Berlin. Wenn Martin Scorsese von „Citizen Kane“ schwärmt und Tipps zur Schuhwahl gibt, lässt sich das auch Wim Wenders nicht entgehen.

Es geht ohne Umschweife los am Mittwochabend im Hebbel am Ufer (HAU). Hier gilt es, keine Minute wertvollster Worte zu verplempern, findet die britische Regisseurin Joanna Hogg („The Souvenir“ 2019) und springt nahezu in den Dialog mit dem diesjährigen Berlinale-Ehrenbär-GewinnerMartin Scorsese.

Eine gute Entscheidung. Punktgenau 90 Minuten klebt sie gemeinsam mit mehr als 500 Gästen im ausverkauften Saal an den Lippen des Regisseurs und greift während des Talks nur selten und behutsam denn tatsächlich moderierend ein. Scorsese hat schließlich viel zu erzählen aus sechs Jahrzehnten, in denen er mehr als 40 Spielfilme machte.

Ehrenbär-Gewinner Scorsese: fast pathetisch bis urkomisch

Hochinteressant, wie der Regisseur, der schon vor fast 30 Jahren in Venedig für sein Lebenswerk geehrt wurde, über Film und das Leben im Allgemeinen wie Genaueren sinniert. Darüber, wie er zwischen den Gangs of New York sowie im katholischen Glauben aufwuchs und später ebenjene Lebensthemen verfilmte. „Es war eine lange Fahrt, eine lange Reise“, sagt er an einer Stelle. Dass er die Linse begreife wie der Poet den Stift, an einer anderen. Der Gedanke, das hier auch das Pathos trieft, kommt kaum auf, so sehr schlägt Scorsese die Menge in den Bann.

Aus dem Radio, dem Fernsehen und von der Straße habe er schon seine frühesten Geschichten bezogen, die er als Kind zunächst aufzeichnen musste. Storyboards erstellte er, ohne zu wissen, was ein Storyboard überhaupt ist. Denn eine Kamera konnten sich Scorseses Eltern, Italoamerikaner in New York, damals nicht leisten. Trotz größtem Weltruhm hat der Regisseur offenbar nicht vergessen, woher er kommt, auch stilistisch. Von seinen Lehrmeistern Eisenstein, Antonioni, Fellini und einer ganzen Riege weiterer Großmeister des frühen Kinos, schwärmt er im HAU. Auch davon, wie er zum allerersten Mal Orson Welles‘ „Citizen Kane“ (1941) gesehen hat – im Fernsehen, mit Werbeunterbrechungen.

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Doch Scorsese kann nicht nur sentimental, sondern auch urkomisch. „Es gibt eine Sache, die ein Regisseur wirklich haben muss“, sagt er zur versammelten Mannschaft, „und das sind starke Beine.“ Aufspringen, loseilen, einen sicheren Stand bewahren, das sei schließlich unabdingbar beim Filmdreh. „Schuhe sind deshalb sehr wichtig“, mahnt Scorsese geradezu und berichtet davon, wie er über die Jahrzehnte in Cowboystiefeln, Earth Shoes und Sneakers gearbeitet habe um schlussendlich festzustellen: „Man braucht etwas Bequemes.“

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Da kichert selbst Wim Wenders („Perfect Days“ 2023). Ja, Scorsese war nicht der einzige A-Liga-Regisseur am Mittwochabend im HAU. Wenders, der gerade am Tag zuvor im Berlinale-Palast die Laudatio auf den Ehrenbär-Gewinner gehalten hatte, wollte sich den Talk mit seinem Kollegen offenbar nicht entgehen lassen. Übrigens: Wie fast alle anderen im Publikum hat auch Wenders zuweilen das Handy gezückt, um fotografisch festzuhalten, wem er da hat zuhören dürfen.

Im Hebbel am Ufer (HAU) gab Regisseur und Ehrenbär-Gewinner Martin Scorsese bei der 74. Berlinale einen Talk.
Im Hebbel am Ufer (HAU) gab Regisseur und Ehrenbär-Gewinner Martin Scorsese bei der 74. Berlinale einen Talk. © Anika Würz | Anika Würz