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Die EMP-Bombe: Putins Angriff auf die „Blut- und Nervenbahnen der westlichen Wirtschaft“

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Ein Atomkrieg hätte verheerende Auswirkungen für die Menschheit.
Eine Atom-Explosion: Putins EMP-Bombe zündet in der Atmosphäre ohne direkte Einwirkung auf Menschen. Dafür werden alle Satelliten durch einen elektromagnetischen Impuls zerstört. Die Folgen sind unabsehrbar. (Symbolbild) © Markus Gann/Imago

Ihre gegenseitigen Beteuerungen sind längst Schall und Rauch: Russland und die USA drohen erneut mit Atomwaffen. Putin will damit sogar wieder ins All.

Moskau – Was Donald Trump kann, hatte auch der US-Präsident Ronald Reagan schon hinbekommen: seine vermeintlichen Freunde bis ins Mark erschüttern und ihnen den Angstschweiß auf die Stirn treiben. Das liegt jetzt fast drei Jahrzehnte zurück, hat aber offenbar im Denken von Potentaten nichts von seiner Faszination verloren: der Krieg der Sterne. Jetzt nimmt offenbar auch Wladimir Putin den Weltraum ins Visier, um der Nato seine Stärke zu demonstrieren.

Die Financial Times berichtet, dass Wladimir Putin möglicherweise einen Atomangriff auf die Ukraine in Betracht zieht, aber anders als bisher gedacht: Anstatt eine Atombombe über einer ukrainischen Stadt zu zünden, also konventionell atomar anzugreifen, könnte Russland stattdessen eine Bombe weit oben in der Atmosphäre zünden und dabei einen elektromagnetischen Impuls (englisch: Electromagnetic Pulse; deutsch: elektromagnetischer Impuls) freisetzen, der nahezu die gesamte Elektronik auf dem Boden zerstört – in einem Umkreis von Hunderten oder sogar Tausenden von Kilometern.

Das setzt dort an, wo Reagan mit seiner „Strategic Defense Initiative“ so kapital gescheitert war. Der 40. Präsident der Vereinigten Staaten hatte über den USA einen Raketenabwehr-Schirm im Weltraum aufspannen wollen – ein ambitioniertes Projekt, das Reagan 1983 zur Verteidigung der amerikanischen Nation angestoßen hatte. Laserkanonen und im Orbit stationierte Raketen sollten künftige Kriege in den Weltraum verlagern und Russland seine atomaren Zähne am Boden ziehen. Die Vision der Amerikaner: Eine Schlacht des Materials ohne Opfer. Schon nach wenigen Jahren war allerdings klar, dass ein solcher Schutzschild nicht bezahlbar und noch nicht einmal technisch machbar war. Jetzt nimmt Wladimir Putin im Ukraine-Krieg einen erneuten Anlauf auf genau dieses Ziel.

Putins Atomwaffen-Drohung: Einsatz am Boden unwahrscheinlich

Das Forbes-Magazin hält Russlands Idee aktuell eher für reichlich unausgegoren: „Diese Bedrohung ist real und muss ernst genommen werden. Es gibt aber auch Gründe zu der Annahme, dass es zu einem solchen Angriff möglicherweise nicht kommen wird, zumindest nicht in naher Zukunft. Dies gibt eine gewisse Gewissheit, dass der Ukraine-Krieg vorerst eingedämmt bleiben wird, aber das bedeutet nicht, dass Europa schon über den Berg ist.“ Russlands Präsident Wladimir Putin droht seit Beginn des Ukraine-Krieges vor zwei Jahren immer wieder mit dem Einsatz von Atomwaffen. Die EMP-Bombe wäre also der nächste, folgerichtige Schritt, vermutet allerdings das Magazin Militär Aktuell, weil ein Atomwaffen-Einsatz am Boden als grundsätzlich kontraproduktiv einzuschätzen ist.

Die Zündung einer Atombombe durch Russland würde ein größeres Gebiet nachhaltig auch für eigene Truppen verseuchen und am Schlachtfeld möglicherweise sogar eigene Verbände dezimieren. Und da zudem ein so gearteter Angriff auf die Ukraine wohl den Widerstandswillen der gesamten Bevölkerung und den der westlichen Länder stärken dürfte, dabei aber militärisch kaum Vorteile brächte, ist ein Einsatz wohl ebenso unrealistisch – in Bodennähe.

Atombombe in der Atmosphäre: Bedrohung langfristig absolut real

Anders sähe der Einsatz in großer Höhe aus, schreibt Militär Aktuell: Die freigesetzte Radioaktivität einer hoch in der Luft zur Explosion gebrachten taktischen Nuklearwaffe würde kaum Fallout ergeben und Menschenleben kosten. Der dadurch ausgelöste elektromagnetische Impuls könnte aber abseits von extrem gesicherten Netzwerken die elektronische und digitale Infrastruktur ganzer Länder kurzzeitig lahmlegen oder sogar dauerhaft ausschalten. Also auch militärische Computer, Radarsysteme, Kommunikationssysteme und Präzisionswaffen. Die Bedrohung durch nukleare und ein bis zehn Kilotonnen starke EMP-Waffen ist langfristig tatsächlich als real zu beurteilen.

Diese Art der Kriegsführung sei aber keineswegs neu, schreibt der Focus. Bereits in den sechziger Jahren habe Großbritannien testweise Atomwaffen im Weltraum gezündet, was ab 1967 durch den Atomwaffensperrvertrag verboten wurde. Mit Blick auf Kriege wie den, den Putin derzeit gegen die Ukraine führt, könnten solche Detonationen aber natürlich „am Boden großen Schaden anrichten, weil die satellitengestützte Steuerung von Lenkwaffen wie Drohnen nicht mehr möglich wäre“, wie der ehemalige Luftwaffen-Oberst Ralf Thiele vom Institut für Strategie- Politik- Sicherheits- und Wirtschaftsberatung sagt.

Folgen eines Atomschlage: Tausende Tonnen Schrott in der Umlaufbahn

Thiele geht davon aus, dass die Ziele eines solchen Angriffs vorrangig in der Zerstörung kleinerer Telekommunikationssatelliten liegen werden: Im Ernstfall würde es sich nach Einschätzung des Militärexperten aber nur um kleinere Telekommunikationssatelliten wie Elon Musks „Starlink“-Trabanten handeln. Mittlerweile kreisen geschätzte 6.000 Starlink-Satelliten um die Erde. Gerade aufgrund dieser Zahl sind andere Wissenschaftler vorsichtiger in ihrer Prognose: „Es würde die Umgebung der niedrigen Erdumlaufbahn irreparabel beschädigen. Wir hätten es möglicherweise mit einer Kaskade von Kollisionen nicht mehr funktionsfähiger Satelliten zu tun, die weite Teile der erdnahen Umlaufbahn für die gesamte Menschheit unbrauchbar machen würden“, sagt beispielsweise Ankit Panda vom nuklearpolitischen Programm des Thinktank Carnegie Endowment for International Peace.

Diese Befürchtung teilt der politische Analyst Rudolf Adam in der Zeitschrift Sirius: „Ein Cyberangriff schont Menschen und Sachwerte, zerstört aber sozusagen die Blut- und Nervenbahnen des Wirtschaftskreislaufs. Im klassischen Krieg amputieren wir den Gegner Stück für Stück, bis er aufgibt, um zu überleben. Moderne Technologie bietet viel elegantere Ansätze: Statt den Gegner abzuschlachten, lähmen wir seine Nervenbahnen. Die neuen Militärtechnologien zerstören nicht Gegenstände, sondern funktionale Zusammenhänge. Sie sind praktisch nicht zu kontrollieren, weil sich zivile und militärische Nutzungen kaum unterscheiden lassen.“

Putins Weltraum-Plan: eine Ukraine, die am Boden kampfunfähig wird

Mitte 2019 hat die Nato eine Weltraumstrategie verabschiedet und damit ermöglicht, den Weltraum künftig zu einem eigenständigen Operationsgebiet zu erklären. Dafür werden zusätzliche Ressourcen bereitgestellt, um die Satelliten der Mitgliedsstaaten vor kinetischen Angriffen und Hackern zu schützen und mögliche Angriffe dort so zu behandeln wie bislang solche am Boden oder im Luft-, See- oder Cyberraum. Zuletzt hatte die Nato 2016 „Cyber“ zum eigenständigen Einsatzgebiet erklärt, um sich besser wehren zu können gegen Hackerangriffe, die Stromnetze oder Kommunikationstechnik lahmlegen. Jetzt gewinnt die Bedrohung aus dem Osten offenbar an Konturen.

Forbes vermutet, dass Wladimir Putin genau darauf jetzt auch im Ukraine-Krieg spekulieren wird – über den großen Knall im All will er am Boden das Chaos auslösen: „Die wahrscheinliche Auswirkung eines solchen Angriffs wäre, die Ukraine in die Defensive zu drängen, während sie am Wiederaufbau ihrer Infrastruktur arbeitet. Der Zugang zu Strom und Wasser ist in der Ukraine bereits ein Problem – dies würde die humanitäre Krise massiv verschärfen. Das daraus resultierende Chaos würde Russland perfekte Bedingungen für einen erneuten Großangriff bieten“, schreibt Forbes.

Die Atomverträge damals: Vertrauensbeweise im Kalten Krieg

Immerhin wollten die Atommächte die Atmosphäre von radioaktiver Verseuchung frei halten, wie sie im August 1963 im Moskauer Atomteststoppabkommen übereinkamen; deshalb unterzeichneten die USA, die Sowjetunion und Großbritannien einen Vertrag, der oberirdische Kernwaffenversuche verbietet. Das Abkommen markierte den Beginn für ein System der nuklearen Abrüstung. Sein Zustandekommen im Kalten Krieg war auch durch die damals festgestellte besorgniserregende Zunahme der Radioaktivität in der Erdatmosphäre motiviert. Dieser Anstieg war auf Kernwaffenexplosionen zurückzuführen, die im Rahmen militärischer Testprogramme der Großmächte bis Anfang der 1960er-Jahre in großer Zahl stattgefunden hatten.

1972 schlossen die USA und die damalige Sowjetunion den ABM-Vertrag (zu Deutsch: Anti-Ballistic-Missile-Vertrag). Damit verpflichteten sich die USA und die Union der sozialistischen Sowjetrepubliken, keine landesweiten Verteidigungssysteme gegen ballistische Raketen aufzubauen. Der ABM-Vertrag begrenzt die Entwicklung und den Einsatz von erlaubter strategischer Raketenverteidigung, so sind nur zwei lokal begrenzte Raketenabwehranlagen für jeden Vertragspartner erlaubt. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurden Russland, Kasachstan, Belarus und die Ukraine Rechtsnachfolger des Vertrags.

Die Atomverträge heute: nicht mehr das Papier wert, auf dem sie geschrieben stehen

1988 folgte der INF-Vertrag (Intermediate Range Nuclear Forces) zwischen dem US-Präsidenten Ronald Reagan und dem sowjetischen Staatschef Michael Gorbatschow; der Vertrag sah die Abschaffung aller landgestützten ballistischen Raketen und Marschflugkörper mit kürzerer Reichweite von 500 bis 1.000 Kilometern sowie mit einer mittleren Reichweite von 1.000 bis 5.500 Kilometern vor. Inzwischen sind die wichtigsten Verträge von der Geschichte überholt.

Der INF-Vertrag war 2019 ausgelaufen, weil die Amerikaner unter US-Präsident Donald Trump davon zurückgetreten waren. Ihrer Ansicht nach hatte Russland mit einem neuen Rüstungsprogramm gegen das Regelwerk verstoßen. Den ABM-Vertrag hatte US-Präsident George W. Bush 2001 gekündigt, um eine eigene Raketenabwehr in Stellung bringen zu können – wie der Spiegel schrieb: „Bush hatte seinen Willen zur Entwicklung der Raketenabwehr in einer Grundsatzrede zur nationalen Sicherheit deutlich gemacht. Zum Wohle des Friedens müsse Washington sich über den ABM-Vertrag hinwegsetzen, der ,in einer anderen Ära für einen anderen Feind‘ geschrieben worden sei, erklärte Bush. Washington müsse Amerika und seine Freunde gegen alle Formen des Terrors schützen, ,einschließlich des Terrorismus, der mit einer Rakete ankommen könnte‘.“

Nahezu alles, was zwischen 1970 und 2000 rüstungskontrollpolitisch erreicht worden ist, ist damit wieder verloren, analysiert die Zeitschrift Sirius: Der ABM-Vertrag wurde von den USA gekündigt, um freie Hand bei der Entwicklung von Raketenabwehrsystemen zu haben. Der INF-Vertrag wurde ebenfalls von Washington aufgekündigt, weil Russland ihn verletzt hatte. Der Vertrag über den offenen Himmel wurde von der Trump-Regierung ohne weitere Begründung gekündigt. Der KSE-Vertrag (Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa) wurde von Russland gekündigt, nachdem die westlichen Mitgliedstaaten sich zu keiner Ratifizierung des Anpassungsvertrages (AKSE) durchringen konnten, solange russische Truppen in Transnistrien standen. Das Wiener Dokument zu vertrauensbildenden Maßnahmen ist wirkungslos geworden, seitdem vor allem Russland dieses Abkommen durch Stückelung seiner Manöver unterminiert.

Sirius-Autor Rudolf Adam hält die Raketen-Politik des 20. Jahrhunderts deshalb für gescheitert: „Die klassische Politik der Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung ist überholt.“ (Karsten Hinzmann)

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