Kann man, darf man über Menschen mit Behinderung lachen? Man muss sogar, zeigt dieser Film: „Die Goldfische“ mit Tom Schilling.

Ein älterer Herr will gerade auf einen Behindertenparkplatz fahren, da schneidet ihm dreist eine junge Frau mit verbeultem Kleinbus den Weg ab und ruft: „Wir sind viel behinderter!“ Das ist nicht mal gelogen: Im Bus sitzen ein Mann im Rollstuhl, eine Blinde, ein Mädchen mit Downsyndrom und gleich zwei Autisten. Aber der arme Alte bleibt halt hilflos zurück.

Ein Behinderter nimmt den anderen aufs Korn

Sitzen fünf Behinderte in einem Bus: So fangen Witze an, bei denen man nicht recht weiß, ob man lachen darf, weil man sich damit über Minderheiten lustig macht. Sitzen fünf Behinderte in einem Bus: Das könnte freilich auch die Grundidee zu dem Film gewesen sein, der gerade mit dieser verschämten Haltung und der Political Correctness lustvoll bricht.

Und permanent Witze über Behinderte reißt. Nur dass man hier nicht über, sondern mit ihnen lacht. Weil sie sich dauernd gegenseitig aufs Korn nehmen.

Der Investmentbanker Oliver Overrath (Tom Schilling, vorn) will die Behinderten-WG für seine Zwecke missbrauchen.
Der Investmentbanker Oliver Overrath (Tom Schilling, vorn) will die Behinderten-WG für seine Zwecke missbrauchen. © Sony Pictures

Im Mittelpunkt steht eigentlich ein vollkommener Unsympath: ein Investment-Banker (Tom Schilling), der sich ständig auf der Überholspur wähnt. Selbst beim Autostau, wo er mit Vollgas auf die Gegenspur rast. Dabei baut er allerdings einen Brachi­alunfall, ist fortan querschnittsgelähmt und an einen Rollstuhl gebunden.

Die schwerste Behinderung ist das schwache W-Lan

Doch selbst das bremst ihn nicht aus. Als größte Behinderung empfindet er nur, dass in der Reha-Klinik das W-Lan zu schwach für seine Online-Deals ist.

So rollt er in die Behinderten-WG ne­benan, wo die besagte Blinde (Birgit Minichmayr), das Mädchen mit Downsyndrom (Luisa Wöllisch) und die Autisten (Axel Stein, Jan Hendrik Stahlberg) leben. Betreut von einer schwer engagierten, aber völlig unerfahrenen Sonderpädagogin (Jella Haase) – und einem Pfleger (Kida Kodr Ramadan), der seinen Job hasst.

Hier werden alle möglichen Behinderungen in einen Topf geworfen, wobei der arrogante Turbokapitalist erst mal alle gegen sich aufzwingt, Pfleger inklusive. Aber dann erfährt er, dass die Steuerfahndung hinter seinen geheimen Konten her ist. Baldigst muss er sein Schließfach in Zürich räumen. Nur wie?

Zur Kameltherapie geht es in die Schweiz – aber das ist nur ein Vorwand.
Zur Kameltherapie geht es in die Schweiz – aber das ist nur ein Vorwand. © Sony Pictures

Da kommt dem Dealmaker eine zynische Idee, die alle bisherigen Provokationen des Films bei weitem übertrifft: Er lädt die WG, scheinbar generös, zu einer Kameltherapie in die Schweiz ein. Ein Bus voller Behinderter, das scheint die perfekte Tarnung für Schwarzgeldschmuggel. Aber natürlich läuft alles ganz anders, als geplant. Also völlig chaotisch.

Das Anderssein hat Regienovize Alireza Golafshan durch seinen Migrationshintergrund am eigenen Leib erfahren, den unbeholfenen Umgang mit Behinderten durch ein Familienmitglied studieren müssen.

Ständig bleibt einem das Lachen im Halse stecken

Daraus hat er als Filmstudent den 45-Minüter „Behinderte Ausländer“ entwickelt, dann variierte er das Thema in einem weiteren Drehbuch, das die Erfolgsproduzenten Wiedemann & Berg („Das Leben der anderen“) so überzeugte, dass sie ihm auch gleich die Regie übertrugen.

Golafshan durfte, das erleben nicht viele Debütanten, gleich über ein Star-Ensemble verfügen, das es in sich hat. Allen voran Tom Schilling, der zwar viele seiner Figuren tragikomisch anlegt, aber noch nie eine reine Mainstream-Komödie gedreht hat. Er verleiht dem Film eine Art Gütesiegel, dass man es hier nicht mit plumpem Schenkelklopfhumor zu tun hat, wie man das aus so vielen vermeintlich komischen deutschen Filmen kennt.

Das Interview zum Film mit Tom Schilling

„Die Goldfische“ traut sich was: weil Golafshan bewusst provoziert und aneckt. Nicht jeder Gag mag zünden, bei vielen bleibt einem das Lachen im Halse stecken. Aber Lachen befreit: Hier trifft der vielbemühte Spruch mal wirklich zu. Die mit großer Lust gespielte Komödie regt dabei nicht nur zum Nachdenken über die eigene Unbeholfenheit an, sondern auch generell über den Missstand der Ausgrenzung von Menschen, die halt etwas anders sind.

Am Ende ist dieser Bus voll von Menschen mit und ohne Behinderung auch so etwas wie gelebte Inklusion in Reinform.

Komödie D 2019 112 min, von Alireza Golafshan, mit Tom Schilling, Jella Haase, Birgit Minichmayr, Axel Stein