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Richard Kindley als König von Neapel in Luca Lombardis Oper „Prospero“ am Staatstheater Nürnberg. Foto: Marion Bührle/Staatstheater Nürnberg
Richard Kindley als König von Neapel in Luca Lombardis Oper „Prospero“ am Staatstheater Nürnberg. Foto: Marion Bührle/Staatstheater Nürnberg
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Die Komik des Einfachen als Protest gegen den Weltlauf

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Luca Lombardi verabschiedet sich mit seiner Oper „Prospero“ von kämpferischen Fortschrittstheorien
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Der italienische Komponist Luca Lombardi (Jahrgang 1945) hat mit seinen musikalischen Werken immer schon konkret gesellschaftlich Stellung genommen. Schon in den vorangegangenen Opern, vor allem in der Stalin-Schostakowitsch-Oper „Dmitri oder der Künstler und die Macht“, ging es ihm um die Pervertierung von Idealen, die im politischen Geschäft und in der Verfolgung von Herrschaftsinteressen zerrieben wurden.

Seine nun in Nürnberg uraufgeführte dritte Oper „Prospero“ nach Shakespeares „Sturm“ geht hier noch einen Schritt weiter. Die kämpferischen Fortschrittstheorien, die auch Lombardi als intellektueller italienischer Linker einst hatte, sind dahin. Es bleibt allein der Sarkasmus der Analyse. „Prospero“ ist eine Komische Oper, aber die Komik ist allein Hülle für eine desillusionierte Weltsicht. Am Schluss der Oper suchte er freilich, die Motivation für das Werk ausführlich zu erklären. Das ist immer schwierig, denn Oper erklärt nicht – oder tut das allenfalls mit einem kühnen Schluss-Strich, wie er Verdi im „Falstaff“ mit „Alles in der Welt ist Spaß“ gelang. In dieser italienischen Tradition sieht sich Lombardi, ausdrücklich nennt er auch Puccini (und Busoni, Dallapiccola und Nono), den es unter Zeitgenossen neu zu werten gelte. Da hat er zwar Recht, es sichert aber noch nicht das Gelingen.

Man muss etwas auf die Hintergründe blicken, allein schon deshalb, weil sich Lombardi mit seiner neuen Oper radikal allen Frust an der gesellschaftlichen wie musikalischen Gegenwart vom Leibe schrieb. Schon Shakespeares Insel, auf der Prospero sein Reich errichtete und wo er mit Hilfe des guten Geistes Ariel die einstigen Feinde an die eigenen Gestade trieb, ist Reagenzglas. Was geschieht, wenn im Sturm die installierten Machtverhältnisse zerrieben sind? Emporkömmlinge drängen in die vakanten Positionen, nicht um die Verhältnisse zu ändern, sondern um innerhalb alter Strukturen bessere Plätze zu besetzen, selbst wenn moralisch edlere Motive den Ausgang bildeten. Das Geschehen im und nach dem Sturm ist ein Spiel, eine Versuchsanordnung. Die chemischen Elemente werden durchgeschüttelt und man sieht zu, welch neue Formen entstehen würden (allein Ariels überirdische Zauberkraft, gelenkt vom Spielleiter Prospero, reguliert die Prozesse).

Und so gibt es in der Oper, die Shakespeares Modellanordnung als Folie verwendet, viele Anspielungen auf ehemalige Klischees: Etwa wenn das trunken machtgeile Paar, der Kellermeister Stefano und der Hofnarr Trinkulo, die 68er-Parole „Freiheit für Caliban“ grölen oder wenn sich in den Liebesszenen zwischen Ferdinando und Miranda Kitsch mit demonstriertem Schönklang mischt. Alles ist nur Spiel, das verdeutlichen auch die Bezüge zur Commedia dell’-Arte. Miranda steckt in einer Mischung aus Baströckchen und harlekineskem Leibchen, Trinkulo kräht, wie es die ratlos eifrigen Dottores oder Advokaten in den Komischen Opern tun, die ehemaligen Machthaber, Alonso, der König von Neapel, oder der Bruder von Prospero, Antonio, sind Clowns und Caliban poltert Holz scheppernd in kräftig zerzausten tonalen Trivialmelodien herum, denen ein quäkendes Fagott oder ein schnarrendes Kontrafagott so etwas wie eine Basis gibt.

Aber auch Lombardi spielt. Die Musik in „Prospero“ schlägt allen ästhetischen Maximen der ehemaligen Avantgarde gnadenlos ins Gesicht. Die Melodie, nicht umsonst verweist Lombardi auf Puccini, wird mit geradezu frivoler Gelassenheit in alte Rechte gesetzt, ein solistisch verwendetes, auf der Bühne seitlich plaziertes Cello und klanglicher Partner von Prospero, darf Kantilenen spinnen, die Flöte, Partner des in vier Frauenstimmen luftig geführten Ariel, äfft lautmalerisch Windgeräusche nach und gibt damit den materiellen Klangerweiterungsversuchen der Moderne eins drauf. Der Klang des Orchesters ist dick geführt, verdoppelt Stimmen und wartet mit grellbunten Farben auf. All dies ist plastische Darstellung aus zweiter Hand, die kompositorische Meisterschaft Lombardis freilich verhindert Momente des Eklektischen, weil das Lapidare stets in Kippstellung zu den strengen und für Lombardi ins Leere gelaufenen Maximen zeitgenössischer Musikästhetik bleibt. Bruno Maderna, der große und weit unterschätzte italienische Komponist, hat in den 70er-Jahren mit seinem skurrilen Stück „Satyricon“ ähnliche Geister wachgerufen. Die Lust am Hören ist so direkt, so gewaltsam geradlinig, dass sie gezwungen wird, über die eigene Schulter zu gucken und plötzlich das Hohle ihrer Präsenz erblickt. Lombardi knüpft hier an, nicht allein aus der Lust am Gebrochenen heraus, sondern weil die gesellschaftliche Macht des betäubenden Entertainments längst alle Illusionen zwischen den Fingern zerbröselte. Auch der Spaß ist bitter geworden.

All das ist mit souverän lockerer Hand in Szene und Musik gesetzt, pluralistisch in den Mitteln, selbst in der Verwendung verschiedener Sprachen für die unterschiedlichen Ebenen: Die Gestrandeten kommunizieren italienisch, Prospero, Miranda und Caliban (dem diese das Medium der Sprache erst beibrachten) agieren in Deutsch, der ewige Inselgeist Ariel verharrt im Englisch von Shakespeare. Das freilich ist nur formales Trennmittel, untereinander verstehen sich die Protagonisten wie nach dem Pfingstwunder.

Doch man muss sich fragen, warum dann Lombardi noch einen Schritt weiter zurückgeht und am Schluss so demonstrativ das Moment des Allverzeihenden als Lösung in Szene setzt. Prospero wird fast zur Christusfigur, der, bewogen von Mitleid, alle Schuld durch Vergebung löst. Nun mag man sagen, dass dies bei Shakespeare auch so ist, doch im „Sturm“ ist es eine Art finaler Aufhebung der experimentellen Spielsituation. Hier in der Oper aber wird es zur Apotheose, die viel von der Schärfe des Vorangegangen bricht. Nicht nur Prospero verzeiht, auch, so macht es den Anschein, Lombardi vergibt allen idealistischen Phantasten, die einst Musik und Welt revolutionieren wollten. Hier aber zieht sich die Musik selbst den Zahn, auf einmal wollen der schöne Klang, das Schwelgen in Dur, das imitatorische Duett zwischen Cello und Flöte als Aufhebung der Widersprüche wahrgenommen werden. Das Spiel ist aus und alles wird nun gut. Man mag es nicht glauben und der Verlauf der Oper hat hierfür keine Grundlage geliefert.

Die Leistung des Nürnberger Hauses freilich verdient hohe Anerkennung. Zwar haben sich Regie und Bühne (Andrea Raabe und Tobias Dinslage) weithin auf schlichte Ausstattung beschränkt, aber das Orchester (unter Johannes Fritsch) und das Gesangsensemble vermochten es, der Musik alle geforderte Plastik, Farbe und Glanz zu verleihen. Die desillusionierende (und letzt-lich wieder idealisierende) Abrechnung Lombardis wurde in scharfkantige Bühnenrealität gesetzt.

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