Albträume aus der Maschine

Zwischenprodukte und Motivgeschwulste: Die immersive Arbeit »Counterfeit Poast« des Künstlers Jon Rafman ist in Berlin zu sehen

  • Vincent Sauer
  • Lesedauer: 3 Min.
Ausstellungsansicht: "Counterfeit Poast" von Jon Rafman bei Sprüth Magers in Berlin
Ausstellungsansicht: "Counterfeit Poast" von Jon Rafman bei Sprüth Magers in Berlin

Die Galerie Sprüth Magers ist nur einen Pflastersteinwurf vom Monbijoupark in Berlin entfernt. Durch die Oranienburger Straße marschieren stramm Touristen, im Whitecube treten die Besucher des Erdgeschosses brav vor jede Fotografie von Bernd und Hilla Becher. Die Fotos zeigen, dass es eine von Menschen gebaute Welt gibt, die, ohne nervige Schöpfer, immerhin wie ein ramponiertes Kleinod aussieht.

Interessanter wird es, betritt man im ersten Stock den Kontrollraum eines Albtraums, mit Akustikschaumstoff an der Wand und Teppichboden. Der US-Künstler Jon Rafman zeigt hier seine Arbeit »Counterfeit Poast«: Das Video spult Schnipsel von Schicksalen ab, in denen Figuren, die auf einsamen Menschen beruhen, wie in einem Interview ohne Frage-Part Einblicke in ihre verwunschenen Leben geben. Es sind Bekenntnisse und Geständnisse; jedes Leben, von dem in Episodenform Auskunft gegeben wird, nachdem es durch eine Suchleiste gefunden wurde, ist absurd und brutal traurig.

Ein dicker Junge erzählt davon, dass er ein Walross werden möchte, um unbesiegbar zu sein, wofür er sich schon mal die Arme amputiert hat. Verwandlung statt Entwicklung, technische Veränderung statt persönliches Durch- und Vorankommen lautet die Devise. Eine junge Frau tritt auf, die sich offen zum Verzehr von Hundefleisch bekennt und die Diskriminierung dieser Gruppe, die pseudopolitische Fraktion einer Ernährungsgewohnheit, streng und laut verurteilt. Der Geist eines schwulen Mannes aus Somalia macht eine Seelenwanderung in einen Midwest-Redneck; ein gelangweilter Ehemann tritt vorgeblich in Kontakt mit seinem vom Geheimdienst geschickten »Guardian Agent« (eine Verballhornung des englischen Wortes für »Schutzengel«) per Post-it in seiner Wohnung, die seine Frau als romantische Avancen versteht.

Dass das immer nach Albtraum aussieht, liegt an den Bilderstrecken, welche die Testimonials begleiten und vermutlich Einblicke in den »Deep Dream« von Maschinen bieten, mit dem sie seit Mitte der 2010er Jahre sehen lernen: Eine Künstliche Intelligenz wird kontinuierlich mit Bildern gefüttert, bereits bekannte Bilder werden mit neuen abgeglichen. In diesem Feedback-Prozess entstehen Zwischenprodukte, Motivgeschwulste, in denen dickes Kind und Walross, Hundefleischesserin und Hundefleischburger ineinander übergehen. Das ist naturgemäß äußerst eklig.

Rafman lässt Bilder entstehen, in denen die Börse aussieht wie der Hades, Mädchen in Hoodies sich mit Welpen kreuzen. Virtuell tot oder lebendig, tierisch oder menschlich, alt und neu, sauber und dreckig, das wird ununterscheidbar, was an sich nicht sonderlich einfallsreich ist, aber für Angst und Schrecken sorgt, da wir mit dezidiert nicht-menschlichen Augenersätzen sehen, die man sich doch als vergessene Elemente des eigenen Träumens denken kann.

»Counterfeits« sind Fälschungen, die exakte Imitation etwa von Geldscheinen. »Poast« ist eine veraltete Schreibweise von »Post«. Rafmans Figuren, die als Avatare aus alten 3D-Programmen erscheinen, sprechen so, wie man Posts in den großen dunklen Foren des Internets formuliert. Man sieht von ihnen so viel, wie von Gesprächspartnern in Computer-Rollenspielen. Niemand kann in Rafmans entstellter Welt große Integrität von sich behaupten, aber sie sind so oder so in der großen Transformation der durcheinander geratenen Bilder gefangen, die dann die Genauigkeit des Erkennungsdienstes der Computer vorantreibt.

Ob die vorgeführten Albträume nun ganz logisch zum Maschinensturm aufrufen, nur für verbittertes Gelächter über die Verkommenheit der Internetmenschheit sorgen oder ein paar Funken Empathie sprühen lassen, mag sich von Betrachter zu Betrachter unterscheiden. Gewiss ist, dass jede überlegene Betrachter-Perspektive selbst, aus der man die um Biografie bemühten Testimonials sieht, die sich aber aus dem Gezeigten rausnimmt, nicht der Wahrheit letzter Schluss sein darf. Egal wie erbärmlich die dargebotenen Geschichten wirken mögen, zappeln in ihnen doch menschliche Äußerungen, Träume und Wünsche, die noch nicht ganz in den allesfressenden Algorithmen der Bildprogramme, die Aussätziges suchen, aufgegangen sind.

Der Autor dankt Katharina Cameron für wertvolle Hinweise.
John Rafman: »Counterfeit Poast«, bis 12.11., Galerie Sprüth Magers, Berlin.

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