Der Antikenschmuggel und die scheinheiligen Zerstörer

Mit Raubgrabungen und Plünderungen in Syrien und im Irak finanziert der Islamische Staat seine Untaten. Mitschuldig am Blutvergiessen sind vom IS belieferte Dunkelmänner, aber auch ihre Abnehmer.

Georges Waser
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Die Satellitenaufnahme zeigt Apamea, eine wichtige archäologische Stätte in Nordsyrien, die von illegalen Grabungen nachgerade perforiert ist. (Bild: Google Earth)

Die Satellitenaufnahme zeigt Apamea, eine wichtige archäologische Stätte in Nordsyrien, die von illegalen Grabungen nachgerade perforiert ist. (Bild: Google Earth)

Seit im Januar 2013 in Kairo das Museum für islamische Kunst von einer Autobombe beschädigt wurde, sollen dem internationalen Kunstmarkt wieder vermehrt seltene Objekte aus Ägypten zufliessen. Als zum Beispiel ein Sammler in den Golfstaaten für eine im 14. Jahrhundert angefertigte Lampe eine halbe Million Pfund bezahlte, kam aus der Londoner School of Oriental and African Studies der Hinweis, dass es sich dabei wahrscheinlich um ein Stück aus der Sultan-Hasan-Moschee handelte, und tatsächlich trug die Lampe ein nummeriertes Etikett des Museums in Kairo. Fotos mehrerer solcher mameluckischer Lampen zirkulierten unter Händlern in Istanbul, London und Rom.

Aber auch bei moderner Kunst aus dem Nahen Osten ist Vorsicht geboten. So musste Christie's schon 2007 zwei dem irakischen Bildhauer und Maler Jawad Salim zugeschriebene Arbeiten aus einer Auktion in Dubai zurückziehen. Fälscher nutzen den Umstand, dass in den Krisenländern des Nahen Ostens das Œuvre auch bekannter Künstler – neben Salim wären etwa sein Landsmann Ismail Fattah oder Louay Kayyali aus Syrien zu nennen – meistens mangelhaft dokumentiert ist.

Räuber, Schmuggler, Sammler

Das grösste und am besten organisierte unter den dunklen Geschäften mit Kunst aus dem Nahen Osten ist jedoch der Handel mit illegal ausgegrabenen Antiken, an dem sich etwa die Terrororganisation Islamischer Staat bereichert. Teils werden seltene Artefakte in den Golfstaaten abgesetzt, teils finden sie ihren Weg via Istanbul – die 900 Kilometer lange Grenze zwischen Syrien und der Türkei erleichtert den Schmuggel – nach Europa und in die USA. Das Ausmass dieses Geschäfts ahnt, wer bedenkt, dass der IS allein im Irak nahezu 4500 archäologische Fundorte, darunter Unesco-Welterbestätten, kontrollieren soll.

Bei ihren Raubgrabungen gehen die Kämpfer des IS meistens mit stümperhafter Brutalität ans Werk; sie sprengen Felsblöcke und setzen Bulldozer ein. Auch lokalen Gruppen erlaubt die Organisation das Plündern – gegen eine Gebühr, die zwischen 20 und 50 Prozent des Erlöses betragen soll. Allerdings scheint es, dass in Syrien der Antikenschmuggel für sämtliche am Konflikt beteiligten Parteien eine Einnahmequelle geworden ist, also auch für Bashar al-Asads Regime, das damit seine Soldaten bezahlt, und für die Freie Syrische Armee. Palmyra, Aleppo und Hunderte von archäologischen Stätten sind von der einen oder anderen Fraktion geplündert worden .

Die Kämpfer des IS sind Meister der Zerstörung, wie sie 2014 mit den Attacken auf Kulturdenkmäler in und um Mosul bewiesen. Doch was nicht unter dem Vorwand der ethnisch-religiösen Säuberung öffentlich vernichtet wird, dient ihnen zur Finanzierung ihrer Gewaltherrschaft. So 2013 nach blutigen Auseinandersetzungen im nordsyrischen Rakka, als sie Kunstschätze aus dem dortigen Museum entwendeten. Wie im Falle der Raubgrabungen sind die Triebfeder für solches Tun jene, die in Europa und den USA nach dem Motto «Mir ist alles recht, was in meine Sammlung passt» Antiken einkaufen, ohne nach der Herkunft zu fragen. Was aber auch heisst: Der Islamische Staat lässt sich von jenen subventionieren, denen seine Hasspredigten gelten, von den Kapitalisten des Westens. Wie nahe sind sich doch religiöser Fanatismus und Scheinheiligkeit.

Keilschrifttafeln, Glasgefässe, Mosaike und Statuen, Astrolabien, Schmuckstücke und Münzen aus allen Epochen der syrischen Geschichte: Nach solchen Objekten verlangt es den Markt, und sie stehen denn nebst anderen Kunstwerken auch auf der roten Liste gefährdeter syrischer Kulturgüter , die der Internationale Museumsrat 2013 veröffentlicht hat. Aber ist damit genug getan, um dem illegalen Handel Einhalt zu gebieten? Laut Martin Roth, Direktor im Londoner Victoria & Albert Museum, helfen solche Massnahmen «zumindest ein wenig. Doch die rote Liste müsste bekannter sein, es müsste mehr darüber geredet werden, und sie sollte politische Unterstützung erhalten.»

Routen und Umschlagplätze

Nicht alle in den nahöstlichen Krisenländern geraubten Artefakte werden öffentlich, das heisst auf Auktionen, online oder in Galerien verkauft – manche Anbieter operieren mit Fotos auf Mobiltelefonen. Doch die Route für Schmuggelware aus Syrien führt fast ausschliesslich durch die Türkei oder Libanon. Objekte wie die oben aufgezählten sind denn von Archäologen auch auf Märkten in türkischen Grenzstädten wie Kilis und Mardin gesichtet worden. Was Libanon anbetrifft, hat sich dort die Antikendirektion immerhin auf die Rückerstattung von Schmuggelware an das Ursprungsland verpflichtet; nach dem Wert von unter ihm beschlagnahmten Artefakten gefragt, spricht der Direktor von «tens of millions of Dollars».

Oft führt die Route weiter in den Freihafen von Dubai – wo in den Worten von Michel van Rijn, einst einer der grossen Übeltäter des illegalen Kunst- und Antikenhandels, alles reingewaschen werden kann. Dieser Freihafen allein ist so gross wie eine Stadt. Unter den Firmen, die sich dort auf die Ausstellung von «sauberen» Papieren für den Export von geraubten Antiken spezialisiert haben, ist die Silsila General Trading LLC. Im Freihafen von Dubai, so sagt van Rijn, werden keine Fragen gestellt. Und von hier können Artefakte mit «sauberen» Papieren überallhin verkauft werden – nach London, Paris und New York genauso wie nach München.

Unter den in Syrien «auf Bestellung» geplünderten Altertümern ist die Westnekropole – genauer noch: das Hypogäum der drei Brüder – von Palmyra. Und möglicherweise auch die Jobar-Synagoge in Damaskus. Aus dieser wurde 2011 im israelischen Auktionshaus Kedem eine Holztafel mit hebräischer Inschrift, laut Katalog vom Besitzer in der syrischen Hauptstadt «gefunden», für 5000 Dollar verkauft. Im Dezember 2013 kam dieselbe Tafel bei Sotheby's in New York unter den Hammer – jetzt mit dem (damals noch unzutreffenden) Hinweis auf die «völlig zerstörte» Jobar-Synagoge und der Mutmassung, dass das Stück aus dieser das einzige Überbleibsel sein könnte. Ein Privatsammler bezahlte dafür 50 000 Dollar.

Für das, was aus dem Irak illegal in den Westen kommt, hatte neulich das Erste Deutsche Fernsehen ein gutes Beispiel. Die Kölner Firma Kunsthandel GmbH hatte eine 4000 Jahre alte Ankeraxt aus Bronze für 27 255 Dollar gekauft; auf einer Belastungsanzeige der Deutschen Bank erscheint als Begünstigter die Firma Silsila General Trading. Laut Bundeskriminalamt ist das Stück denn auch eindeutig irakisches Raubgut. Was aber die Einfuhr solcher Artefakte anbetrifft, stimmt eine Aussage der BKA-Beamtin Sylvelie Karfeld nachdenklich – «Nach deutschem Recht ist ein Hühnerei besser geschützt und deklariert als die wertvollste Antike».

Wenn überhaupt beim Zoll angemeldet, werden geschmuggelte Antiken laut Karfeld mit falschen Angaben wie «Kunsthandwerk der Neuzeit» deklariert – «aber ein ordnungsgemässer Nachweis wird in Deutschland nicht verlangt». Kein Wunder, ist München nach London in Europa das Zentrum für illegal gehandelte Antiken. Einen Beweis lieferte in der bereits erwähnten Sendung das deutsche Fernsehen mit seinem Besuch im dortigen Auktionshaus Gorny & Mosch, wo am 25. Juni 2014 viele Lose im Katalog aus den Krisenländern des Nahen Ostens stammten. Es fehlten Exportlizenzen, und von Herkunftsbezeichnungen wie «bayerische Privatsammlung» liessen sich wohl nur Uneingeweihte täuschen. Das neue deutsche Kulturrückgabegesetz, das Anfang 2016 in Kraft treten soll, ist überfällig.

In London finden sowohl bei Christie's und Sotheby's als auch bei Bonhams regelmässig Auktionen für islamische Kunst statt. Was hier eingeliefert wird, ist oft mit «alten» Etiketten irgendwelcher Kunsthandlungen oder anderer Auktionshäuser versehen – und zum Kontrollieren solcher Klebezettel habe man eben nicht immer die Zeit. Objekte von zweifelhafter Herkunft werden laut Polizei aber auch in der Portobello Road angeboten. Doch wie lässt sich eine Provenienz beweisen, wenn – insbesondere an Ständen auf offener Strasse – das fragliche Stück im Handumdrehen verschwindet? Übrigens werden Kunstgegenstände der Babylonier und Assyrer oft in kleinere, weniger leicht identifizierbare und daher besser verkäufliche Stücke zerschlagen.

Was die USA anbetrifft, behaupten dort Anwälte, die Antikensammler beraten, ihrem Land fliesse aus Syrien und dem Irak sozusagen kein illegales Material zu. Tatsache ist jedoch, dass amerikanische Importe allein von syrischem Kulturgut zwischen 2011 und 2013 um 145 Prozent gestiegen sind. Und denkt man daran, dass in Syrien gegen Ende 2013 rund 90 Prozent aller kulturellen Stätten in von Kämpfen und Unruhen zerrissenem Gebiet lagen, erscheinen die stark gestiegenen amerikanischen Importe in einem zweifelhaften Licht. Zudem sind auch viele der im irakischen Nationalmuseum seit 2003 fehlenden Stücke immer noch auf dem Schwarzmarkt – und in den USA haben im oben genannten Zeitraum die Importe von irakischer Kunst um 61 Prozent zugenommen.

Ungenügender Informationsaustausch

Hehlern, gewissenlosen Händlern und prahlerischen Sammlern behagt die These, der Schmuggel von Antiken sei deren Zerstörung durch paramilitärische Organisationen vorzuziehen. Solches Denken ist kläglicher Opportunismus – bezahlt doch dieser Schmuggel aus dem Nahen Osten für das Leid, das insbesondere die mörderischen Terroristen des Islamischen Staats in Syrien und anderswo verursachen. Auch sei festgehalten, dass mit den systematischen Plünderungen und Raubgrabungen, wie sie vom IS betrieben werden, die gesamte kulturelle Identität eines Volkes ausgelöscht wird. Recht hat jedenfalls Martin Roth vom Londoner Victoria & Albert Museum, wenn er zum vorliegenden Thema für einen vermehrten Informationsaustausch plädiert – ja dafür, «dass das Thema eigentlich den Experten weggenommen und in die Öffentlichkeit gestellt werden müsste». Die Dringlichkeit des Anliegens bestätigen die von der Unesco und Interpol erhobenen Zahlen: Weltweit soll der Umsatz für illegal gehandelte Antiken bei 6 bis 8 Milliarden Dollar im Jahr liegen.

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