Zwei Menschen verlieben sich ineinander und werden getrennt. Nicht vom Schicksal, erst recht nicht vom Tod, sondern durch die Berliner Mauer. Um dennoch zueinander zu kommen, nehmen sie Gefahren auf sich. Die Liebesgeschichte zwischen D. und B. ist dabei die Folie, auf der die Teilung Deutschlands beschrieben wird.

Zwei junge Menschen haben eine flüchtige Affäre. Äußere Umstände sorgen für die Trennung der beiden. Der Mann bemüht sich, diese zu überwinden. Unter veränderten Umständen sehen die zwei sich wieder. Vielleicht werden sie heiraten, vielleicht nicht.

Diese einigermaßen unspektakuläre Beziehungsgeschichte ist Inhalt eines Buchs, das zum größten kommerziellen Erfolg seines Autors zu Lebzeiten wurde. Grund des Erfolgs von Uwe Johnsons Roman "Zwei Ansichten" war die Art der Trennung: der Mauerbau 1961. Eine der beiden Romanfiguren, die junge Frau, wird durch ein Fluchthilfeunternehmen aus der eingemauerten DDR geschmuggelt, auf Betreiben des Mannes. Das Geschehen wird teils aus der Sicht B.s, teils aus jener von D. erzählt, daher der Titel.

Es war dies das erste Mal, dass solche Vorgänge in der schönen Literatur vorkamen; es war auch der Grund, wieso das Buch 1965 auf die Bestsellerlisten gelangte. Uwe Johnson, 1934 geboren, war in Anklam aufgewachsen, hatte in Rostock und Leipzig studiert. Als sein erster Roman, der sich kritisch mit den ostdeutschen Zuständen umging, lediglich in Frankfurt/Main erscheinen konnte, nahm er 1959 seinen Wohnsitz in Westberlin.

Detailbesessen, eigenwillig und spröde

Er wurde berühmt wegen seines genauen Blicks, seiner Detailbesessenheit, auch seines Stils, der eigenwillig, bedächtig und einigermaßen spröde war, man hat Anklänge an Kafka erkennen wollen und an das in Mecklenburg gesprochene Idiom. Deutlich an Kafka erinnert die Vorstellung der Hauptpersonen: Sie heißen B. und D. Solch weitgehender Verzicht auf Individuelles betrifft auch das Äußere der Figuren. Von D., der Frau, erfahren wir gerade, dass sie hübsch, von B., dem Mann, dass er groß gewachsen ist.

B., Pressefotograf in einer kleinen Stadt Schleswig-Holsteins, lernt bei einem Besuch des noch ungeteilten Berlin D., kennen, eine ostdeutsche Krankenschwester. Sie durfte nicht studieren und geht ihrem Beruf in einem vom Autor "Kombinat" genannten Krankenhaus nach, gemeint ist das Klinikum in Berlin-Buch. Die beiden unternehmen gemeinsame Ausflüge. Sie schlafen miteinander. B. reist zurück nach Holstein, da wird die Mauer gebaut. B. erkennt, dass er D. nicht vergessen kann. Er schreibt ihr. Er reist nach Ostberlin, um sie zu suchen. Er bereitet die Flucht vor. D. reist mit falschen Papieren über Rostock und Dänemark bis nach Westberlin. B. gerät in einen Verkehrsunfall. Er liegt im Virchowklinikum. D. besucht ihn. "Sie hielt sich nicht lange auf", heißt es. "In der Manteltasche hatte sie die Zeitungen des Wochenendes, die so dick sind von Anzeigen, Stellenangeboten und Vermietungen, da wollte sie sich ein Zimmer suchen."

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So endet der Roman. Der Ton ist gelassen, sämtliche Aufregung war an die Umstände der Flucht vergeben. D. trat sie nicht aus Sehnsucht nach dem Geliebten an. Sie hat bloß das Leben im Osten nicht mehr ertragen, dabei war sie "kalt vor Heimweh nach dem Land, aus dem sie fortgehen wollte". Was also bindet die beiden? Es ist nicht viel mehr als die Erinnerung an hastig genossene Zärtlichkeit, der Autor verweigert alle näheren Auskünfte, B.s Alkoholexzesse werden viel ausführlicher beschrieben.

Uwe Johnson wusste auch in diesem Falle genau, worüber er schrieb. Die junge Schwerinerin Elisabeth Schmidt hat zur gleichen Zeit und auf ähnlichem Weg die DDR verlassen. Bald danach hat Uwe Johnson sie geheiratet.