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„Kinder sollen mehr als lesen und rechnen können“: Pisa-Offensive auf Kosten kreativer Unterrichtsfächer

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Ein leeres Klassenzimmer
Mehr Deutsch und Mathe statt kreative Fächer - das neue Konzept des bayerischen Kabinetts stößt auf Kritik. © Armin Weigel/dpa

Mehr Deutsch und Mathe in der Grundschule auf Kosten von Kunst, Musik, Werken oder Englisch? Das vom bayerischen Kabinett beschlossene Konzept, um den mäßigen Leistungsergebnissen der Schüler im Freistaat bei der jüngsten Pisa-Studie entgegenzuwirken, stößt auf geteiltes Echo bei Grundschulleitern.

Landkreis – Anton Höck, Rektor der Grundschule in Pullach, findet es positiv, dass die Staatsregierung nicht nur an der Stundentafel der Grundschule Hand anlegt, sondern beispielsweise durch die verpflichtenden Sprachstandserhebungen bereits im Vorschulbereich eingreift.

Dass es in den Fächern Deutsch und Mathematik künftig mehr Stunden geben wird, begrüßt nicht nur er, sondern auch sein Amtskollege Torsten Bergmühl von der Erich-Kästner-Grund- und Mittelschule in Höhenkirchen-Siegertsbrunn. „Die Ergebnisse der Pisa-Studie haben diese Verstärkung ja auch irgendwo eingefordert“, betont Bergmühl. Ob die je eine Stunde mehr Deutsch in den Jahrgangsstufen 1 bis 4 sowie die je eine zusätzliche Mathe-Stunde in den Jahrgangsstufen 1 und 3 wirklich dazu führt, dass sich die Pisa-Studien-Ergebnisse entscheidend verbessern, bezweifelt der Pädagoge aber.

Kreative Lerninseln für die Kinder

Und dass das Deutsch- und Mathe-Plus auf Kosten der Fächer Kunst, Musik sowie Werken und Gestalten eingeführt wird, bedauert er. „Sowohl mein Kollegium als auch ich sehen das kritisch“, sagt Bergmühl. Denn diese Fächer seien kreative Lerninseln für die Kinder, in denen ihnen Elemente des ganzheitlichen Lernens vermittelt würden.

Maulkorb vom Schulamt?

Keine Bewertung des Pisa-Vorstoßes der Landesregierung gibt es seitens der Vorsitzenden des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes im Landkreis München, Brigitte Gruber. Die Rektorin der Sigoho-Marchwart-Schule in Höhenkirchen-Siegertsbrunn lässt ausrichten, dass sie aktuell zu diesem Thema keine Stellungnahme abgeben möchte. Ein anderer Schulleiter im Landkreis München betont gegenüber unserer Zeitung, er werde die Entscheidung der bayerischen Staatsregierung nicht kommentieren, weil es seitens des Schulamtes bereits früher die Aufforderung gegeben habe, sich zu derart brisanten Themen nicht gegenüber der Presse zu äußern.

Gibt es also von Oben einen Maulkorb für die Schulleiter? Schulamtsdirektor Ulrich Barth betont, dass es seitens des Schulamts kein generelles Verbot für Schulleiter gebe, sich zu gewissen Themen zu äußern. Allerdings hält er eine gewisse Zurückhaltung bei Meinungsäußerungen durchaus für angebracht. „Schließlich gibt es eine Loyalitätspflicht des Beamten gegenüber seinem Dienstherrn“, erinnert Barth. Das sei aber etwas ganz Normales. Wenn sich ein Schulleiter als Privatperson äußere, sei das natürlich kein Problem.

Das sieht Antje Radetzky, Mitglied des Landesvorstands des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes, genauso. Die Rektorin der Grundschule an der Camerloherstraße in Ismaning betont, dass in den Grundschulen die Basis für sämtliche Fertigkeiten der Schüler gelegt werden. Natürlich sei Deutsch und Mathe extrem wichtig. „Aber wir wollen die Kinder doch zu Menschen ausbilden, die mehr als lesen, schreiben und rechnen können“, sagt sie. Man sollte die Kinder das Lernen lehren, wichtige Arbeitstechniken beibringen, aber auch soziale Kompetenzen. Dafür brauche es auch die kreativen Fächer. „Die Streichungen stehen einem ganzheitlichen Bildungsbegriff voll entgegen“, findet Radetzky.

Zeit zum nachhaltigen Lernen jenseits von Mathematik, Deutsch und HSU

Gerade in der 4. Klasse mit dem Übertrittsdruck bräuchten die Schüler auch Zeit zum nachhaltigen Lernen jenseits von Mathematik, Deutsch und HSU. „Die Kinder schreiben in den Hauptfächern einen Leistungsnachweis nach dem anderen, die sind am Ende ausgebrannt“, so Radetzky. Dass in der 3. und 4. Klasse künftig auch am Englisch-Unterricht gespart werden kann, um das Mehr an Deutsch und Mathe auszugleichen, damit kann Bergmühl leben – im Gegensatz zu Radetzky. „Ich glaube, es ist wissenschaftlich nicht hundertprozentig belegt, dass der Englisch-Unterricht in der Grundschule die Kinder entscheidend weiterbringt“, sagt Bergmühl. Aber die Kinder würden dabei ein erstes Gefühl für Sprache bekommen, kontert seine Ismaninger Kollegin. Zudem könnten sich in Englisch auch Kinder profilieren, die es in anderen Fächern schwer hätten: „Zum Beispiel Kinder mit Migrationshintergrund, die Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache haben. Wenn sie in Englisch gut sind, motiviert sie das total.“

Religionsunterricht beschneiden

In einem sind sich Bergmühl und Radetzky aber wieder einig: Um die Stundentafel auszugleichen, hätte man durchaus auch den Religionsunterricht beschneiden können – zumal es in der Praxis durchaus schwierig sei, überhaupt genug Lehrpersonal dafür zu finden. Für den Bestandsschutz des Religions- und Ethikunterrichts wiederum setzt sich Rektor Höck, selbst Diplom-Theologe, ein und führt ähnliche Argumente wie seine Kollegen zuvor ins Feld: „Unser pädagogischer Auftrag ist, die gesamte Persönlichkeit eines Schülers zu entwickeln. Deshalb haben wir in der Grundschule schon immer mit Kopf, Herz und Hand gearbeitet.“ Dazu trage der Religionsunterricht nicht unwesentlich bei.

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