, wie stark die Autohersteller auf Sicht fahren. Sie entscheiden Monat für Monat, wie viel Bestand sie wirklich brauchen.

mm: Die Hersteller sind heute also näher an der Realität als noch im Jahr 2008?

Sedran: Die Autohersteller hatten sehr gute Verkäufe im Jahr 2007 und auch noch im ersten Halbjahr 2008, wenn auch teilweise erkauft durch billige Kredite vor allem in Spanien und Großbritannien. In dieser Phase legten sie sich dann Autos auf Halde, um die Kundennachfrage zu befriedigen. Dass die Absatzzahlen so stark einbrechen könnten, hat aber damals keiner gedacht. Doch heute sind die Hersteller vorsichtiger und wissen um das Risiko im Markt.

mm: Wie bereitet sich die Branche auf einen drohenden Konjunktureinbruch vor?

Sedran: Alle Autohersteller haben Maßnahmenpläne in der Schublade. Doch wie es weitergeht, hängt letztlich vom Verbrauchervertrauen und den tatsächlichen Kundenbestellungen ab. Natürlich haben die Autohersteller auch für ihre Budgets 2012 Notfallpläne aufgestellt, falls der Absatz um 20 Prozent einbricht.

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