Dossier

"Er oder ich" Merkel zwischen Politik und Pathos

"Wir können von unseren Soldaten nicht Tapferkeit erwarten, wenn uns selbst der Mut fehlt, uns zu dem zu bekennen, was wir beschlossenen haben", sagt Merkel.

"Wir können von unseren Soldaten nicht Tapferkeit erwarten, wenn uns selbst der Mut fehlt, uns zu dem zu bekennen, was wir beschlossenen haben", sagt Merkel.

(Foto: AP)

Bundeskanzlerin Merkel lobt in ihrer Regierungserklärung die Tapferkeit der Soldaten in Afghanistan - und warnt davor, den Krieg ruhmreich zu nennen. Doch die Begründung des Einsatzes gelingt ihr am wenigsten.

Die Sitzung des Bundestags begann mit zwei Schweigeminuten: für die Toten des Absturzes der polnischen Präsidentenmaschine sowie für die sieben getöteten Bundeswehrsoldaten.

Die Sitzung des Bundestags begann mit zwei Schweigeminuten: für die Toten des Absturzes der polnischen Präsidentenmaschine sowie für die sieben getöteten Bundeswehrsoldaten.

(Foto: AP)

Die Kanzlerin reagiert nicht. Immer wieder wird ihre Rede im Bundestag von Zwischenrufen und Gemurmel begleitet. Wird das Murren zu laut, beginnen die Koalitionsfraktionen zu klatschen. Angela Merkel lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Die Bundeswehr habe Rückhalt in der Gesellschaft, sagt sie und meint den Einsatz in Afghanistan. "Hat sie ja nicht", ruft ein Abgeordneter von links. Merkel ignoriert den Einwand.

Ihre Regierungserklärung hat sie als Trauerrede begonnen. Am kommenden Samstag wird sie erneut an einer Trauerfeier für Soldaten teilnehmen, die in Afghanistan getötet wurden. "Übermorgen nehmen wir Abschied von vier deutschen Soldaten, die am vergangenen Donnerstag in Afghanistan gefallen sind." Sie nennt die Namen der vier, auch die Namen der drei Soldaten, die am Karfreitag in Afghanistan getötet worden waren. "Sie alle sind gestorben, weil sie Afghanistan zu einem Land ohne Terror und Angst machen wollten."

Treu und tapfer

Helmut Schmidt (SPD) spricht am 20. Juli 2008 vor dem Reichstag zu Rekruten der Bundeswehr.

Helmut Schmidt (SPD) spricht am 20. Juli 2008 vor dem Reichstag zu Rekruten der Bundeswehr.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Merkel zitiert Altkanzler Helmut Schmidt, den ersten einer ganzen Reihe von Kronzeugen, die ihr durch diese schwierige Rede helfen sollen. "Ihr müsst wissen: Euer Dienst kann auch Risiken und Gefahren umfassen", hatte Schmidt vor zwei Jahren bei einem Gelöbnis vor dem Reichstag den Rekruten gesagt. "Aber Ihr könnt Euch darauf verlassen: Dieser Staat wird Euch nicht missbrauchen." Merkel wiederholt diesen Satz, dann zitiert sie auch den Soldateneid: "Ich gelobe, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen." Und sie fährt fort: "Die im Einsatz gefallenen Soldaten, derer wir heute gedenken, haben der Bundesrepublik Deutschland treu gedient." Sie seien auch tapfer gewesen. "Tapferkeit ist ohne Verletzbarkeit nicht denkbar".

Aus der Diskussion, wie das, was in Afghanistan passiert, zu nennen sei, hält Merkel sich weiterhin mit den bekannten Floskeln heraus. Sie weiß, dass der Hintergrund dieser semantischen Debatte alles andere als Wortklauberei ist: Es geht um das demonstrative Bekenntnis zur Wahrhaftigkeit. Nach der Bundeskanzlerin wird der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel sprechen. Ohne Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg namentlich zu nennen, wirft Gabriel ihm vor, nur ein "Echolot der Gefühle" zu sein. Ihn ärgert, dass Guttenberg so tut, als sei der Afghanistan-Einsatz bisher unterschätzt worden. "Wir haben immer gesagt, dass dieser Einsatz gefährlich ist", ruft Gabriel.

Krieg und Frieden

Hauptfeldwebel Daniel Seibert (l.) erhielt für seinen Einsatz das Ehrenkreuz der Bundeswehr für Tapferkeit.

Hauptfeldwebel Daniel Seibert (l.) erhielt für seinen Einsatz das Ehrenkreuz der Bundeswehr für Tapferkeit.

(Foto: picture alliance / dpa)

Merkel wählt, wie immer, den Mittelweg. Sie will sich zum Kampfeinsatz bekennen, ohne kriegerisch zu sein. Niemand verharmlose das Leid, dass der Einsatz bei den Soldaten, aber auch bei Afghanen hinterlasse, betont sie. "Wir können von unseren Soldaten nicht Tapferkeit erwarten, wenn uns selbst der Mut fehlt, uns zu dem zu bekennen, was wir beschlossenen haben." Um zu demonstrieren, dass sie die Realität kennt und erträgt, zitiert sie einen Hauptfeldwebel, der im Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" von einem Gefecht in Kundus am 4. Juni 2009 berichtet hatte. Auf die Frage, ob er einen Angreifer, der direkt auf ihn schoss, getötet habe, antwortete Hauptfeldwebel Daniel Seibert: "Ich habe ihn erschossen. Er oder ich, darum ging es in diesem Fall."

Das Gegenmittel folgt unmittelbar in Gestalt von US-Präsident Barack Obama. Der habe bei der Verleihung des Friedensnobelpreises gesagt, dass die Mittel des Kriegs zwar bei der Erhaltung des Friedens eine Rolle spielten. "Und doch muss diese Wahrheit neben einer anderen bestehen; nämlich der, dass Kriege menschliche Tragödien bedeuten, wie gerechtfertigt sie auch immer sein mögen. Der Mut des Soldaten ist ruhmreich, ein Ausdruck der Aufopferung für sein Land, für die Sache und für seine Waffenbrüder. Doch der Krieg selbst ist niemals ruhmreich, und wir dürfen ihn niemals so nennen." Merkel ergänzt: "Jeder Tod beendet nicht nur ihr Leben, er trifft auch immer gelebte zwischenmenschliche Nähe, Hoffnungen, Träume."

Frauen und Mädchen

Auf Trauerrede und Erörterungen zu Krieg und Frieden folgt der dritte Teil der Rede. Merkel präsentiert die Gründe für den Afghanistan-Einsatz. Ausgerechnet dieser Teil der Regierungserklärung ist der schwächste. "Dass afghanische Frauen heute mehr Rechte als früher haben, dass Mädchen zur Schule gehen können, dass viele Straßen gebaut wurden, das ist Ergebnis unseres Einsatzes in Afghanistan", sagt die Kanzlerin - als hätte der Bundestag den Afghanistan-Einsatz beschlossen, um die afghanischen Frauen zu befreien.

Der damalige Bundesverteidigungsminister Peter Struck Anfang 2003 bei einem Besuch in Kabul.

Der damalige Bundesverteidigungsminister Peter Struck Anfang 2003 bei einem Besuch in Kabul.

(Foto: picture-alliance / dpa/dpaweb)

Natürlich räumt Merkel ein, dass dies allein den Einsatz nicht rechtfertige. Sie ruft ihren vierten Kronzeugen auf, den zweiten Sozialdemokraten auf ihrer Liste. Es ist der ehemalige Verteidigungsminister Peter Struck, der 2002 gesagt hatte, Deutschlands Sicherheit werde "auch am Hindukusch verteidigt". "Bis heute hat es niemand klarer, präziser und treffender ausdrücken können, worum es in Afghanistan geht", unterstreicht Merkel. Wer den Krieg in Afghanistan für sinnvoll hält, wird sich mit diesem Satz bestätigt fühlen. Die Kraft, die öffentliche Meinung zu drehen, hatte Strucks These schon vor acht Jahren nicht.

Staatstragend und hilflos

Als weiteren Grund nennt Merkel die internationalen Verpflichtungen der Bundesrepublik. Das ist wenigstens ehrlich: Selbstverständlich sind die realpolitischen Zwänge und Bündnisverpflichtungen ein zentraler Grund für die deutsche Beteiligung am Krieg in Afghanistan - ebenso selbstverständlich ist, dass dies als Begründung für den Tod von Soldaten und Zivilisten nicht ausreicht.

"Wer heute einen sofortigen Rückzug fordert, der handelt unverantwortlich", sagt Merkel. Das klingt staatstragend und hilflos zugleich. Nicht nur würde Afghanistan in Chaos und Anarchie versinken, meint Merkel, auch die Folgen für die internationale Gemeinschaft und die Bündnisse, in denen Deutschland Verantwortung trage, wären unabsehbar. Mit Blick auf Iran und Pakistan betont sie zudem, ein vorzeitiger Abzug wäre eine "Ermutigung für alle Extremisten", die weit über Afghanistan und seine Nachbarn hinausginge.

Schließlich fällt auch das Schlagwort der "Übergabe in Verantwortung", mit der bereits 2011 begonnen werden soll. Ganz nebenbei teilt Merkel mit, dass Bundesaußenminister Guido Westerwelle am 20. Juli in Kabul an einer Konferenz teilnehmen wird, auf der die Ziele der Londoner Afghanistan-Konferenz überprüft werden sollen. Doch nicht Politik, sondern Pathos beschließt diese Rede: "Alle Soldaten, die in Afghanistan Dienst tun, verdienen unsere Solidarität und unser Mitgefühl. Sie leben ständig in Angst, verletzt oder getötet zu werden. Sie leben in dieser Angst, damit wir zuhause in Deutschland nicht Angst haben müssen. Dafür gebührt ihnen unser Dank, unsere Hochachtung und unsere Unterstützung. Herzlichen Dank!"

Quelle: ntv.de

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