"Der Zufall ist mein treuester Begleiter!"

Mit dem Menschen im Mittelpunkt ergründet der Kärntner Künstler Valentin Oman die Vielschichtigkeit unserer Spezies. Sein "Ecce Homo" ist dabei persönliches Sinnbild dieser Spurensuche. Ein Thema, das selbst nach Jahrzehnten nicht obsolet ist.

von "Der Zufall ist mein treuester Begleiter!" © Bild: Ferdinand Neumüller

Mozarts Requiem erfüllt den Raum und flutet ihn mit fesselnder Emotion. Inmitten des Raumes steht ein Mann -in seinen weißen Malerkittel gehüllt, verleiht er mit seiner Arbeit ebendieser Emotion Ausdruck und gedenkt dabei der Toten in der Ukraine. Begleitet von den orchestralen Klängen und den Stimmen des Chors kaschiert er dazu ein digital bedrucktes DIN-A4-Blatt auf eine großformatige Leinwand. 56 dieser Blätter sollen später darauf Platz finden. Das Ergebnis: "Eine Collage gegen das Vergessen", erklärt der Kärntner Künstler Valentin Oman. Bei genauer Betrachtung erkennt man den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj auf der fast bis zur Unkenntlichkeit bearbeiteten Fotografie auf A4-Papier -darüber prangt mehrsprachig "Kein Krieg". Ein ganzes Konvolut dieser Papierarbeiten, die sich mit dem Krieg in der Ukraine befassen, wartet darauf, Teil einer der Collagen des Zyklus "In Memoriam Ukraine 22" zu werden.

Seit dem 24. Februar des Vorjahres, dem Tage der russischen Invasion in der Ukraine, dokumentiert Oman, dessen Arbeit seit jeher von politischen Geschehnissen beeinflusst ist, die im Fernsehen gezeigten Gräueltaten fotografisch. "Sie geraten viel zu schnell in Vergessenheit", mahnt er. Außerdem widerstrebt es seinem Naturell, konfrontiert mit derart schrecklichen Ereignissen, einfach routiniert weiterzuarbeiten. "Als Künstler kann ich gar nicht anders, als diese Themen aufzugreifen und sie in meine Arbeit einfließen zu lassen", so Oman. "Viel zu stark ist der Einfluss auf mich als Person", erklärt er. In seinem aktuellen Werkzyklus, der ursprünglich bloß als Erinnerungszeichen für ihn selbst gedacht war, bearbeitet er die Fotografien der Berichterstattung weiter -der Computer wird dabei zum Pinsel. Das eigentliche Motiv lässt sich am Ende bloß noch in Spuren, wie sie in seinem Werk immer wieder auftauchen, erkennen. Damit schuf Oman einen für ihn völlig neuen, digitalen Zugang zur Kunst. Und doch blieb eines dabei unverändert -der Mensch im Fokus.

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Der Mensch im Mittelpunkt

Denn an Omans Leitmotiv hat sich seit seiner Zeit an der Wiener Akademie für angewandte Kunst nichts verändert. Dass er überhaupt Künstler wurde, verdankt er seiner Schulzeit: Ursprünglich wollte Oman nämlich Theologie studieren und später einmal ins Priesterseminar, um Pfarrer zu werden. Doch von der Leidenschaft seines Zeichenlehrers am Gymnasium geprägt, änderte der Kärntner -dem Unmut seiner Mutter zum Trotz - seine Pläne und brach nach der Matura im häuslichen Unfrieden Richtung Wien auf. Sein Ziel: die Kunst.

© Ferdinand Neumüller/ Courtesy Valentin Oman
© Ferdinand Neumüller/ Courtesy Valentin Oman IN MEMORIAM UKRAINE. In seiner aktuellen Werkserie thematisiert Oman den Krieg in der Ukraine - dazu erstellt er digitale Collagen auf DIN A4, von denen später 56 auf eine Leinwand kaschiert werden

Während seiner Zeit an der Akademie war es vor allem das Kopf-und Aktzeichnen, das nachhaltig großen Einfluss auf das Werk Omans, wie wir es heute kennen, nahm. Es legte damals gewissermaßen den Grundstein für seine weitere Arbeit -die Studie am Menschen. Mit seinem Hauptwerk "Ecce Homo" hat sich Oman schließlich ganz dem Rätsel der Vielschichtigkeit des Menschen verschrieben. Diese Vielschichtigkeit spiegelt sich auch in seinem Œuvre wider: "Das einschichtige Malen hat mich wenig interessiert, zumal der Mensch ja selbst ein vielschichtiges Wesen ist", begründet Oman. Um diese Vielschichtigkeit für die Betrachterinnen und Betrachter seiner Werke spürbar zu machen, setzt er in seiner Arbeit auf Materialität. "Die Farbwahl selbst folgt zwar einem ikonografischen Anspruch, aber letztlich ist es das Material, das meinen Bildern ihre Dimension und Tiefe verleiht." Und ihm dabei hilft, die Routine der Alla-Prima-Malerei, die stets einer genauen Vorstellung folgt, zu durchbrechen: "Mit dem Farbauftrag beklebe ich die Tafel mit Gaze, ehe ich sie später wieder decollagiere, wodurch ich die Kontrolle zu einem gewissen Grad abgebe -durch das Wiederholen dieses Malprozesses erzeuge ich die Vielschichtigkeit meiner Gestalten." Dabei ist er stets sein treuester Begleiter: der Zufall. "Je mehr er mich bei der Arbeit unterstützt, desto lieber ist mir das Ergebnis."

Den Brückenschlag zur Zeichnung schafft der studierte Druckgrafiker, der sich bis heute selbst vielmehr in der Grafik als in der Malerei verortet, durch eine eigens entwickelte Drucktechnik mit Vinylfolie. "Dadurch erlange ich ein Stück weit die Kontrolle wieder", scherzt er.

Theologie & Kunst auf einen Nenner

Das Ergebnis: Eine fragmentarische Darstellung, die der Interpretation den notwendigen Raum eröffnet -schließlich soll sein "Ecce Homo", allein der Titel gewährt in Oman-Manier Deutungsspielraum, dieses Lebenswerk, ein Stück weit Rätsel bleiben. "Und dafür liebe ich das Fragment", betont der Künstler. Ein "fertiges Bild" wär nicht in seinem Sinne. Immerhin will er die Betrachterinnen und Betrachter seiner Kunst nicht langweilen: "Meine Darstellungen lassen vieles offen -das finale Bild, des Rätsels Lösung, so es eine gibt, entsteht erst in deren Köpfen."

Der erste "typische Oman" - sein Strich - entstand übrigens im sakralen Raum: "Begonnen habe ich mit dieser speziellen Technik bei der Gestaltung der Kirche Tanzenberg, wo ich ab Herbst 1986 ein Jahr an den Wänden des Presbyteriums gearbeitet habe", erinnert er sich. Die Geburtsstunde seiner Tafelbilder, seiner "Schweißtücher des Menschen". Und obwohl die Arbeit Omans im Laufe seiner künstlerischen Karriere oftmals im Kontext sakraler Räume steht oder sakrale Symboliken Einfluss finden, ist er heute Agnostiker. "Die kirchliche Sprache wurde mir zunehmend fremd -irgendwann habe ich damit nichts mehr angefangen", erzählt Oman. Außerdem sind ihm der Kampf der Religionen und die Morde im Namen Gottes gänzlich unverständlich: "Niemand hat die Wahrheit gepachtet."

Seinen Glauben hat er dennoch nicht zur Gänze verloren. Schließlich müsse es irgendetwas nach dem Hier und Jetzt geben: "Das irdische Leben wäre mir jedenfalls nicht genug."

© Ferdinand Neumüller/ Courtesy Valentin Oman ECCE HOMO. Seine Stelen porträtieren die Vielschichtigkeit des Menschen

"Als Maler bin ich unheilbar krank!"

Heute ist er lieber im Atelier als in der Kirche. Beinahe täglich ist er dort anzutreffen. "Aktuell mein einziger Sport", versichert er und erzählt von seiner "jämmerlichen" Saison beim Fliegenfischen an der Soča. Nur einen einzigen Fisch habe er diesen Sommer gefangen. Und doch vermag man es ihm nicht so recht zu glauben, dass er sonst ganz ohne Sport auskommt. Immerhin wird Oman nächste Woche 88 -ein Alter, das man ihm nicht ansieht. Sein Jungbrunnen? Die Kunst. "In einem anderen Job wäre ich vermutlich nicht so alt geworden. Hier habe ich keinen Chef und all die Schwierigkeiten, die ich habe, mache ich mir selbst", scherzt er. Ans Aufhören denkt er noch lange nicht: "Maler zu sein ist schließlich kein Beruf -ich beschreibe es immer als unheilbare Krankheit, die glücklicherweise nicht wehtut."

Und auch an Themen scheint es ihm nicht zu mangeln, auf "den Kuss der Muse" brauche er heute nicht mehr zu warten. So hat auch der Nahostkonflikt längst Einzug in seine Arbeit gefunden. Für Oman eine weitere Bestätigung, dass sein "Ecce Homo" nach wie vor nicht obsolet ist. "Das Tragische ist, dass es in kritischen Situationen stets die unfähigsten Politiker gibt. Es ändert sich leider eben doch nichts - der Mensch bleibt mir ein Rätsel."

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 49/2023 erschienen.