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Krebserregende Stoffe in Straßenbelägen Krebserregende Stoffe in Straßenbelägen: Fahrbahnen aus Sondermüll

Von Timot Szent-Ivanyi 01.08.2014, 18:35
Wenn alte Straßenbeläge abgefräst werden, wird damit häufig auch an einer Umwelt-Altlast gerührt.
Wenn alte Straßenbeläge abgefräst werden, wird damit häufig auch an einer Umwelt-Altlast gerührt. Kehrer Lizenz

Berlin/MZ - Wenn die Prüfer vom Bundesrechnungshof ausschwärmen, entdecken sie regelmäßig absurde Beispiele für die Verschwendung von Steuergeldern. Da werden Brücken ins Nichts gebaut, tonnenweise Schuhcreme für Soldaten angeschafft oder Millionenbeträge ohne jede Kontrolle ausgegeben. Das ist aus Sicht der Steuerzahler nicht gerade erfreulich, jedoch ansonsten ungefährlich für Leib und Leben.

Ganz anders sieht es mit einem Fall aus, den die Rechnungsprüfer nun aufgedeckt haben: In Deutschland werden weiterhin Jahr für Jahr Hunderttausende Tonnen von krebserregenden Stoffen in Straßen verbaut, obwohl die Gefahren lange bekannt sind. Die Rechnungsprüfer warnen nicht nur vor gesundheitlichen und ökologischen Schäden, sondern auch vor hohen finanziellen Lasten für den Bund.

Jährlich zwei Millionen Tonnen

Bis in die 1980er Jahre hinein wurden beim Straßenbau, etwa bei den sogenannten Fahrbahndecken, teer- oder pechhaltige Bindemittel eingesetzt. Sie enthalten polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, von denen einige nachweislich krebserregend sind. Sie dampfen zum Beispiel bei Hitze aus. Nach Schätzungen des Bundesrechnungshofes enthält das Straßennetz bundesweit rund 1 000 Millionen Tonnen teer- und pechhaltigen Asphalt.

Werden die kontaminierten Straßen erneuert, entsteht gefährlicher Sondermüll. Eigentlich müsste er sicher entsorgt oder so aufbereitet werden, dass die krebserregenden Stoffe beseitigt werden. Dazu gibt es inzwischen thermische Verfahren, bei denen diese Bindemittel nahezu restlos verbrannt werden. Der gereinigte Abfall kann dann bedenkenlos in der Bauindustrie weiter verwendet werden.

Kontaminierte Menge steigt stetig an

Soweit zur Theorie. In der Praxis werden die abgefrästen Straßenschichten – es handelt sich nach Angaben des Statistischen Bundesamtes jährlich um zwei Millionen Tonnen - jedoch überwiegend ohne extra Behandlung wieder in die neuen Straßen eingebaut. Weil sie dabei mit unbelasteten Baustoffen gemischt werden, steigt die kontaminierte Menge stetig an. Laut Bundesrechnungshof werden so aus einer Tonne des krebserregenden Materials über 1,3 Tonnen. Bei einer weiteren Straßenerneuerung, die in der Regel nach 30 Jahren fällig ist, sind es dann schon 1,7 Tonnen. Der Bundesrechnungshof spricht in einem Bericht, der der MZ vorliegt, von einer „ständigen Mehrung des krebserregenden Straßenaufbruchs“.

Kosten einfach verschoben

Spätestens hier wird auch klar, warum die Rechnungsprüfer sich mit dem Fall beschäftigt haben: Die steigende Menge kontaminierten Abfalls erhöht die irgendwann fälligen Entsorgungskosten für den Bund. Besonders wurmt die Prüfer aber auch, dass sich der Bund in dieser Angelegenheit von den Ländern über den Tisch ziehen lässt, die in seinem Auftrag Straßen bauen. Der Rechnungshof stellte nämlich in einer Stichprobe fest, dass zwei Bundesländer im Zeitraum zwischen 2008 und 2012 deutlich mehr schädlichen Abfall in Bundesstraßen ein- als ausgebaut hatten. Das kontaminierte Material stammte nach Erkenntnissen der Prüfer aus Landesstraßen. Anders ausgedrückt: Die Länder nutzen die bundeseigenen Straßen als kostenlose Sondermüllhalde. Bei Entsorgungskosten von 50 Euro je Tonne sparten sie damit zulasten des Bundes 1,1 Millionen Euro.

„Eine nachhaltige Lösung kann letztlich nur sein, künftig vollständig auf den Wiedereinbau von teer- und pechhaltigem Straßenaufbruch zu verzichten und schnellstmöglich das thermische Verfahren anzuwenden“, fordert der Bundesrechnungshof. Nur so könne sichergestellt werden, dass sich der kontaminierte Müll nicht ständig vermehre und der Bundeshaushalt in der Zukunft nicht immer höher belastet werde.

Konkreter Zeitplan fehlt

Laut Rechnungsprüfern haben das Bundesverkehrsministerium und die Straßenbauverwaltungen inzwischen zugesagt, der Forderung nachzukommen. Das ist den Kontrolleuren aber nicht verbindlich genug. Es fehle ein konkreter Zeitplan, beklagt der Rechnungshof. Unabhängig davon verlangen die Prüfer vom Bund, bei den Ländern eine volle Kompensation für den illegal in Bundesstraßen entsorgten Sondermüll einzutreiben. Bisher habe das Bundesverkehrsministerium in dieser Frage „nicht mit dem gebotenen Nachdruck“ gehandelt.