Der andere Blick

Ihr Pfeifen! – Nein, Ihr Helden! Es ist nicht die Aufgabe von Fussballern oder Basketballern, ein strauchelndes Land aufzurichten

Wenn eine sportbegeisterte Nation wirtschaftlich und politisch an Bedeutung verliert, wachsen die Erwartungen an die Athleten ins Unermessliche: Sie sollen dafür sorgen, dass es noch etwas gibt, worauf man kollektiv stolz sein kann. Deutschland ist dafür ein Beispiel, aber kein gutes.

Stefan Osterhaus 125 Kommentare 4 min
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Krise gestoppt? Rudi Völler, zum zweiten Mal Trainer der deutschen Fussballnationalmannschaft, am Dienstag nach dem Sieg gegen Frankreich in Dortmund.

Krise gestoppt? Rudi Völler, zum zweiten Mal Trainer der deutschen Fussballnationalmannschaft, am Dienstag nach dem Sieg gegen Frankreich in Dortmund.

Christopher Neundorf / EPA
Stefan Osterhaus ist Sportkorrespondent der NZZ in Deutschland.

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NZZ

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Für einen Moment glaubte man, einen Stossseufzer von Sylt bis Berchtesgaden zu hören: Krise gestoppt! Wir können es noch! Deutschland wieder auferstanden!

Beim Debüt seiner zweiten Amtszeit als Bundestrainer – von der niemand so genau weiss, wie lange sie dauern wird – hat Rudi Völler die deutsche Fussballnationalmannschaft wieder zu einem Sieg geführt. Nur zwei Tage nachdem der Deutsche Fussball-Bund den Trainer Hansi Flick freigestellt hatte, gewann die Mannschaft in einem Vorbereitungsspiel für die Europameisterschaft im eigenen Land im nächsten Jahr gegen Frankreich 2:1.

Von einem Extrem zum anderen

Die deutsche Öffentlichkeit taumelt von einem Extrem zum anderen. Eben noch wurde das Ende der Sportnation ausgerufen, nun soll plötzlich wieder alles gut werden. Was verrät diese Aufgeregtheit? Vor allem: Woher kommt dieser Tonfall, der so klingt, als ginge es um viel mehr als um Sportergebnisse?

Sicher war es in Deutschland – nicht nur, aber doch mitunter mehr als anderswo – immer schon so, dass die Erfolge der Sportler als ein Teil des nationalen Selbstverständnisses begriffen wurden. Da die Fussball-Nationalmannschaft der Männer seit dem Sommer 2018, als sie erstmals in einer WM-Vorrunde scheiterte, in der Rolle des Erfolgs- und Stimmungsgaranten versagte, musste der zunächst recht erfolgreiche Frauenfussball als Ersatz herhalten.

Nur kamen auch die Frauen jüngst an der WM mit den an sie gerichteten Erwartungen nicht zurecht. Auch deswegen müssen jetzt die Basketballer, die sich am Wochenende erstmals den WM-Titel sicherten, als positives Gegenbeispiel dienen. Allerdings waren die Basketballer bis zu ihrem sensationellen Erfolg in Deutschland eher ein Nischenphänomen, das in keiner Weise mit dem Volkssport Fussball konkurrieren konnte.

Lückenfüller Basketball?

Wie gross also ist die Wertschätzung für die gegenwärtigen Weltmeister tatsächlich? Oder sind sie bloss ein Lückenfüller in einer Zeit, in der die Fussballer als Seelentröster versagen? Auch darf man sich fragen: Ist es überhaupt die Aufgabe des Leistungssports, für erbauliche Augenblicke Sorge zu tragen in einer Zeit, in der es politisch wie wirtschaftlich an allen Ecken und Enden knarzt? Anders ist der Furor, mit dem der Stab nach Niederlagen über die Sportler gebrochen wird, gar nicht zu erklären. Gleiches gilt für den donnernden Jubel, wenn es wider Erwarten gutgeht, wie gerade gegen Frankreich.

Über Rudi Völler lassen sich viele Dinge sagen, nur eines nicht: Mit seinen 63 Jahren stellt er sicher nicht die Zukunft des deutschen Fussballs dar. Dass er sich erneut in der Pflicht sah, die Nationalmannschaft zu übernehmen, hat einzig mit deren kläglicher Lage zu tun. Und so wirkt der Trainer Völler wie ein Relikt aus jener Zeit, in der die Deutschen noch zu Recht mit einer gewissen Genugtuung auf die Leistung ihres Nationalteams schauen konnten. Inzwischen aber ist diese Mannschaft ein Sanierungsfall. Die internationale Konkurrenz ist ihr enteilt.

Es hat gedauert, bis die Verantwortlichen und auch die Fans sich diesen Befund eingestanden haben. Dabei sind sie gar nicht allein mit ihren Sorgen um die Wettbewerbsfähigkeit. Genauso erging es dem deutschen Frauenteam, das, obschon zum Favoritenkreis zählend, vor wenigen Wochen an der Fussball-WM in der Vorrunde scheiterte. Ebenso waren die Leichtathletikfans enttäuscht, schliesslich kamen die deutschen Athleten von der Weltmeisterschaft ohne eine einzige Medaille zurück.

Nicht wie in der DDR

Nur taugen Sportergebnisse nicht als ein Ausweis nationaler Leistungsfähigkeit, mag dieser Trugschluss auch recht populär sein. Denn wer sich auf eine solch krude Erfolgsarithmetik einlässt, der landet zwangsläufig beim Staatssport, wie er in der DDR und der Sowjetunion betrieben wurde. Das wirtschaftliche und politische Dilemma der sozialistischen Bruderstaaten spiegelte sich auch in trüben Handelsbilanzen, aber ganz sicher nicht in der Leistung der Sportler. Die waren allemal gut genug, um die Konkurrenz aus dem Westen das Fürchten zu lehren.

Wer erwartet, eine Fussballmannschaft oder ein Basketballteam möge für tröstliche Momente in trüben Zeiten sorgen, richtet den falschen Anspruch an die Sportler. Sie können nicht als Kompensation dafür herhalten, was sonst alles schiefläuft.

125 Kommentare
Ralf-Raigo Schrader

'Sie sollen dafür sorgen, dass es noch etwas gibt, worauf man kollektiv stolz sein kann.' Wenn die Sportministerin den eben gekürten Basketballweltmeistern unterstellt, sie hätten mit ihrem Auftreten Position gegen Rassismus und für Vielfalt bezogen, dann ist diese Unterstellung Missbrauch kollektiven Empfindens für Sport. Politik missbraucht ganz ungeniert Sport und Kunst, die keinen Grund haben, sich für ideologische Ziele instrumentalisieren zu lassen.

C. Z.

Das Deutschland strauchelt - untergeht ist mE die bessere Bezeichnung - hat sich dieses Land selbst zuzuschreiben. Wer 4 mal hintereinander Angela Merkel wahlt, muss sich nicht wundern, dass das Land gegen die Wand fahrt. Eine Goring Eckhardt die von geschenkten Neuburgern schwafelt und deren Partei jetzt das Aussenministerium und das Wirtschaftsministerium besetzt, ist auch Zeugnis, dass es Deutschland nicht besser verdient hat. Eine Mischung aus Borniertheit, 'Erinnerungskultur' und schlichter Volksverdummung hat zu diesem Resultat gefuhrt. Dieses Mal kommt euch kein Schroder mehr zu Hilfe, meine lieben Kartoffeln.