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„Rehe machen glücklich“: Heimatpfleger über artgerechte Jagd – und den Zorn seiner Kollegen

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„Zum Engel fehlen Rehen nur Flügel“, meint Buchautor Rudolf Neumaier. Manche sehen Rehe nur als Schädlinge.
„Zum Engel fehlen Rehen nur Flügel“, meint Buchautor Rudolf Neumaier. Manche sehen Rehe nur als Schädlinge. © Astrid Schmidhuber

Heimatpfleger Rudolf Neumaier, einst SZ-Journalist, spricht im Interview über eine Tierart, die mancher für eine Plage hält: das Reh.

München – Rudolf Neumaier, 51, war einst Journalist bei der SZ. Vor gut einem Jahr wechselte er als Geschäftsführer zum Landesverein für Heimatpflege. Weniger bekannt ist seine Leidenschaft für eine artgerechte Jagd. In einem neuen Buch wagt er eine Hymne auf das Reh (Das Reh. Über ein sagenhaftes Tier, Hanser Verlag, 24 Euro). Der schmale Band wird, so viel ist sicher, Protest bei Förstern wie Naturschützern auslösen – denn Neumaier hält von hohen Abschussquoten wenig. Wir treffen ihn im Münchner Jagdmuseum.

Das große Museum ist menschenleer. In dem lichtdurchfluteten Gebäude – das Museum ist in einer profanierten Kirche – sind Skelette und Gehörne aller Art, in einem Winkel auch das wuchtige Geweih eines Hirsches, den einst Nazigröße Hermann Göring erlegte. Im Hintergrund läuft in Dauerschleife ein Tierfilm, alle paar Minuten röhrt der Hirsch. Wir sitzen in der Streichelecke – reichlich angegraute Wildtiere wie Reh, Dachs, Hase, Hirsch sind hier ausgestellt.

Heimatpfleger Neumaier geht vier- bis fünfmal die Woche raus

Herr Neumaier, wie oft gehen Sie zur Jagd?

Neumaier: Unterschiedlich. Wenn die Tage lang sind, bin ich bis zu vier, fünf Mal die Woche draußen. Ich bin nicht selber Revierpächter, sondern gehe in einem großen Revier unweit von Töging mit. Manchmal sitze ich nur zum Schauen draußen. Ich führe genau Buch. Mein letzter Abschuss war ein Kitz, das war vor drei Wochen.

Verarbeiten Sie die Tiere selber?

Neumaier: Selbstverständlich. Ich schieße kein Reh, das ich nicht selbst verwerte. Ich breche das Tier auf, dann kommt es in eine zertifizierte Wildkammer, wo es dann abhängt. Die Faustformel ist: je Lebensjahr ein Tag. Dann wird es zerwirkt, also zerteilt, und verkauft. Ich sag mal so: Wenn ich die Preise am Viktualienmarkt anschaue, zahlt man bei mir vielleicht ein Fünftel. Das ist mehr oder weniger zum Selbstkostenpreis, ich muss das Wildbret ja auch dem Jäger abkaufen.

Sie haben erst im Alter von 47 Jahren den Jagdschein gemacht. Hatten Sie Ekel oder Abscheu beim ersten Schuss?

Neumaier: Überhaupt nicht. Ich bin im Berchtesgadener Land auf einem Bauerndorf groß geworden. Meine Oma hatte Hühner. Wenn da eine Henne nicht mehr legte, dann wurde sie geschlachtet. Das war meine Aufgabe. Das hat dazugehört. Mit den Fischen war es genauso. Mir hat das Töten nichts ausgemacht. Aber es ist etwas anderes, ein Säugetier auf Distanz zu erlegen.

Warum?

Neumaier: Man kann sich nicht 100-prozentig sicher sein, dass es sofort tot ist. Es kommt vor, dass der Schuss sitzt, das Reh aber trotzdem noch ein Stück weit wegrennt. Zur Nachsuche der Rehe braucht man einen Jagdhund.

Haben Sie einen?

Neumaier: Nein. Aber befreundete Jäger. Ohne Hund geht’s nicht. Wenn nicht geklärt ist, dass notfalls ein Hund bereitsteht, schieße ich nicht.

„Zum Engel fehlen dem Reh nur Flügel“

Wie wichtig sind Rituale – etwa der letzte Bissen, wie es in der Jägersprache heißt?

Neumaier: Ich habe es so gelernt. Wenn ich ein Tier erlege, dann stopfe ich das nicht einfach in eine Plastiktüte rein und weg damit. Sondern ich verharre einen Moment bei dem Tier. Da hat was mit Wertschätzung zu tun, das ist wie eine Andacht. Vielleicht sind das archaische Gefühle, die man da hat. Ähnlich ist es mit Strecke legen und Verblasen.

Also wenn man die erlegten Tiere auf Tannengrün präsentiert...

Neumaier: Das hat eine Bedeutung und auch etwas mit Tierschutz zu tun. Es gibt Drückjagden, da geht es nur darum, den Tierbestand zu reduzieren und die Beute wird auf einen Haufen geschmissen oder gleich beseitigt. Ich finde es wichtig, dass der Jäger für den Schuss geradesteht, den er gesetzt hat. Und gerade bei den Gesellschaftsjagden kommt es öfter vor, dass die Tiere erst mal krank geschossen, ja zerschossen werden. Dann ist auch das Wildbret, das ja eigentlich der Grund ist, warum man jagt, nicht mehr verwertbar.

„Zum Engel fehlen dem Reh nur Flügel“, schreiben Sie. Warum fasziniert Sie das Reh, warum nicht eine Wildsau?

Bevor er antwortet, steht Neumaier auf und geht zum ausgestellten Reh. Dann deutet er auf eine Wildsau und sagt auf Bairisch: „So a Facke ist zwar nett anzuschauen, aber ist halt mächtig und wuchtig.“ Dann streicht er über das angestaubte Reh.

Neumaier: So ein Reh ist formvollendet. Das Gebäude (der Körper – Anm. d. Red.), das Rehhaupt ist Ästhetik in Vollendung. Und diese Rehaugen – Bambi pur, na klar. Ich kann ihnen stundenlang zuschauen. Rehe machen glücklich.

Rehe werden von Naturschützern als „Ungeziefer“ angesehen, schreiben Sie. Die Verbände hätten ein „Rehtötungskartell“ gebildet. Woran liegt das?

Neumaier: Der Bund Naturschutz ist traditionell von Leuten dominiert, die aus forstlichen Fakultäten kommen. Hubert Weiger war Förster, Hubert Weinzierl war Förster. Zum Beispiel.

Gab es früher mehr Wild als heute?

Neumaier: Ja, wahrscheinlich schon. Daheim, als Kind, habe ich auch mal 60, 70 Rehe vor dem Wald gesehen. Das tut der Population nicht gut, klar. Die Folge war, dass man auch weibliche Rehe geschossen hat, nicht mehr nur Rehböcke. Nur jetzt sind wir beim anderen Extrem angelangt.

Sind Rehe die neuen Borkenkäfer, also eine Plage?

Neumaier: Das war der provokante Titel einer Veranstaltung des Försters und Buchautors Peter Wohlleben. Ja, so werden sie manchmal angesehen. Das merkt man zum Beispiel, wenn alle drei Jahre die Abschusspläne der Landratsämter aufgestellt werden – heuer wieder. Dann schreibt der Bund Naturschutz gezielt Landräte an und verlangt immer mehr und noch mehr Abschüsse, fordert eine Verdopplung, ja mancherorts noch mehr. Ja, geht’s noch?

Niemand weiß, wie viele Rehe es gibt.

Neumaier: So ist es.

Die Zahl der durch Abschüsse und im Straßenverkehr getöteten Rehe in Deutschland ist auf über 1,2 Millionen gestiegen. Ist das nicht ein Indiz, dass die Population zunimmt?

Neumaier: Ja, das kann ein Indiz sein. Aber es gibt viele Faktoren, die da eine Rolle spielen. Mir geht es um die bewusste Jagd. Ein guter Jäger lässt zum Beispiel einen alten, erfahrenen Bock stehen, schießt ihn nicht einfach ab. Warum? Gerade in heiklen Waldgebieten, wo man Waldaufwuchs will, dominiert er den Standort, vertreibt andere Böcke. Wird er abgeschossen, kämpfen jüngere Böcke um das Revier, dann gibt es exponentiell mehr Fegeschäden. Man kann mit Jagd steuern.

Eingezäunte Wälder könnten Rehe vor dem Abschuss retten

Wie schützt man den Wald, wenn nicht durch Abschuss?

Neumaier: Das ist eine große Frage. Ja, die Jagd ist auch für die natürliche Waldverjüngung wichtig. Aber da gibt es auch andere Faktoren. Es müssen Altbäume da sein und es muss genug Licht auf den Waldboden fallen, das wird oft nicht berücksichtigt. Viele geben sich mit der Naturverjüngung nicht zufrieden, sie sagen, ja da kommen jetzt Vogelbeeren und Birken, die will ich ja nicht. Ich will lieber Libanonzedern oder nordamerikanische Douglasien. Und dann wird gefordert, dass die ohne Schutz aufwachsen. Aus dieser Sicht sind Rehe nur Schädlinge. Dabei gibt es viele Möglichkeiten, diese Pflanzen zu schützen.

Welche?

Neumaier: Zum Beispiel Plastikclips, die die Baumspitzen vor Verbiss schützen. Wer die nicht mag, der kann Schafwolle nehmen. Das Schaffett mögen Rehe nicht. Ich habe immer Schafwolle dabei. Aber die effektivste Methode sind Zäune.

Ein eingezäunter Wald?

Neumaier: Na und? Es ist doch selbstverständlich, dass man die Jungbäume mit Zäunen schützt. Drei, vier Jahre, dann sind die aus dem Äser gewachsen, dann kann der Zaun weg. Ich habe alte Försterbücher gelesen, Zäune waren schon vor 200 Jahren üblich. Und es ist auch nicht so aufwendig. Ein Zaunbau dauert zwei Tage, vom Gebirge einmal abgesehen, da geht es natürlich nicht überall. Aber rechnen Sie mal nach, wie lange es dauern würde, ein eingezäuntes Gebiet definitiv mit der Büchse vor Wildverbiss zu schützen. Und es gibt ja die Schonzeit vom 16. Januar bis 30. April – da muss ich dann zuschauen, wie die Rehe meine Pflanzen zerbeißen. Da schütze ich sie doch lieber.

Neumaier erzählt dann über die Hegeschau, deren Entstehung auf die Nazis zurückgeführt werde – was falsch sei. Die Hegeschau könne wichtige Anhaltspunkte über den Wildbestand im Revier liefern, nur werde das zu wenig genutzt. Werden zum Beispiel nur einjährige Böcke ausgestellt, ist das ein Indiz, dass die Population nicht stimmt und mehrjährige Platzhalter fehlen.

Abschlussfrage: Was halten Sie von Trophäenjägern, die in Afrika die „Big five“, Elefant, Löwe und Co., erlegen wollen?

Neumaier: Ich war grad mit der Familie in Tansania, habe Kaffernbüffel, Warzenschweine und anderes gesehen. Ich habe keine Sekunde überlegt, sie zu jagen. Aber ich sehe es differenziert. Die Afrikaner freuen sich, wenn jemand kommt und viel Geld für einzelne Abschüsse zahlt. Damit finanzieren sie ihre Ranger, die Elefanten und Nashörner schützen. Das blenden Politiker aus, die eine Abschaffung der Jagdreisen fordern.

Das Gespräch führte Dirk Walter.

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