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Mit ungeheurer Wucht

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- Auf den ersten Blick sieht "Dogville", der jüngste Geniestreich des Regisseurs Lars von Trier, aus wie eine unfertige Theaterinszenierung. In einer großen Halle sind auf schwarzem Boden mit dicken weißen Strichen die Grundrisse eines Dorfes markiert. Ein paar äußerst sparsam eingesetzte Requisiten wie Schreibtisch, Stühle, Sofas oder Betten sowie ein paar funzelige Lämpchen liefern Hinweise auf die Lebensweise der Figuren. Über Tag oder Nacht entscheidet die mal weiße, mal schwarze Bühnenrückwand. Eine zeitliche Einordnung wird nicht vorgegeben. Das ist auch ganz gut so, bedenkt man die universell geltende Moral am Ende.

<P>Allenfalls die Kostüme verweisen auf die Dreißigerjahre. Den Rest muss man sich denken. Türen, Hauswände, den Staub auf der Straße und das Grün der Waldlichtung. Freunden des klassischen, alles bis ins Kleinste vorkauenden Popcornkinos seien vorsorglich gewarnt, denn hier ist die persönliche Fantasie des Betrachters enorm gefragt.<BR><BR>Doch Lars von Triers Blick mitten hinein die finsteren Seelen der Kleinbürger dieser Welt braucht keine Kulissen, keine verputzten Hauswände. Hier gibt es keine Fassaden mehr zu wahren, wie sich bald zeigt. Anstrengend wirkt der Film auf seinen ersten Metern. "Dogville" hat mehr mit dem Verfremdungseffekt des Brechtschen Theaters, mit der Formenstrenge von Beckett oder Dürrenmatt zu tun als mit handelsüblichen Spielfilmen. Inspiriert wurde Lars von Trier zu diesem Planspiel über die Bestie Mensch nach Eigenaussage durch US-Kritiken zu seinem letzten Film "Dancer in the Dark". Die amerikanischen Journalisten mokierten sich darüber, wie Lars von Trier über die Verhältnisse in ihrer Heimat urteilen könne, ohne das Land je besucht zu haben. Trotzdem erinnert "Dogville", wenn diese Produktion überhaupt mit anderen Filmen vergleichbar ist, vorwiegend an klassische Gangster- und Mafiafilme. Also doch ein uramerikanisches Thema. <BR><BR>Nicole Kidman spielt das junge Mädchen Grace, das auf der Flucht vor nicht näher charakterisierten Finsterlingen ist und in das Dörfchen Dogville gerät. Hier findet sie Unterschlupf. Nachdem sie anbietet, jeder Familie unentgeltlich zur Hand zu gehen, damit diese sie nicht an ihre Verfolger ausliefern, klappt das Zusammenleben vorerst recht gut. Den einen hilft sie beim Jäten der Gemüsebeete, den anderen bei der Kinderbetreuung, dem blinden älteren Herrn liest sie Geschichten vor. Es scheint, als ob Grace das warmherzige Element, die personifizierte Liebenswürdigkeit ist, die in Dogville bisher gefehlt haben. Doch der Ton verändert sich: Die Arbeit, die Dogvilles Bewohner für Grace haben, wird härter, die freundlichen Worte schwinden und die sadistischen Bestrafungen häufen sich. Die Macht der Leute von Dogville sexualisiert sich deutlich: Der anfangs so freundliche Blinde fingert Grace unter dem Rock herum, der Vater ihrer Babysitter-Kinder vergewaltigt sie. Grace wird von der anfänglichen Bereicherung des Ortes zur willenlosen Sklavin aller.<BR><BR>Lars von Trier stellt dieses Martyrium der jungen Frau bis zu ihrer Erlösung in zwölf Szenen dar. Klar, präzise, mit einer allwissen den Erzählerstimme aus dem Off und immer wieder mit Zwischentiteln gestrafft. Durch diese Kunst des Weglassens, diese außerordentliche Konzentration auf die Handlung entfaltet die Parabel über menschliche Abgründe eine ungeheure Wucht. Der Mensch ist des Menschen Wolf. Lars von Trier stößt mit seinem außergewöhnlichen, beklemmenden und exzellent besetzten Drama eine Diskussion um Macht und Vergeltung an, die völlig losgelöst von Ort und Zeit ihre Berechtigung hat. Wie sehr er dennoch amerikanische Zustände anprangert, erweist der Abspann: Bilder der Verelendung in den USA, der Ausbeutung, Gewalt und von White Trash - und dazu singt David Bowie von den "Young Americans". </P><P>- läuft hier im Kino</P><P>"Dogville"<BR>mit Nicole Kidman, James Caan<BR>Regie: Lars von Trier<BR>Hervorragend </P>

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