Raus aus dem Obdachlosenheim: Gütersloher sucht seit Jahren eine Wohnung

Gütersloh. &bdquo;Es gibt ja durchaus Wohnungen in Gütersloh", sagt Herbert Ritscher und führt den Beweis auf seinem Handy an. Auf dem Portal eBay-Kleinanzeigen finden sich zahlreiche Angebote wie etwa: &bdquo;3-Zimmer-Mietwohnung, Dachterrasse, Fahrstuhl, Zentrum, 126 qm. 1.135 Euro Kaltmiete" oder &bdquo;Schöne Penthousewohnung in GT-Kattenstroth, 147 qm, 1.176 Euro Kaltmiete." Dazu kommen in der Regel drei Monatsmieten Kaution, Courtage für den Makler und die monatlichen Nebenkosten sowieso. Ritscher stellt fest: &bdquo;Solche Preise kann ich nicht bezahlen. Es scheint nur noch Wohnungen für Millionäre zu geben." Seit Jahren versucht er eine kleine Wohnung in Gütersloh zu bekommen. Seit sechs Jahren, um genau zu sein. So lange wohnt der 67-Jährige in der Obdachlosenunterkunft Doheermanns Höhe 46c, im Volksmund &bdquo;Hungerburg" genannt. &bdquo;Trotz Arbeit finde ich keine Wohnung", stellt er fest. Und mit dieser Anschrift scheint es nahezu aussichtslos. Eingangstür ist immer offen - Türklingeln gibt es nicht Die Eingangstür ist immer offen, Türklingeln gibts nichts. Ritscher kennt jeden der insgesamt 19 Bewohner. &bdquo;Ein Zimmer hält die Stadt immer frei. Für Notfälle." Damals war Ritscher selbst einer. Nach der Scheidung verlor er seine Wohnung, die Stadt quartierte ihn in der Unterkunft ein, um Obdachlosigkeit zu vermeiden. &bdquo;Ich bin nie davon ausgegangen, dass ich so viele Jahre hier leben werde", erklärt derGütersloher. Die Unterkunft sei schließlich als Zwischenstation ausgelegt. Er ist kein Einzelfall. Die meisten Bewohner sind seit mehreren Jahren hier. &bdquo;Dies hier ist übrigens noch eine der besseren Adressen", erklärt er, &bdquo;weil es Einzelzimmer gibt." Es gehe ruhig zu im Haus, zudem sei es eine der wenigen Objekte, in dem Frauen untergebracht seien. Ihr Flurtrakt ist eigens gesichert durch eine Eisentür, um mögliche Übergriffen zu verhindern. &bdquo;Ein Drittel der Bewohner geht einer festen Arbeit nach", so wie Ritscher selbst. Er ist Kraftfahrer, fährt für Nobilia durch ganz Europa, obwohl er das Rentenalter längst erreicht hat. &bdquo;Soll ich hier den ganzen Tag rumsitzen? Nein!" Deshalb ist er von Montags bis Freitags auf der Autobahn. Eine Art Flucht vor diesem Zuhause. "Ich warte seit zwei Jahren auf den Rückruf vom Wohnungsamt" &bdquo;Das ist unser letzter Lebensabschnitt. Niemand von uns möchte den hier verbringen", sagt Dieter (64). Er wohnt seit zwei Jahren in derDoheermanns Höhe 46c, in einigen Wochen wird er Rentner. &bdquo;Wir haben alle irgendwie aufgegeben", erklärt er und schaut betreten auf den Boden. Sein innigster Wunsch? &bdquo;Eine kleine Wohnung von 40 Quadratmeter für einen reellen Preis. 350 Euro kalt." Svenja (Name geändert) sitzt neben ihm auf den Treppenstufen vorm Haus und nickt. &bdquo;Das ist fair. Aber aussichtslos." Sie ist 49 Jahre alt, ihre Krankheit hat sie arbeitslos werden lassen, es folgte die Obdachlosigkeit. Auch sie wohnt inzwischen sechs Jahre in der Unterkunft. &bdquo;Das Wohnungsamt hat versprochen anzurufen", sagt sie und lächelt, &bdquo;ich warte seit zwei Jahren auf den Rückruf." Derweil macht sie ihre eigenen Erfahrungen auf dem Wohnungsmarkt in Gütersloh. &bdquo;Es sind jede Menge Verbrecher unterwegs. Sie bieten dir möblierte Wohnungen an, wo der letzte Schrott an Möbeln drin steht. Dafür sollst du dann aber viel Geld bezahlt." Lesen Sie auch: Ehrliche Worte: "Job und Arbeit verloren - ich habe viel Pech gehabt" Neulich habe man auf eine Wohnungsanzeige in der Straße &bdquo;Am Türmchen" reagiert, wo sich herausgestellt habe, dass der Vermieter angeblich in Paris lebt und das ganze Objekt einer amerikanischen Holding gehört. &bdquo;Das war so auffällig billig, dass es nur unseriös sein konnte", schlussfolgert Herbert Ritscher. Er will weiter suchen. Aufgeben kommt nicht in Frage, obschon er auf die meisten Wohnungsbewerbungen nicht einmal eine Antwort erhält wenn er erwähnt, dass er "Mieter einer städtischen Unterkunft" ist. Seine Anschreiben und Mails sind stets korrekt formuliert. Kein einziger Rechtschreibfehler. &bdquo;Das ist leider auch so eine Marotte. Man gibt kein Feedback mehr. Das ist unhöflich." Die Sache mit dem Image belastet hier jeden Der Nachbar aus Zimmer 12 zahlt Miete &bdquo;aber ist so gut wie nie da." Zimmer 16 ist für unbekannte Zeit verwaist, weil der Bewohner in derJustizvollzugsanstalt seine Haft absitzt. Im Zimmer daneben hat es im März einen Todesfall gegeben. In Zimmer 6 im Erdgeschoss ist Anfang Dezember ein neuer Mitbewohner eingezogen, der die Hausgemeinschaft aktuell auf die Probe stellt. Er sammelt Müll und trägt ihn in die Wohnung. Anfang des Monats eskalierte die Lage, die Stadt hat ihm deshalb eine andere Unterkunft angeboten mit Sicherheitsdienst, um den ganzen Unrat kontrolliert draußen zu lassen. Er will nicht, bleibt vor der Tür seiner alten Bleibe, zieht sich hinter die Mülltonnen zurück und schläft dort. Nacht für Nacht. Lesen Sie auch: Obdachlose werden jetzt gegen Corona geimpft - aber viele wollen nicht &bdquo;Armer Kerl", befinden die anderen Hausbewohner und versuchen zugleich, den Problemfall loszuwerden. &bdquo;Fliegt sein ganzer Müll hier erst mal rum, heißt es nachher guck dir die an. Es sagt ja keiner guck dir den an." Die Sache mit dem Image belastet hier jeden. &bdquo;Ich habe bei der Wohnungssuche auch schon häufig die Adresse meiner Schwester angegeben." Die Erfahrung aller habe gezeigt: &bdquo;Sobald man die Anschrift Doheermanns Höhe angibt, schalten die Wohnungsbesitzer ab." Auf 19 Quadratmetern stapelt sich der gesamte Hausstand Neulich, sagt Herbert Ritscher, habe er ein Wohnungsangebot in Isselhorst erhalten. Eine Apartment in einer Senioreneinrichtung. Er hat abgelehnt. &bdquo;Das ist nicht meine Welt. Da möchte ich noch nicht hin." Stattdessen läuft er lieber. Ritscher liebt Triathlon, hat nach eigenen Angaben zwei mal beim Ironman teilgenommen und ist 25 mal beim Herrmannslauf angetreten. Sport ist immer noch seine Leidenschaft. &bdquo;Ich fühle mich fit." Sein Leben hat Herbert Ritscher vor Jahren in Kartons gepackt. Auf den 19 Quadratmeter seines Zimmers stapeltsich der gesamte Hausstand. &bdquo;Wie auf einem Schiff", erklärt der Fernfahrer. Im Lkw gebe es schließlich noch weniger Platz. Er habe gelernt, mit wenig auszukommen. 360 Euro inklusive Nebenkosten beträgt die monatliche Miete in der Hausnummer 46c. Der Preiswahnsinn beginnt im Obdachlosenheim. &bdquo;Die Mieterhöhung von der Stadt kam vor zwei Jahren quasi über Nacht. Vorher waren es nur 110 Euro." Eine Wohnung mit Badewanne gehört zu seinen unerlaubten Träumen Eine Wohnung mit Badewanne gehört zu den unerlaubten Träumen des 67-jährigen Gütersloher. &bdquo;Und ein kleiner Garten wärewundervoll. Irgendwas Grünes", und am liebsten würde Herbert Ritscher etwas außerhalb vom Zentrum wohnen. Weil Svenja und erbeide schon so viele Jahre auf eine Wohnung hoffen, können sie sich auch eine Wohngemeinschaft vorstellen. &bdquo;Vielleicht auf einemBauernhof", so Ritscher und gerät direkt ins Schwärmen. Da könne er dann endlich auch sein Rennrad wieder abstellen und seinAquarium. Ein richtiges Zuhause halt. Mit Klingel.

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