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Architektinnen ist der Begriff abbilden selbstverständlich, Konkretes oder Gedachtes abzubilden gehört nun mal zu ihrem Metier und wird auch gern auf professionelle Kompetenz zurückgeführt. Auch wenn sich die Konnotationen, was genau und wie und warum in der Architektur abzubilden ist, über Jahrtausende geändert haben, gehört der Begriff zum Architektenalltag. Doch verschieben sich seit einiger Zeit die Bedeutungen erheblich, weil abbilden in anderen Zusammenhängen und fachfremd verwendet wird. Ein paar Beispiele – wieder mal aus der Politik – dazu werfen Fragen auf.

oben: Albrecht Dürer, Porträtzeichner, 1532 (© free / Victoria & Albert Museum, London >>>)

Es war Mitte der 1990er Jahre, als yahoo als eine der ersten „Suchmaschinen“ bei der Eingabe „Architekt“ als Ergebnis zeigte: „Helmut Kohl: Architekt der Einheit“. Es endet oft komisch oder sogar lächerlich, wenn für bestimmte, nicht genauer durchdachte Attribute auf wohlklingende Begriffe aus anderen, wohlgelittenen Disziplinen leihweise zurückgegriffen wird. Es geht nicht um die grammatikalisch als „Lehnworte“ bezeichneten Wörter aus anderen Sprachen wie Latein oder Griechisch oder Englisch, sondern um klug und bedeutsam tönende Begriffe aus „Fremdfächern“. Wie beispielsweise die DNA. In der Stadtplanung wird in den letzten Jahren immer wieder von der „DNA“ einer Stadt geredet und geschrieben, wobei die aus der Biochemie entliehene Desoxyribonukleinsäure – eine Nukleinsäure, die Erbinformationen trägt – in ihrer Abkürzung wissenschaftlich klingt, in der Planung aber sehr unwissenschaftlich und unscharf jeweils irgendetwas meint, was man in einer Stadt für erinnerungswürdig oder erhaltenswert oder sonst irgendwie für wesentlich hält. Mit Lehnworten aus Fremd- und Fachsprachen ist also Vorsicht geboten.

Der Begriff abbilden rührt im Ursprung aus der Erkenntnistheorie, wobei die Bild-Funktion im Sinne naturgetreuen Wiedergebens durchaus anspruchsvoll gemeint ist. Möchte man Abbilden einem Fach, einer Disziplin, einem Metier zuweisen, liegen Zeichnung und Malerei nahe, wobei die Frage, ob und wie Gegebenes und Imaginiertes abgebildet werden können, die Menschheitsgeschichte in endlosen Facetten begleitet.[1] Es sind die unendlichen Vor- und Darstellungswelten, die sich im Begriff abbilden öffnen, und genau das macht die Verwendung des Begriffs im Einzelnen so prekär.

Irgendwas mit Kuppel

Konkret kommt das Wort immer öfter in der Politik vor. Im Naturwissenschaftsbereich geht es, seit mit digitalen Instrumenten und Methoden immer mehr möglich ist, beim Abbilden um bildliche Darstellungen von etwas, was das menschliche Auge nicht erkennen kann, aber wissensbasiert möchte. Etwa in der Medizin, wenn es um die Entdeckung von Tumoren und sonstigen unerfreulichen, aber auch guten Phänomenen geht. In der Wortwahl von Politikern, die aufgrund publizistischer Verbreitung leider immer wieder Spuren im Sprachalltag einer Gesellschaft hinterlässt, sieht es anders aus. Wenn gerade ein Werbeclip der CDU mit dem Titel „Unser starkes Zeichen“ für müdes Lächeln, Hohn und Spott sorgt, dann liegt dies zwar an einem konkreten Abbildungsfehler der kuriosen Art: Statt eines Bildes vom Reichstag nahmen die Clip-Macher ein Bild des Palastes in Tiflis, der auf Treiben des einstigen Präsidenten Michail Saakaschwili gebaut worden ist und wie das in Berlin wiederaufgebaute Reichstagsgebäude einen giebelgekrönten Mittelrisalit, zwei Eckrisalite und eine Kuppel aufweist. Man darf sich also fragen, was der Reichstag im CDU-Clip zeichenhaft abbilden soll. Das scheinen sie in der CDU und in ihren Werbeagenturen selber nicht zu wissen.

Ab- und Zerrbild

Konkreter Anlass für die in diesem Beitrag aufgegriffene Wortwahl ist aber etwas anderes. So geht es beispielsweise gerade darum, dass in deutschen Führungspositionen Ostdeutsche immer noch unterrepräsentiert sind, in der Bundeswehr sind „Führungspositionen“ auf der Generalsebene zu suchen – und dort findet man gar keine Ostdeutsche. Skandal? Der Ostbeauftragte der Bundesregierung – ja, so jemanden gibt es noch – stellte just eine Studie vor, die auf das Problem aufmerksam machen soll.[2] Nun könnte man erwarten, dass sofort die Frauenbeauftrage auf den Plan tritt und Generalinnen und viele Führungsfrauen fordert, die dann am besten ostdeutscher Provenienz sind. Und günstigstenfalls durch einen Bandscheiben- oder sonstigen -schaden eingeschränkt sind. Das Zynische und Lächerliche an solchen Szenarien rührt daher, dass die Gesellschaft überaus komplex ist und eine politisch korrekte Repräsentanz in vermeintlichen Führungs-, Macht- und Entscheidungsgremien keine Abbilder, sondern Zerrbilder sind, genauer: sein müssen. Denn darauf kommt es ja an: Wer entscheidet, was sich wo abbilden lassen soll? Und was nicht?

Leitungs- und Findungsfunktionen

In diesem Fall überlagert sich die gesellschaftsabbildende Repräsentanz auch mit der Kritik an Eliten. Bei Führungspositionen in der Bundeswehr und in der Wirtschaft werden sie erstaunlich unbemerkt toleriert – in Wissenschaft und Kunst eher nicht. Führungs- und Entscheidungspositionen sind im Kulturbereich beispielsweise für große Institutionen, Festivals oder Jurybesetzungen zu vergeben. Kulturstaatsministerin Claudia Roth wurde just dazu befragt, wie sie denn mit der Leitung der Berlinale weiter verfahren wolle.[3] Dazu gibt es ein Mal mehr: eine Findungskommission. Geleitet wird sie von der Staatsministerin, zudem sind die Mitglieder der Regisseur Edward Berger, die Geschäftsführerin der deutschen Filmakademie Anne Leppin, die Schauspielerin und Produzentin Sara Fazilat und der Produzent und Filmgesellschaftsmitgründer Roman Paul. Und dann muss natürlich ein Staatssekretär dazu, Florian Graf, diplomierter Verwaltungswirt. In Roths Ressort gehört auch das Haus der Kulturen der Welt – und in diesem Kontext manifestiert sie ihre Sicht auf Positionen und Institutionen: „Die Frage ist ja: Wie bildet sich die Realität der Vielfalt unserer Gesellschaft eigentlich in Museen, in Theatern, in der bildenden Kunst, in Ausstellungen ab?“[4]

Dazu muss man fragen: Was hält Claudia Roth für „die Realität“, wenn sie von der „Vielfalt unserer Gesellschaft“ spricht? Und wie kommt sie auf die Idee, diese vermeintliche Realität mit strategisch-bürokratischem Furor abbilden zu können? Zum Kulturbereich ergänzt die Staatsministerin: „Hinzu kommt, dass viele Jurys in keinster Weise unsere Gesellschaft abbilden“. Wie sollten sie auch? Wenn es um Architekturjurys geht, kommt es zum Beispiel auf Architekturexpertise an. Dass Vertreterinnen der Bauherrschaft, der Nutzer dabei sind: Klar, dann ist die Jury aber auch schon voll, ohne die Gesellschaft abbilden zu können. Von jedem Jurymitglied ist zu erwarten, dass es um die Befindlichkeiten der Gesellschaft, in der es lebt, weiß. Wenn wir davon nicht mehr ausgehen können, brauchen wir keine Jurys mehr.

Die Staatsministerin schließt eine Breitseite gegen die „Eliten“ an: „Wir sollten den Kunst- und Kulturbereich so aufstellen, dass er die Breite der Gesellschaft in all ihrer Vielfalt anspricht und einlädt – und keine ausschließende Veranstaltung in elitären Elfenbeintürmen ist.“ Überall, wo der Bund (mit-)finanziert, trachtet Claudia Roth ihren Kulturbegriff der „Demokratie und Teilhabe“ durchzusetzen. Kraft ihrer politisch hohen Funktion hat sie die Macht dazu, das ist auch ihr Job – ist das etwa nicht elitär? Zu befürchten ist, dass sie sich politisch korrekt, aber inhaltlich schwammig mit dem Begriff abbilden um eine klare Definition der Aufgaben- und Entscheidungsverteilung in der Demokratie und die scharfe Analyse der „Teilhabe“ drücken wird. Wenn ich als schimmerloser Hanswurst in die Sammlung Alter Meister gehe und dort jemanden vorfinde, der oder die mich mit exzellentem Wissen von Bild zu Bild an seinen oder ihren Kenntnissen teilhaben zu lassen weiß: Dann liebe ich den Elfenbeintürmer.[5] Und habe Teil an seinem Wissen, das er im besten Fall mit Leidenschaft mitzuteilen und im Gespräch immer wieder tiefer auszuloten weiß.

Schein und Sein

Architektur und Planung sind nicht bei der Kulturstaatsministerin angesiedelt. Ob das nun gut oder schlecht ist, sei dahingestellt. Was sie im Interview zum Berliner Museum der Moderne – der „Scheune“ von Herzog & de Meuron am Kulturforum – sagt, lässt jedenfalls auf keinerlei Architekturexpertise schließen. Claudia Roths Amtssitz befindet sich unter einem Dach mit dem Kanzleramt, mit Olaf Scholz rede sie manchmal „von Balkon zu Balkon. (…) Der Kanzler interessiert sich auch sehr für Architektur. Deswegen freut er sich hoffentlich übers Museum der Moderne, wenn es einmal steht“.[6] Oh je, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, reden Sie doch mal mit der Kulturstaatsministerin von Balkon zu Balkon über Mies van der Rohe und Hans Scharoun …

Jurybesetzungen sind, seit es Wettbewerbe gibt, in der Architektur und Stadtplanung ein höchst umstrittenes Feld, in dem die gesellschaftsabbildende Repräsentanz, die Eliten und zudem die Netzwerke – aus meiner Erfahrung sind dies meistens Seilschaften – zu analysieren und kritisieren sind. Und so zu tun, als könnten sie durch eine Abbildungsstrategie verbessert werden, halte ich für scheinheilig. Im Sinne der Aufklärung scheint mir analytische Vernunft noch immer das beste Mittel, um Macht-, Entscheidungs- und Kulturentwicklung im Interesse möglichst vieler Menschen – aller dürfte zu hoch gegriffen sein – voranzutreiben. Abbilden als vortäuschende Zwischenstrategie politischer Repräsentanz könnte man sich sparen.

P. S. Das Gleiche wie in Jurys lässt sich beobachten, wenn beispielsweise Ministerin Klara Geywitz und der architekturinteressierte Kanzler zum „Wohnungsgipfel“ ins Kanzleramt einladen. Es nehmen 30 Verbände und Vereine, die dem „Bündnis bezahlbarer Wohnraum“ angehörten, teil. „Dieses Bündnis hatte Geywitz im Frühjahr 2022 aus der Taufe gehoben, um gemeinsam mit Vertretern aus den Bundesländern, den kommunalen Spitzenverbänden, der Wohnungs- und Bauwirtschaft, den Gewerkschaften, Kirchen und auch Umwelt-, Verbraucherschutz- und Sozialverbänden ein Konzept für eine „Bau-, Investitions- und Innovationsoffensive“ zu erarbeiten.“ – resümiert der BR. In einer solchen Zusammenstellung ist keineswegs die Gesellschaft „abgebildet“, sondern ein Sammelsurium von Interessensvertretern beieinander, denen ihr eigenes Süppchen gut schmecken soll. Lobbyisten haben kein gesamtgesellschaftliches Interesse und meiner Ansicht nach viel zu viel Macht in Entscheidungskreisen des politischen Macht – Thema für einen der nächsten Magazinbeiträge.


[1]  Von den Auseinandersetzungen mit scientia und ars und dem idea-Streit, mit Glaubensforderung zur Abbildung von Göttern und vielem mehr kann hier nicht weiter die Rede sein. Erkenntnisträchtig zum Einstieg nach wie vor Aby Warburg, Erwin Panofsky, Gottfried Böhm, Hans Belting, Horst Bredekamp.

Für die Historiografie: https://edoc.hu-berlin.de/bitstream/handle/18452/18468/HistFor_5-2005.pdf?sequence=1&isAllowed=y

Zur Architekturfotografie: Rolf Sachsse (Geschichte und Theorie), Wilfried Dechau (Phänomenologie und analoge Technik) u.v.a.

[2]  https://www.ostbeauftragter.de/resource/blob/2038516/2160276/b8561d91959714c4d254f527ac361c47/bundeskonzept-data.pdf?download=1

[3]  Welchen Plan haben Sie? Claudia Roth im Interview mit Julia Encke und Niklas Maak. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 17. September 2023, Seite 37-38

[4] Siehe Anm. 3

[5] Es rührt sich mehr und mehr Widerstand an den neuen Programmstrukturen öffentlich-rechtlicher „Kultursender“. SWR2 u. a. senden Pop und Schlager, Banalitäten und dümmliche Talk-Sendungen sowie vieles mehr mit der Begründung, alle Teile der Gesellschaft „abholen“ zu müssen. Das Programm solle die „Breite der Gesellschaft“ abbilden. Mit der Perspektive, dass alle Sender das Gleiche senden und die inhaltlichen Profile samt und sonders verloren gehen. Da gibt es nur noch: abschalten. Aber wo findet man dann zeitgenössische Musik à la Henze, Riehm & Co.? Und Gespräche, wie sie Günter Gaus (1929-2004) mit Hannah Arendt, Rudi Dutschke, Matthias Walden und vielen anderen geführt hat? Nachzuhören bei youtube. Schmerzlich vermisst man in der Medienwelt Roger Willemsen.

[6] Siehe Anm. 3