Berlin. BVG-Chefin Sigrid Nikutta beklagt starken Anstieg von Vandalismusschäden und fordert härtere Bestrafung der Täter.

Der öffentliche Nahverkehr in Berlin wird zunehmend durch Vandalismus beeinträchtigt. Vor allem Züge der U-Bahn sind immer häufiger Ziel von Graffiti-Sprayern. Die Vorstandsvorsitzende der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), Sigrid Nikutta, beklagt jetzt einen extremen Anstieg von Straftaten. So seien allein am 29. Juni 13 U-Bahnwagen auf einer Fläche von 240 Quadratmetern mit Tags – also Sprayer-Zeichen – oder Farbe beschmiert worden. Hinzu kam noch ein Wagen mit einer herausgetretenen Fensterscheibe.

Die Wagen mussten für die Reinigung und Reparatur außerplanmäßig aus dem Verkehr gezogen werden und fehlten dann im regulären Betrieb. „Wir haben inzwischen den Stand, dass jeder U-Bahnwagen statistisch gesehen jeden zweiten Monat beschmiert wird. Das ist nahezu unglaublich und hat es so noch nicht gegeben“, sagte Nikutta im Interview der Berliner Morgenpost.

Vandalismusschäden kosten die BVG vier Millionen Euro pro Jahr

Für die Beseitigung der Vandalismusschäden muss die BVG mehr als vier Millionen Euro pro Jahr ausgeben. Hinzu kämen noch Verluste in Millionenhöhe durch nicht einsetzbare Fahrzeuge. „Ganz zu schweigen von den zu Recht verärgerten Fahrgästen, die nicht pünktlich weiterkommen“, so die BVG-Chefin.

Sie forderte eine deutliche Reaktion der Stadtgesellschaft. „Da würde ich mir wirklich wünschen, dass es in Berlin einen Sturm der Entrüstung gibt“, so Nikutta. Es müsse eine konsequentere Ächtung der Taten und auch „echt härtere Strafen“ geben.

Großes Wohlwollen für Street Art in Berlin

Als eine der Ursachen für die starke Zunahme der Sprühattacken sieht die BVG-Chefin die laxe Haltung in der Stadt gegenüber diesem Problem an. In Berlin gebe es ein großes Wohlwollen für Street Art, das wiederum übe eine sehr hohe Anziehungskraft auf die Sprayer-Szene aus.

Gerade erst habe sie in einem regionalen Fernsehprogramm einen Bericht über einen Sprayer gesehen, der schwäbischen Hausfrauen das Sprayen an legalen Wänden zeigt. Nur nebenbei sei davon die Rede gewesen, dass der Mann einst regelmäßig mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sei. Gezeigt wurde dabei auch ein beschmierter U-Bahnhof. „Das ist keine Street Art. Das ist auch nicht bunt und schön. Das ist jedes einzelne Mal Zerstörung von Gemeinschaftseigentum. Alles muss gereinigt und repariert werden“, entrüstet sich die BVG-Chefin.

Außerplanmäßige Reinigungen würden Fahrzeugmangel verstärken

Um den U-Bahnbetrieb nicht zu sehr einzuschränken, würde die BVG beschmierte Züge inzwischen auch weiterfahren lassen. In der Vergangenheit gab es die Regel, dass die BVG mit Graffiti verunzierte U-Bahnwagen sofort aus dem Verkehr zieht, um den Sprayern nicht die von ihnen erhoffte öffentliche Würdigung zu ermöglichen. In den sozialen Netzwerken tauchen immer wieder Filme und Fotos auf, in denen sich die Sprayer ihrer Taten rühmen.

Allerdings: Die aus rund 1300 Wagen bestehend Fahrzeugflotte ist alt und daher besonders störanfällig. Schon aus diesem Grund stehen zahlreiche Züge öfter als vorgesehen in den Werkstätten. Außerplanmäßige Reinigungen wegen Graffitischäden würde den Fahrzeugmangel weiter verschärfen.

Züge werden sogar während der Fahrt besprüht

Alle Verkehrsunternehmen in Berlin leiden seit Jahren unter Vandalismus. Probleme haben besonders die U- und die S-Bahn – auch, weil ihre Fahrzeuge etwa in nächtlichen Betriebspausen häufig nicht in bewachten Depots, sondern wegen der Vielzahl der Wagen im gesamten Streckennetz abgestellt werden. Bei der U-Bahn sind dies allein 60 verschiedene Orte. Eine lückenlose Überwachung sei da nicht möglich, so die BVG.

Hinzu käme eine immer größere Dreistigkeit. So würden Züge bei konzertierten Sprayer-Aktionen während der Fahrt oder sogar während eines Halts im Bahnhof beschmiert. Besonders extrem war die Situation im Frühjahr, als Sprayer den Warnstreik der BVG-Beschäftigten am 1. April nutzen, um an nur einem Tag 140 U-Bahnwagen zu besprühen. Die Reinigung der Fahrzeuge dauerte mehr als eine Woche, in dieser Zeit konnte die U-Bahn allein dadurch 3,5 Prozent ihrer Leistung nicht erbringen.

Nur knapp 21 Prozent der Taten werden aufgeklärt

Die Täter können nur selten ermittelt werden. So wurden im Jahr 2015 bei der BVG 1937 Fälle von Sachbeschädigung zur Anzeige gebracht, aufgeklärt davon wurden lediglich 404 (knapp 21 Prozent). Von 173 ermittelten Tätern wurden von den Gerichten schließlich 105 verurteilt. Der geleistete Schadensersatz betrug gerade einmal 4841 Euro.

Der Berliner Fahrgast Igeb verurteilt die Zunahme der Graffitischäden, sieht aber auch die BVG in der Verantwortung. „Es muss mehr für die Bewachung der Fahrzeuge und Anlagen getan werden“, forderte Igeb-Sprecher Jens Wieseke. Die steigenden Vandalismuszahlen sollten zudem nicht dazu missbraucht werden, von eigenen Schwächen und Fehlentscheidungen abzulenken. „Die U-Bahn steckt in einer tiefen Krise“, so Wieseke. Es mangele noch immer an Personal und Fahrzeugen.

BVG-Chefin Nikutta sieht dagegen ihr Unternehmen auf einem guten Weg. So würde die U-Bahn 98,5 Prozent aller geplanten Fahrten erbringen. Dies sei ein sehr guter Wert. Zudem wurde die Ausbildungskapazität in allen Betriebsteilen spürbar erhöht.