1. Startseite
  2. Lokales
  3. München

Er balsamierte Moshammer und Franz Josef Strauß ein

KommentareDrucken

Wenn der Tote im Sarg liegt, sollen keine Spuren der Sektion zu sehen sein.
Wenn der Tote im Sarg liegt, sollen keine Spuren der Sektion zu sehen sein. © Schlaf

München - Alfred Riepertinger ist Oberpräparator am Schwabinger Klinikum. Im Interview mit dem Münchner Merkur spricht er über seine Arbeit, die Scheu vor Verstorbenen und geheimnisvolle Mumien.

Er hat Rudolph Moshammer und Franz Josef Strauß zur Aufbahrung einbalsamiert, an zahllosen Sektionen mitgewirkt und echte Mumien untersucht: Alfred Riepertinger, Oberpräparator am Institut für Pathologie des Klinikums Schwabing, verbringt seinen Arbeitstag mit Leichen. Was ihn daran fasziniert, hat er in seinem Buch „Mein Leben mit den Toten“ niedergeschrieben. Am Mittwoch, 8. Juli, berichtet er davon auf Einladung des Münchner Merkur und dessen Heimatzeitungen live (siehe Kasten) – in der Tutanchamun-Ausstellung in der kleinen Olympiahalle. Im Interview spricht der 60-Jährige über alte und neue Mumien und über Pietät im Umgang mit Leichen. Und er erklärt, warum es so wichtig ist, einen Verstorbenen zum Abschied noch einmal sehen zu können.

Andere Menschen werden Bäcker oder Automechaniker. Was hat Sie dazu gebracht, an Verstorbenen zu arbeiten?

Das ging in Etappen. Verstorbene, Särge, Leichenwagen – das hat mich schon als kleines Kind interessiert. Wir haben in Giesing gewohnt, und ich war mit meinem Vater oft am Ostfriedhof, wo wir uns im Leichenhaus die Toten angeschaut haben.

Ein seltenes Hobby.

Für meinen Vater waren Tote nicht unnormal. Er gehörte zur Kriegsgeneration. Ich habe ihn immer gedrängt, weil ich neugierig war. Und er hat das nicht unterdrückt, wie es Eltern heute teilweise machen.

Wie kamen Sie vom Leichenhaus in das Institut für Pathologie?

Bei meiner Ausbildung als Werkzeugmacher habe ich nebenbei in einem Bestattungsunternehmen gejobbt. Meinen Zivildienst habe ich im Schwabinger Krankenhaus absolviert. Hier hatte ich die Verstorbenen von den Stationen in das Institut für Pathologie zu bringen und umzubetten. Da hat mich die Arbeit der Präparatoren schon interessiert, und teilweise habe ich ein bisschen mitgeholfen. Am Ende meiner Zivildienstzeit hat man mir eine Stelle angeboten.

Gibt es eine Ausbildung für Präparatoren?

Ich, als Seiteneinsteiger, habe 120 Stunden Anatomieunterricht an der Pflegeschule besucht und die Praxis der Präparationstechnik beim damaligen Oberpräparator Otmar Wessely von der Pike auf gelernt. Heute gibt es in Bochum die höhere Fachschule für präparationstechnische Assistenten, ein dreijähriger Ausbildungsgang. 1980 lernte ich Gunther von Hagens kennen . . .

. . . den Plastinator, der mit seiner Ausstellung „Körperwelten“ auch schon in dieser Halle war.

Ja. Seitdem bin ich auch mit ihm befreundet. 1985 habe ich eine eigene Anlage in unserem Institut installiert und plastiniere seither selbst. Mittlerweile bilde ich Interessenten aus der ganzen Welt in dieser Konservierungstechnik aus.

Was hat ein medizinischer Präparator zu tun?

In einem Institut für Pathologie liegt die Hauptaufgabe in der Assistenz für den Obduzenten, der ja approbierter Arzt sein muss. Wir helfen mit bei der Entnahme der Organe, wir können sogar im Extremfall eine komplette Sektion durchführen mit Ausnahme der Histologie, also der feingeweblichen Untersuchungen unter dem Mikroskop. Die Verantwortung für die Durchführung der Obduktion obliegt jedoch immer dem Arzt. Zum Abschluss ist es unsere Aufgabe, den Leichnam wieder ordnungsgemäß herzurichten, damit nach dem Ankleiden und Einsargen des Verstorbenen durch den Bestatter, von der Vornahme der Sektion nichts mehr zu sehen ist. Wir haben uns in der hygienischen Totenversorgung und der plastischen Rekonstruktion weiter spezialisiert und sind auch in der Lage, Verunfallte mit schwersten Verstümmelungen für die Verabschiedung am offenen Sarg wieder herzurichten.

Wann müssen Tote einbalsamiert werden?

Diese Technik wird heute in erster Linie aus hygienischen Gründen für Auslandsüberführungen genutzt. Wenn ein Verstorbener zum Beispiel nach Afrika, Amerika, Russland oder Griechenland geflogen wird, ist das vorgeschrieben. Die Verstorbenen werden in ihren Särgen ganz normal im Frachtraum eines Flugzeugs überführt. Damit der Leichnam nicht in Fäulnis übergehen kann und es während des Fluges Geruchsprobleme gibt, balsamiert man ihn ein. Diese Konservierungstechnik auf der Grundlage von Formalin, ermöglicht es, Gewebe zersetzende Einflüsse am Leichnam zu unterbinden.

Wie lange?

Wenn der Tote später im Erdgrab beigesetzt wird, dann wird der Körper zeitversetzt zu verwesen beginnen. Kommt er in eine Gruft mit ständiger trockener Luftzirkulation, wird der Körper mehr oder minder mumifizieren, wenn er mit der Zeit austrocknet. Es erhält sich jedoch in gewissem Maße die Körperstruktur. Das war auch der Ansatz der Ägypter.

Die hatten aber noch kein Formalin.

Nein. Die Ägypter haben ausgenutzt, was auch die Seefahrer machten, um Fleisch für lange Reisen haltbar zu machen: Sie haben es mit Salz gepökelt. Die Ägypter benutzten Natron, rund 250 Kilo sind für einen Körper von Nöten. Nach den rituellen 40 Tagen war der Körper jedoch noch nicht ganz ausgetrocknet. Er wurde dann im Freien auf Stellagen gelegt, um sie von der Sonne vollständig austrocknen zu lassen.

Wir stehen hier neben der Nachbildung der Mumie von Tutanchamun. Warum ist sie so schwarz?

Weil die Leiche komplett mit Bitumen bestrichen wurde. Dieses Erdpech wurde Mumia genannt, daher kommt der Name Mumie. Dann haben die Ägypter den Körper mit Leinenbinden umwickelt, und in jede Lage kamen Amulette. Zum Schluss wurde auf die äußerste Leinenschicht das Gesicht des Verstorbenen aufgemalt. Bei Tutanchamun wurde eben die goldene Maske draufgesetzt, die seinem Antlitz entsprach. Der Pharao wurde übrigens so fest mit Pech in den Sarg geklebt, dass der Entdecker Howard Carter erhebliche Probleme hatte, ihn herauszukriegen. Er hat ihn nicht sehr pietätvoll behandelt.

Wie gut waren Ihre Berufskollegen im alten Ägypten?

Ganz fantastisch. Was die alles gewusst haben, und wie präzise die das gemacht haben, ist hervorragend.

Hatten Sie auch schon echte Mumien auf dem Tisch?

Ja. Ich habe das große Glück, dass mein Chef, Professor Andreas Nerlich, als Pathologe auch Paläopathologe und Mumienforscher ist. Er war schon oft in Ägypten, hat bei einer Mumie eine Zehen-Prothese entdeckt und erforscht und hat unter anderem auch bei der Untersuchung von Ötzi mitgewirkt. 2011/12 haben wir die fünf Mumien aus der Jordangruft bei Dötting untersucht. Die vier Erwachsenen waren Naturmumien, weil in dieser Gruft immer ein Luftzug herrschte. Das Kind war einbalsamiert, weil es auf Reisen in Neapel verstorben ist. Diesen Fall werde ich bei meinem Vortrag auch vorstellen.

Mumien gibt’s also nicht nur in Ägypten.

Nein. Ich werde auch berichten, dass es in neuerer Zeit Fälle von Mumien in München gibt. Ich werde den Leuten einiges zur Einbalsamierung von Tutanchamun sagen, ich kann ihnen erzählen, wie man Mumien untersucht und auch, was wir aus historischen Skeletten noch herauslesen können.

Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Leiche? Hat Sie der erste Schnitt große Überwindung gekostet?

Ich kann gar nicht sagen, ob das ein Mann oder eine Frau war. Eine Scheu in dem Sinn hatte ich eigentlich nicht. Ich hatte ja bis dahin schon sehr viel Kontakt mit Verstorbenen. Natürlich ist es am Anfang, wenn man in die Haut schneidet etwas gewöhnungsbedürftig. Da spürt man erst mal, wie fest die Haut ist. Da muss man schon richtig Kraft aufwenden.

Machen Sie sich Gedanken, was das für ein Mensch war?

Das wichtigste überhaupt ist: Ich nehme diesen Körper als Mensch wahr. Ansonsten habe ich eine professionelle Distanz. Das ist wichtig, denn wenn der Körper eröffnet ist, steht das medizinische Interesse im Vordergrund: Was finde ich da? Da wird’s spannend. Was zeigen mir die Organe über die Erkrankung und letzten Endes über die Todesursache dieses Patienten? Wenn wir den Verstorbenen wieder herrichten, dann ist das oberste Ziel, das so sauber zu machen, wie es nur geht, damit sich die Angehörigen, wenn er angekleidet im Sarg liegt, würdevoll verabschieden können.

Wie kommen Sie mit den Gerüchen zurecht?

Ich bin mit dem großartigen Talent gesegnet, dass mir unangenehme Gerüche nichts ausmachen. Ich habe den menschlichen Leichnam in fast sämtlichen Stadien seiner Zersetzung gesehen, das macht mir nichts.

Sind prominente Tote etwas Anderes?

Man merkt unter Umständen den medialen Druck. Aber den versuchen wir draußen zu halten und uns abzuschirmen, sonst können wir die Arbeit nicht machen. Bei Franz Josef Strauß war dies die Aufgabe der Polizei. Die Arbeit an sich ist genau dieselbe wie bei jedem anderen Verstorbenen, der zu mir kommt, auch. Mir ist zwar klar, dass es ein Prominenter ist, eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, aber letzten Endes sehe ich immer wieder, dass sie sich nicht von den anderen Toten unterscheiden. Wie man eben immer sagt: Im Tod sind alle gleich.

Nennen Sie doch mal ein paar Namen.

Rudolph Moshammer, Franz Josef Strauß, Roy Black, das Fürstenpaar von Liechtenstein. Das waren alles Einbalsamierungen. Denen liegt meist das Bayerische Bestattungsgesetz zu Grunde. In den Fällen, in denen man die Bestattungsfrist von 96 Stunden weit überschreitet oder wenn man die Särge in Gebäuden aufbahrt, die nicht ausschließlich für Verstorbene gedacht sind, etwa in Kirchen, dann müssen sie einbalsamiert werden.

Rudolph Moshammer wurde vor zehn Jahren in einer Gruft beigesetzt. Ist er schon eine Mumie?

Das dürfte der Fall sein. Er war ja ziemlich kräftig gebaut und dürfte deshalb in eine mumienähnliche Fettwachsleiche verändert sein.

Kann man Unfallopfer immer so herrichten, dass den Angehörigen der Anblick zuzumuten ist?

Vor allem, wenn Menschen von Zügen überfahren werden, gibt es manchmal schwerste Verletzungen. Da kann der Gesichtsschädel derart zerstört sein, dass man ihn nicht mehr ansehnlich rekonstruieren kann. In diesen Fällen formen wir den Kopf anatomisch nach, waschen und föhnen die Haare, decken aber das Gesicht ab. Neben der Kopfform bleiben den Angehörigen die Kleidung und die Hände als wichtige Identifikationsmerkmale, und das ist im Extremfall auch ausreichend.

Was war Ihr heikelster Fall?

Als Folge eines Flugzeugabsturzes haben wir die Teile des Verstorbenen vernäht, damit unter einer Plane eine komplette Silhouette zu erkennen war. Durch einen Schlitz in der Plane haben wir den rechten Arm, der völlig intakt war, herausgeführt und den Ehering über den Finger gestreift. Das war für die Ehefrau ausreichend. Sie hatte etwas, um ihren Mann noch einmal anzufassen und etwas zu sehen. Nur der verschlossene Sarg reicht in solchen Fällen nicht aus.

Warum?

Es ist bewiesen, dass die Leute, die nur die Nachricht von einem Unglück bekommen und sich vom Verstorbenen nicht mehr am offenen Sarg verabschieden konnten, unter Umständen ein lebenslanges psychisches Trauma davontragen. In größeren Menschenansammlungen meinen sie immer wieder, sie sehen den Toten. Das ist schlimm. Sie können die Trauerarbeit nicht richtig beginnen.

Werden die Toten dazu auch geschminkt?

Wir richten den Toten her, waschen ihn, decken manches kosmetisch ab. Aber wir machen es nicht so wie die Amerikaner, die die Toten so perfekt schminken, dass es aussieht, als ob sie nur schlafen. Wir lassen bewusst kleine Blutergüsse und Schrammen sichtbar, damit der Angehörige, der ohnehin weiß, was passiert ist, das auch am Toten noch einmal nachvollziehen kann. Dann kann er auch akzeptieren, dass dieser Mensch jetzt tot ist. Wir hatten mal einen jungen Familienvater, der zwei kleine Kinder hinterlassen hat. Der hatte an der Stirn eine Wunde, die war gar nicht groß. Die haben wir ganz bewusst mit einem großen Pflaster abgeklebt. Das verstehen die Kinder, und das hilft den Angehörigen später vielleicht, den Kindern zu erklären, dass der Papa tot ist, weil er sich sehr weh getan hat.

Nehmen Sie die Eindrücke von Ihrer Arbeit abends mit nach Hause?

Nein. Ich habe das Glück, dass das an der Institutstüre bleibt. Höchstens wenn mal was ganz Besonderes ist, zum Beispiel wenn es um Kinder geht, rede ich zu Hause natürlich auch mit meiner Frau darüber. Die ist zum Glück auch in der Medizin tätig. Wir können uns austauschen, ohne dass sie gleich sagt, davon will ich nichts hören.

Woran denken Sie dann am Feierabend?

An meine Hobbys. Ich koche gern, habe einen Garten und tanze leidenschaftlich gern Boogie. Ich reise gern, gehe ins Theater, höre Musik – ich bin da vielschichtig. Außerdem habe ich eine Tochter und einen vierjährigen Enkel. Der ist ein sehr gutes Regulativ. Er gleicht das alles aus.

Apropos Kochen: Kommt bei Ihnen Fleisch auf den Tisch?

Natürlich. Ich kann da gut differenzieren. Gegen ein gutes Steak ist nichts einzuwenden.

Was läuft in unserer Gesellschaft schief im Verhältnis zum Tod?

Ich finde es schlimm, wenn sich Anwohner eines Hospizes beschweren, dass vor dem Hospiz ein Leichenwagen abgestellt ist. Man hat den Tod weggedrängt und beschäftigt sich erst damit, wenn aus dem nahen persönlichen Umfeld jemand stirbt. Dann muss man handeln und weiß nicht, was zu tun ist.

Was soll mit Ihnen geschehen, wenn Sie tot sind?

Ich bin Organspender. Sollten nach meinem Ableben meine Organe transplantationsmedizinisch verwendbar sein, würde es mich freuen, einigen Patienten auf der Warteliste ein Weiterleben zu ermöglichen. Da ich allerdings dann anatomisch-topographisch nicht mehr interessant bin, wird mein Leichnam feuerbestattet.

Interview: Peter T. Schmidt

Vortrag: Grüfte, Mumien und Skelette – Kartenverlosung

Wie wird ein Körper zur Mumie? Wie geht eine Einbalsamierung vor sich? Gibt es „falsche“ Mumien? Die Antworten auf diese und weitere Fragen gibt Alfred Riepertinger auf Einladung dieser Zeitung in seinem Vortrag „Grüfte, Mumien und Skelette“. Mitten in der Tutanchamun-Ausstellung, vor dem Thron des Pharaos, wird der Experte erklären, wie die alten Ägypter die Körper ihrer Verstorbenen für die Ewigkeit konservierten. Er wird aber auch zeigen, dass es Mumien nicht nur in Ägypten gibt. Auch in Bayern gibt es unzählige Grüfte, vorwiegend mit natürlichen Mumien, die bisher nur teilweise erforscht und untersucht wurden. Ein Beispiel sind die Mumien aus der Gruft in Dötting bei Ingolstadt, die man 2011/2012 im Institut für Pathologie des Klinikums Schwabing wissenschaftlich untersucht hat. Auch 300 Jahre alte Skelette, wie die aus der Klostergruft Attl bei Wasserburg, können der Nachwelt eine Menge von Informationen geben. Riepertinger nennt Beispiele berühmter Mumien aus aller Welt und zeigt, dass man sie auch in München, mitunter an ungewöhnlichen Orten, finden kann. Die Entdeckung einer „falschen“ Mumie aus dem niedersächsischen Diepholz machte im September 2013 Schlagzeilen. Der Münchner Merkur präsentiert diesen Vortrag mit mildem Grusel-Faktor am Mittwoch, 8. Juli, in der Tutanchamun-Ausstellung in der Kleinen Olympiahalle. Beginn 19.30 Uhr, Einlass 19 Uhr. Karten (14 Euro) gibt es an bekannten Vorverkaufsstellen, per Telefon (089 / 32 98 90 50) und im Internet unter on.merkur.de/tut-vortrag. Abonnenten unserer Zeitung erhalten am Eingang einen Gutschein, mit dem sie die Ausstellung noch einmal zum halben Preis besuchen können. Mit etwas Glück dürfen unsere Leserinnen und Leser auch den Vortrag gratis erleben: Wir verlosen dreimal zwei Karten. Einfach heute die Nummer 01378 / 80 66 33 (Telemedia, 50 Cent pro Anruf aus dem deutschen Festnetz) anrufen und das Kennwort „Tutanchamun“ nennen. Die Gewinner werden ausgelost und benachrichtigt. Viel Glück!

Auch interessant

Kommentare