Berlin. Die BVG wollte nach 2017 alle Tatrabahnen aus dem Verkehr ziehen. Doch weil Fahrzeuge fehlen, müssen sie bis 2020 durchhalten.

Ihr Abschied von Berlins Straßen war längst verkündet: Spätestens Ende 2017 werden die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) die letzten Tatra-Züge aus ihrer Straßenbahnflotte ausmustern, hieß es noch 2015. Später war zu hören, man wolle sich noch 40 Fahrzeuge als „Notreserve“ halten. Doch die betagten, noch zu DDR-Zeiten angeschafften Bahnen müssen nun deutlich länger im Einsatz bleiben. Mindestens bis 2020 werden die „Tatras“, wie sie von ihren Fans liebevoll genannt werden, ganz regulär durch Berlin fahren. Der Grund: Wie schon bei der U-Bahn fehlen der BVG auch für ihren Straßenbahnbetrieb die Fahrzeuge.

Doch während die im Dauereinsatz befindlichen U-Bahn-Oldtimer den Fahrgästen noch einen halbwegs passablen Service bieten, müssen die Nutzer der Tatra-Bahnen erhebliche Einschränkungen hinnehmen. Denn anders als die modernen Niederflur-Straßenbahnen vom Typ Flexity ist das Wageninnere der Tatras nur über einen hohen Einstieg erreichbar. Vor allem für Eltern mit Kinderwagen, Rollstuhlfahrer oder Menschen mit Gehbehinderungen sind die steilen Treppenstufen eine im Alltag nur schwer zu bewältigende Hürde. Behindertenverbände sind daher alles andere als glücklich über den verlängerten Tatra-Einsatz.

Lieferung nach Ostberlin

Insgesamt 562 Fahrzeuge hatte der gleichnamige tschechische Hersteller zwischen 1976 und 1997 in den Ostteil Berlins geliefert, wo die Straßenbahn bis zur Wiedervereinigung nur fuhr. Die Tatras, anfangs noch mit spartanischen Hartschalensitzen ausgestattet, waren nicht unbedingt bequem, galten jedoch bei den Ostberliner Verkehrsbetrieben als großer Fortschritt gegenüber den zuvor eingesetzten Bahnen, die teilweise noch aus Vorkriegszeiten stammten.

Nach der Wiedervereinigung wurde die Hälfte der Fahrzeuge des Typs KT4D zwischen 1993 und 1997 modernisiert. Die übrigen wurden bis 1999 vor allem an Abnehmer in Osteuropa verkauft oder verschrottet.

Nicht nur hoher Wartungs- und Instandhaltungsaufwand, sondern vor allem die fehlende Barrierefreiheit waren für die BVG Gründe, sich von den Tatras endgültig zu verabschieden. Sie sollten nach und nach durch neue Flexity-Bahnen ersetzt werden. Doch die Zahl der Fahrgäste stieg auch im Straßenbahnbetrieb rascher als gedacht. Der Senat reagierte mit der Bestellung zusätzlicher Fahrten, wofür wiederum mehr Fahrzeuge benötigt werden.

Tatra-Bahnen fahren oft auf der Linie M17

Noch die rot-schwarzen Vorgänger des aktuellen Senats bewilligten daraufhin zusätzliches Geld, mit dem die BVG die bestehende Auftragsorder beim Flexity-Hersteller Bombardier auf 210 Bahnen aufstocken konnte. Bislang hat Bombardier 159 der modernen Bahnen an die BVG geliefert, bis Ende des Jahres kommen noch 16 weitere der bis zu siebenteiligen Züge hinzu. Bis Mitte 2020 sollen dann weitere 35 geliefert werden. Im Bestand sind noch 150 Fahrzeuge vom Typ GT6. Die zwischen 1989 und 2003 gebauten Bahnen sind auch nicht mehr die allerneuesten, im Unterschied zu den Tatras aber ohne hemmende Trittstufen erreichbar.

Aktuell setzt die BVG die Tatra-Bahnen überwiegend auf der Linie M17 (Falkenberg–Schöneweide) ein. An der Linie wird seit März gebaut, größtes Projekt ist der Abriss und geplante Neubau der Rhinstraßenbrücke am S-Bahnhof Friedrichsfelde-Ost. Im Baustellenbereich können die Trams der Linien M17, 27 und 37 nur noch über ein Gleis fahren, was das Angebot reduziert. Um dennoch ausreichend Plätze zu haben, setzt die BVG auf der M17 gekoppelte Tatra-Bahnen ein. Die Züge bieten Platz für bis zu 200 Fahrgäste.

Ziel des Senats ist ein barrierefreier Nahverkehr

Der Tatra-Einsatz im regulären Verkehr soll mindestens bis zum Ende der Baumaßnahme dauern, das auf Ende 2020 datiert wurde. Diese Vorgehensweise sei mit dem Aufgabeträger abgestimmt, bestätigte ein Sprecher der Senatsverkehrsverwaltung. Eine Gefährdung des Ziels eines barrierefreien Nahverkehrs werde nicht gesehen. Grundsätzlich erfolge der Einsatz von Hochflurbahnen so, dass auf den Strecken weiterhin ein angemessener Anteil an Fahrten mit Niederflurbahnen erfolgt. Die BVG verweist darauf, dass auf der M17 alle halbe Stunde ein Zug vom barrierefreien Typ GT6 fährt.

„Unser Mitgefühl haben diejenigen, die die hohen Stufen nicht bewältigen können“, kommentierte Manfred Scharbach, Geschäftsführer des Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenvereins Berlin (ABSV) die fehlende Barrierefreiheit der Tatras. Der Verein fordert Straßenbahnen, die barrierefrei sind und in denen außerdem Außenansagen in die Fahrzeuge installiert werden.

Anfang 2017 verkündeten Senat und BVG, langfristig neue Straßen- und U-Bahnen im Wert von 3,5 Milliarden Euro kaufen zu wollen. Die dafür notwendigen europaweiten Auftragsausschreibungen sind allerdings bis heute nicht veröffentlicht worden.

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