Wirtschaft

Was können wir uns noch leisten? Frührentner (55): Ich ernähre mich zur Hälfte von Tütensuppen

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"Alles über einen Euro lasse ich liegen", sagt der erwerbsunfähige Rentner.

"Alles über einen Euro lasse ich liegen", sagt der erwerbsunfähige Rentner.

(Foto: picture alliance / imageBROKER)

Vor allem Energie und Lebensmittel sind deutlich teurer geworden. Bei ntv.de verraten regelmäßig Menschen aus allen Einkommensgruppen, was das für ihren Alltag bedeutet - wie hoch ihr Einkommen ist, wofür sie wie viel Geld ausgeben und was am Monatsende übrig bleibt. Heute:

Ein Erwerbsminderungsrentner

Name: Ich möchte anonym bleiben*

Alter: 55 Jahre

Wohnort: Altenkunstadt in der Nähe von Bayreuth

Ausbildung: Chemikant

Aktuelle Tätigkeit: Erwerbsminderungsrentner - rheumatoide Arthritis, COPD, Diabetes, Restless Legs, ein Lymphödem in den Beinen, Harninkontinenz, eine bipolare Störung, eine posttraumatische Belastungsstörung etc. zwingen mich, berentet zu sein. Ich habe einen Grad der Behinderung von 100 mit den Merkzeichen außergewöhnliche Gehbehinderung und Begleitperson, außerdem einen Pflegegrad von 3. Selbst zu stehen, ist kaum möglich, das Rheuma hat sich bis in die Wirbelsäule ausgebreitet.

Bruttoeinkommen: insgesamt 1690 Euro pro Monat aus gesetzlicher Rente, Berufsunfähigkeits- und Betriebsrente plus einmal jährlich 1000 Euro Landespflegegeld. Wegen meiner psychischen Erkrankungen verwaltet eine gesetzliche Betreuerin meine Finanzen. Meine Privatinsolvenz läuft noch eineinhalb Jahre.

Familienstand: geschieden, eine erwachsene Tochter

Haushaltsnettoeinkommen pro Monat: 1678 Euro ohne Landespflegegeld, das geht für Sonderausgaben wie Zuzahlungen für Medikamente und im vergangenen Jahr einen Propangasofen drauf. Von der nächsten Auszahlung möchte ich neben der Arzneimittel-Zuzahlung einen Motorroller kaufen, um zumindest etwas mobiler zu sein.

Monatliche Miete: 560 Euro inkl. Betriebskosten

Monatliche Heizkosten: Das Gas wurde mir vor drei Jahren abgestellt, weil ich eine Nachzahlung von mehreren Hundert Euro nicht bezahlen konnte. Seitdem heize ich mit Stromheizungen und seit letztem Winter zusätzlich mit einem Propangasofen, der mich in der Heizsaison 60 Euro im Monat kostet, also umgerechnet aufs Jahr 30 Euro im Monat.

Wie stark diese im Lauf der Energiekrise gestiegen sind: Im vergangenen Jahr wurde meine Strom-Abschlagszahlung von 120 Euro auf 190 Euro erhöht. Meine Betreuerin hat daraufhin einen anderen Tarif für mich gesucht, nun liegt der Abschlag bei 176 Euro. Den Propangasofen habe ich erst im vergangenen Jahr gekauft - davor glich meine Wohnung einem Gefrierschrank.

Monatliche Stromkosten: 176 Euro, da ich mit Strom heize

Weitere Fixkosten pro Monat:

  • 370 Euro Unterhalt an meine Exfrau
  • 150 Euro für Inkontinenzprodukte
  • Rund 50 Euro Zuzahlungen für Medikamente
  • 40 Euro Internet + 8 Euro Streaming
  • 18 Euro Rundfunkbeitrag
  • 16 Euro Handy
  • 15 Euro Sozialstation
  • 7 Euro Kontoführungsgebühren

Unterm Strich frei verfügbares Haushaltseinkommen für Lebensmittel, Hygiene, Freizeit, Kleidung, Urlaub etc.: rund 240 Euro. Die letzte Kleidung habe ich vor fünf Jahren gekauft, der letzte Urlaub war vor 13 Jahren.

Was ich für Lebensmittel ausgebe: Etwa 200 Euro. Eigentlich sollte ich allein wegen der Diabetes auf eine ausgewogene Ernährung achte, also mehr Gemüse oder auch Obst essen, aber das geht so gut wie gar nicht.

Wie viel mehr ich für Lebensmittel ausgebe als vor einem Jahr: 33 bis 50 Prozent - es kommt auch vor, dass am Monatsende kaum was zu essen vorhanden ist. Dann muss ich gegen eine Unterzuckerung immer wieder Marmelade essen.

An welchen Stellen ich aufgrund der hohen Inflation spare: Da ich immobil bin, ist die Auswahl an Supermärkten nicht so groß: Lidl oder Rewe. Wenn Produkte wie Wurst im Angebot sind, kaufe ich solche Waren ab und an mal. Joghurt schon seit drei Jahren nicht mehr. Obst sehr selten, Gemüse oder Salat ebenfalls selten. Alles über einen Euro lasse ich liegen. Ich ernähre mich zu 50 Prozent von Tütensuppen und esse eigentlich nur noch abends.

Wie viel ich für Urlaub ausgeben kann: 0 Euro. Ich kann nicht mal meine Mutter in NRW besuchen, die ist 90 Jahre alt - wir telefonieren zwar, aber das kann man nicht mit einem Besuch vergleichen.

Wie viel Geld am Monatsende übrig bleibt: NICHTS! Ausgehen oder Hobbys kann ich mir nicht leisten, selbst auf Frisörbesuche verzichte ich. Früher bin ich gerne ins Kino oder zu Rockkonzerten gegangen, inzwischen ist es nicht möglich für mich, am Leben teilzunehmen, zum Beispiel mal essen zu gehen.

Die Ärzte haben mir einen E-Rollstuhl verordnet - bekommen habe ich einen normalen, den ich so gut wie nicht benutzen kann, da das Rheuma auch die Handgelenke betrifft. Die Krankenkasse hat mir eine elektrische Schiebehilfe bewilligt. Solange man jemanden hat, der die Schiebehilfe bedient, geht es einigermaßen. Solange meine Frau noch da war, hat sie die Schiebehilfe bedient. Aber das ist auch fast fünf Jahre her. Freunde? Die sind auch weg. Ich beschreibe mein Leben oft als Einzelhaft: Man verlässt die Wohnung zum Einkaufen, und das war es auch schon. Nur mit dem Unterschied, dass ich weder etwas gestohlen noch jemanden verletzt oder gar ermordet habe.

Inflation zum Anfassen

Die Angaben dieser wichtigsten Einnahmen und Ausgaben beruhen auf Selbstauskünften, ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

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Meine Rente ist zu hoch, um Bürgergeld oder Lebensmittel von der Tafel zu bekommen. Auch die Krankenkasse geht von der Rente und nicht vom tatsächlich zur Verfügung stehenden Einkommen aus. Ich bin der Sozialstation Burgkunstadt sehr dankbar, ohne ihre unbürokratische Hilfe wäre alles viel schlimmer geworden.

Wünsche an die Politik: Statt sich selber immer wieder eine saftige Diätenerhöhung zu gewähren und dann noch die Frechheit zu besitzen, sich zusätzlich einen Inflationsausgleich zu gewähren und Staatsgelder ins Ausland zu verschleudern, etwa in Form von Entwicklungshilfe für China, sollte man einen sozialen Ausgleich schaffen. Vielleicht sollten die Diäten anhand von Erfolg berechnet werden. Politiker sollten bedenken, dass sie das Geld der Bürger verwalten und dass die Bürger die Politiker bezahlen. Manche der Politiker, die eine fette Diät samt Sonderzahlung jeden Monat einstreichen, waren nicht mal geboren, als ich im Schichtsystem gearbeitet habe und diesen Staat zu dem gemacht habe, was er mal gewesen ist. Heute sind viele Brücken nicht befahrbar und überall sind Schlaglöcher, von der Unfallgefahr für Zweiräder mal abgesehen. Selbst die Bahn ist nicht mehr das, was sie mal war - früher ein Aushängeschild der Pünktlichkeit.

*Der Name ist der Redaktion bekannt

Quelle: ntv.de, Christina Lohner

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