Pferde unterschiedlicher Farbe rennen in einer Herde Richtung Kamera. Winterliche Stimmung mit Schneedecke.
Diese Herde läuft zur Kamera. Außer, sie ändert spontan ihre Richtung. Bildrechte: imago/agefotostock

Biologie Herde, Schwarm, Kassenschlange: Forschende entdecken Mechanismus hinter Massenbewegungen

24. Januar 2023, 10:52 Uhr

Vögel tuns. Und Fische tuns auch, in glasklaren Gewässern sogar filmreif: Die Bewegung von Schwärmen und Herden ist bisher nicht ganz geklärt. Forschende sind jetzt einen Schritt weiter. Möglicherweise helfen die Erkenntnisse auch, Massenanstürme beim Menschen zu verstehen.

Wenn im Supermarkt eine neue Kasse geöffnet wird, lässt sich in den meisten Fällen zweierlei urdeutsches Verhalten beobachten. Nämlich der Wunsch, dass sich die Mitkundschaft auch an der neuen Kasse in der Reihenfolge einordnet, wie sie bereits in der viel zu langen Schlange stand. Und das verzweifelt-chaotische Stürmen zur neuen Kasse, aus Angst, die Mitmenschen würden sich nicht an die Reihenfolge halten.

Ob aktuelle Forschung unter Leitung der Uni Barcelona da Abhilfe schaffen kann, ist noch nicht ganz klar. Aber möglicherweise hilft sie, den Massenansturm auf die neue Kasse zu verstehen. Zumindest in einem sehr großen und sehr vollen Supermarkt. Die Forschenden wollten wissen, wie genau sich Herden, Stampeden und Massenanstürme lenken. Vorerst allerdings nicht am Menschen, sondern an etwas kleinerem Getier. So wie Vögel und Fische sich ästhetischerweise (und einem Bildschirmschoner würdig) in koordinierten Gruppen ausrichten, so tun es auch Feuerameisen. Die gibt’s im Bundesstaat Georgia nördlich von Atlanta, wo das Forschungsteam zehntausende von ihnen eingesammelt hat. Für den Versuchsaufbau braucht es etwas Vorstellungsvermögen: Die Tierchen wurden in vertikal ausgerichtete 2D-Säulen gesperrt, wobei die Forschenden Veränderungen ihrer Dichte anhand des von den Säulen ausgesandten Lichts maßen, während sie sich nach oben ausbreiteten – entgegen der Schwerkraft.

Nahaufnahme von Feuerameisen: Rötliche Ameisen auf einem Stück Holz, Tiefenunschärfe bei der hinteren Ameise
Bildrechte: imago/Wirestock

Feuerameisen heißen nicht umsonst so. Denn die Stiche dieser Gattung können schmerzhaft sein und brennen. Die in der Studie besprochene Rote Feuerameise (Solenopsis invicta) kommt eigentlich aus Südamerika und hat sich in den südlichen USA nur als Neozoon verbreitet, außerdem in Teilen Ostasiens und Australiens. Sie können z.B. Überschwemmungen überleben, in dem sie sich zu einem Floß verketten.

Das, was das Team herausfand, ähnelt dem, was wir zum Beispiel von Schallwellen kennen: Impulse hoher Ameisendichte breiteten sich spontan von der Basis aus und führten zu einem Wandern entgegen der Schwerkraft. Der Schlüssel bei diesem wellenförmigen Verhalten scheinen sogenannte aktive Feuerameisen zu sein, die die Forschenden aus der Nähe beobachten konnten. Diese aktiven Feuerameisen richteten sich inmitten von stationäreren, ungeordneten Ameisen aus und wanderten kurzzeitig mit. Das Team vermutet, dass die lokale Ausrichtung der Ameisen ein Schlüsselmerkmal der Dichtewelle ist und dass ihre vorübergehenden lokalen Aktivitätsniveaus die Ursache für die Wellendynamik sind. Das Nachobenwandern könnte durch einen Wechsel der Zustände erfolgen, also aktiv und inaktiv im Wechsel.

Aktiv, inaktiv, aktiv, inaktiv …

Obwohl solches veränderliches Verhalten bei sozialen Insekten gut dokumentiert sei, konnte dieser kollektive Modus noch nicht beobachtet werden, schreiben die Forschenden. "Wir haben gezeigt, dass einfache lokale Interaktionsregeln zu bemerkenswertem Gruppenverhalten führen können – spontan erzeugte nichtlineare Einzelwellen", so die Studie. "Dies deutet darauf hin, dass dieses Verhalten für eine breite Klasse aktiver Systeme universell sein könnte."

Die Ergebnisse könnten künftig helfen, das Verhalten von Herden besser zu verstehen und zu modellieren. Und dazu zählen auch Anstürme von Menschenmengen. Bis dahin raten wir an der Supermarktkasse zu einem eher inaktiven Zustand, auch wenn eine neue Kasse geöffnet wird. In der eigenen Schlange dauert’s eh immer am längsten.

flo

Links/Studien

Die Studie Ant Waves – Spontaneous activity waves in fire-ant columns erschien im Januar 2023 im Fachblatt Science Advances.

DOI: 10.1126/sciadv.add0635