Unter den Bären stellen sie die Balla-balla-Fraktion: Lippenbären. Sie erschrecken schneller, als ein Vogel piep macht, und greifen sofort an. Angst macht gefährlich. Ähnlich beschreiben manche die Auswirkung der Wirtschaftskrise auf Menschen.

Beim Zootier ist die Krise noch nicht angekommen, die drei Lippenbären erhalten sogar täglich ein Extrasüppchen. Nach Auskunft von Reviertierpfleger und Sous-Chef de Cuisine Ronny Henkel handelt es sich um "Babybrei mit Haferflocken, Kleie, Erde, Honig, Insektenfresserfutter und Leinsamen". Das sei gut für die Verdauung. Wer trotzdem nicht satt wird, könnte Enten und andere Vögel ansaugen, die aus Versehen im Gehege landen. Ja, ansaugen. Das sieht aus, als wären Cartoonisten am Werk, nur dass im Zeichentrick das blutige Ende ausgeblendet wird. Doch die Zoo-Lippenbären riskieren anderswo eine dicke Lippe. "Einer hat schon ein ganzes Nest Wespen verspeist. Für einen Menschen wäre das tödlich", sagt Henkel. Sein Schützling wurde lediglich schlaftrunken, die Lippen schwollen an. Das währte nur eine Nacht ... anders als bei Chiara Ohoven.

Überhaupt die Lippen: Sie bedecken eine Lücke. Denn den Bären fehlen die inneren oberen Schneidezähne, ohne dass sie sich geprügelt hätten. Vielmehr werden sie bedroht, die Weltnaturschutzunion führt den Melursus ursinus als gefährdete Tierart.

Der Mundschutz ist darüber hinaus namensgebend. Lippenbär Jürgen ist Jahrgang 2002 und nach seinem Paten Jürgen von der Lippe benannt.

Eisbären leben im Eis, Braunbären sind braun, und Lippenbären haben eben lange Lippen. Sie saugen und schlecken wie Balu der Bär aus Rudyard Kiplings und Walt Disneys "Dschungelbuch", der tatsächlich einem Lippenbär nachempfunden ist. Berliner Lippenbärengebrummel ist außer im Zoo auch im Tierstimmenarchiv des Museums für Naturkunde zu hören; die wissenschaftliche Sammlung enthält insgesamt 110 000 Aufzeichnungen. Übersetzt ist die Bärensprache nicht. Dagegen wurde Balus Song von den "bare necessities", den Grundbedürfnissen, auf Deutsch zu "Probier's mal mit Gemütlichkeit". Immerhin hielten Forscher Lippenbären lange für eine Art Faultiere. Denen fehlen ebenfalls besagte Schneidezähne, auch ist ihr Fell sehr lang. Es sieht aus, als käme man darin schon im Winter ins Schwitzen. "Das täuscht", sagt Henkel, "es isoliert kaum. Lippenbären frieren schnell." Das mag zu Hause prima sein, in südasiatischen Ländern wie Indien und Sri Lanka. Aber im Zoo dürfen die kälteempfindlichen Zottel morgens erst als Letzte ins Freigehege und müssen abends als Erste zurück in den Käfig.

Eines sind sie aber nicht: faul. Jungtier Devi tobt durchs Gelände, als hätte sie Hummeln oder eben Wespen im Hintern. Devi ist die Abkürzung von Devil - Teufel. "Sie sieht aus wie einer und sie benimmt sich auch so", sagt Henkel. Devi ist kein Einzelfall. Im Beekse-Bergen-Safaripark in Holland hat ein Lippenbär vor drei Jahren einen Berberaffen durchs Gehege gejagt, gegen einen Elektrozaun geschleudert, getötet und gefressen. Nicht von ungefähr dienten die Raubtiere schon dem Militär als Maskottchen, wie Alfred und Kalinka, die in den 60er-Jahren mit Fallschirmjägern im Pfälzer Wald hausten.