Im Nordwesten - Wie schön ist der Moment, in dem man erkennt: Es liegt nicht an mir. Es liegt nicht an mir, dass ich nach einer Begegnung mit einigen Mitmenschen erschöpft bin, niedergeschlagen, latent wütend oder einfach nur ausgelaugt. Das gilt auch für Sie: Wenn Sie sich nach einer Unterhaltung mit einem besonders anstrengenden Zeitgenossen entfremdet fühlen, so, als hätte Ihnen jemand alle Lebensfreude aus dem Leib gesogen, dann liegt das nicht daran, dass Sie irgendetwas falsch gemacht hätten. Sie sind Opfer eines Energiefressers geworden. Davon gibt es drei Typen – und jeder ist mit unterschiedlichen Waffen zu schlagen.

1. Die Labertaschen. Sie begegnen einem besonders häufig auf langen Zug-Reisen, in der knapp bemessenen Mittagspause oder beim abendlichen Einkaufen nach einem anstrengenden Arbeitstag. Ihre herausragendste Eigenschaft ist ihre Ausdauer, wenn es darum geht, einfach alles zu erzählen, was ihnen selbst und allen Menschen, die sie kennen, jemals passiert ist. Sie reden und reden und reden und merken gar nicht, wenn man längst nicht mehr zuhört. Ihre Motivation: Labertaschen versuchen durch ihr atemloses verbales Ausbreiten von Erlebnissen der eigenen Belanglosigkeit zu entkommen. Dahinter steht die Annahme, dass ihr Leben an Relevanz gewinnt, wenn jemand anderes davon Kenntnis hat. Das ist sehr bedauerlich, aber letztlich helfen Sie der Person nicht, wenn Sie ihr unendlich lang zuhören und hinterher als Schatten ihrer selbst den Zug, die Kantine oder den Supermarkt verlassen. Tun Sie sich das nicht an. Sagen Sie, dass es Ihnen gerade gar nicht passt, ein langes Gespräch zu führen. Verzichten Sie aber auf den Zusatz „Ein andermal vielleicht“.

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Sandra Binkenstein
Im Nordwesten

2. Die Jammerlappen. Sie sind überall. Der Kollege, die Nachbarin, der Taxifahrer: Niemand ist vor ihnen sicher. Sie zu enttarnen ist nicht leicht, denn es gibt viele gute Gründe über Missstände, Probleme und Sorgen zu sprechen. Das macht noch keinen Jammerlappen. Als solcher entpuppt sich ein Mensch erst, wenn er einfach jedes Gespräch darauf lenkt, wie unfair das Leben zu ihm ist. Ja, er hatte Geburtstag, aber der Kuchen hat wirklich nicht geschmeckt. Ja, er wurde befördert, aber jetzt wartet noch viel mehr Arbeit auf ihn. Und der Klassiker: Ja, die Sonne scheint, aber für nächste Woche haben sie schon wieder Regen angesagt. Seine Motivation: Der Jammerlappen fühlt sich geborgen im eigenen Leid, weil er es längst nicht mehr anders kennt. Indem er darüber spricht und Mitleid als Resonanz bekommt, wird sein Leid für ihn zur Realität. Was sie tun können: Verweigern Sie ihm unangebrachtes Mitleid. Sagen Sie, Ihnen hat der Kuchen geschmeckt, gratulieren Sie anerkennend zur Beförderung und genießen Sie die Sonne. Dadurch werden Sie für den Jammerlappen uninteressant.

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Im Nordwesten

3. Die Läster-Schwester. Um es ganz deutlich zu sagen: Gemeint sind auch Männer, Läster-Bruder reimt sich halt nur nicht. Das Merkmal dieser Energiefresser: Sie ziehen über jeden her, der ihnen über den Weg läuft. Man begegnet ihnen vorwiegend im engeren Bekanntenkreis: der Kollege, mit dem man sich ein Büro teilt, die Schwägerin, die ständig zu Besuch ist, oder diese eine Frau aus dem Buch-Club. Sie kennen nur ein Gesprächsthema: die vermeintlichen Verfehlungen anderer Leute. Zu enge Kleidung, zu viel Moos im Garten, zu großes Auto, zu kleines Auto, lächerlicher Job oder zu wenig berufliche Ambition. Das lässt sich beliebig fortsetzen. Am Anfang steigt man vielleicht noch darauf ein, weil ein gemeinsames Feindbild immer Glücksgefühle auslöst. Aber irgendwann reicht’s dann auch. Wer trotzdem noch mitmacht, hat nur Angst, selbst zum Läster-Opfer zu werden. Aber glauben Sie mir: Das sind Sie schon längst. Läster-Schwestern verschonen niemanden. Ihre Motivation ist so simpel, dass es weh tut: Sie wollen sich besser fühlen, indem sie andere Menschen abwerten. Sagen Sie einfach, dass Sie keine Lust haben, über andere Menschen herzuziehen. Schlagen Sie ein anderes Gesprächsthema vor – Politik, Literatur oder von mir aus Kochrezepte. Und genießen Sie dann das friedliche Schweigen im Raum.

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Sandra Binkenstein Thementeam Soziales