Dummheit hat immer Saison, aber nicht alle Dummheiten sind gleichermassen schädlich

Es scheint ein Naturgesetz zu sein, dass die Menschheit nicht allzu viel lernt. Ihre Fehlerkultur leidet unter Wiederholungszwang.

Peter Rosei
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Auch Konformismus ist eine Form von Dummheit, indem gesellschaftliche Normen unbesehen übernommen werden, selbst da, wo sie durchbrochen werden – mit uniformen Clownnasen etwa. Imagebrooker / Imago

Auch Konformismus ist eine Form von Dummheit, indem gesellschaftliche Normen unbesehen übernommen werden, selbst da, wo sie durchbrochen werden – mit uniformen Clownnasen etwa. Imagebrooker / Imago

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Weshalb kommt er uns nur mit diesem Thema, wird sich die eine oder der andere vielleicht fragen. Haben sich nicht, unter anderen, etwa Erasmus von Rotterdam oder Robert Musil über dieses Thema verständigt, ja man könnte fast sagen erschöpfend ausgelassen? Darauf ist zu antworten: Dummheit hat immer Saison. Gerade in letzter Zeit scheint sich dazu ein von mir selbst aufgestellter Grundsatz wieder einmal prächtig zu behaupten: Nicht durch das Böse kommt das meiste an Ungutem, Schlimmem und Deprimierendem in die Welt, nein – vielmehr ist es die Dummheit, die wir dafür verantwortlich machen müssen.

«Ich habe meist unrecht», schreibt Samuel Beckett irgendwo in einem Brief, «ausser bei jenen Gelegenheiten, wo ich recht hatte, unrecht zu haben.» Man muss nicht gleich mit solcher Sophisterei gegen sich vorgehen. Ein gewisser Zweifel an sich selbst – was die Durchdachtheit, Klugheit, Stringenz, ja die Ehrlichkeit eigener Hervorbringung anbelangt – scheint mir, gehe ich einmal nur von mir selbst aus, durchaus angebracht. Es mag ja Leute geben, die sozusagen zu hundert Prozent immer auf der richtigen Seite sind, für sie gilt das hier Aufgezeichnete nicht, sie können die Lektüre auf der Stelle abbrechen, für sie wäre es reine Zeitverschwendung, weiterzulesen. Für den Rest gilt: Vertrau dir selbst nicht zu sehr! Und vor allem: Verlieb dich nicht in dich selbst und das, was du sagst und hervorbringst.

Da der Name Beckett schon einmal gefallen ist: Ein typischer, häufig auftretender Denkfehler war seinerzeit gut zu beobachten, der Glaube oder die Ansicht nämlich, mit «Endspiel», Becketts berühmtem Theaterstück, sei das finale Setting für die Menschheit insgesamt dargestellt – dabei war’s bloss das Requiem für ein bürgerliches Europa. Überhaupt ist es ein gravierender Denkfehler, anzunehmen, die Welt gehe zugrunde, wenn bloss die eigene zugrunde geht. Das ist zwar ein nachvollziehbarer Gedanke, aber dennoch eine Dummheit. Ein Fehler allerdings, der fortwährend auftaucht, weil er so menschlich ist.

Fatale Folgen für viele

Oft ist der erste Schritt zur Lösung der, dass man sich eingesteht: Es gibt ein Problem. Mit Problem meine ich hier nicht ein Problem in der Selbstdarstellung. Aus aktuellem Anlass sei es angemerkt: Nein, es gibt wirklich ein Problem. Das Errichten von Parallelwelten, in denen man trefflich Meister spielen kann, wo jede auftretende Frage sich mit links lösen lässt, führt unweigerlich, früher oder später, man mag darin etwas wie Gerechtigkeit sehen, zu harter Landung. Das Verwechseln der Message mit der von ebender Message herbeizitierten bzw. gewünschten Wirklichkeit ist eine grassierende und besonders tückische Sorte von, wie sagen wir es, von höherer Dummheit.

Über je mehr Macht der Dumme verfügt, desto verheerender werden die Folgen sein, die leider nicht nur ihn selbst, sondern die jeweils grössere Zahl betreffen. Bricht Dummheit in den unteren Rängen gesellschaftlicher Hierarchie aus, und mit einem Oben und Unten haben wir – leider – allemal zu rechnen, kann tatsächlich von seuchenartiger Wirkung gesprochen werden: Dann stürzt gelegentlich gar das ganze Gesellschaftsgebäude ein, oder es gibt Krieg.

Bei höherer Dummheit kann es zu fatalen Folgen für eine Mehrheit kommen, das gesellschaftliche Ganze wird meist doch auf gleichsam lahmen Beinen weiterhumpeln. Ich denke da etwa an die Entscheidung vieler Regierungen der dreissiger Jahre zur Hartwährungspolitik bei schon bestehender Massenarbeitslosigkeit, was zu noch grösserer Arbeitslosigkeit führte. Das Beispiel erwähne ich deshalb, weil Dummheiten gerade in diesem Bereich, wie etwa Steuererhöhungen zur Unzeit oder zum Beispiel bei Arbeitseinkommen, jetzt und für geraume Zeit noch verheerende Folgen zeitigen würden.

Die angeführten Beispiele zeigen nebenher, dass Dummheiten, und insbesondere wieder die höheren, oft gar keinem Urteil, sondern vielmehr einem Vorurteil entspringen. Ideologische Voreingenommenheit und Engstirnigkeit, ein Keimbeet geradezu für grossartig und kräftig aufwuchernde Dummheiten!

Unter kräftiger Dummheit verstehe ich etwas wie ein Virus, das sich massenhaft verbreitet oder bald verbreiten kann und das nur schwer wieder abzuschaffen ist. Das sitzt dann hartnäckig in den Köpfen, im gesellschaftlichen Körper – dagegen hilft keine Impfung wie hoffentlich gegen Sars-Cov-2. In der Hinsicht fallen mir zum Beispiel gewisse weitverbreitete Konsumgewohnheiten ein, die nicht darauf abzielen, sich Sachen von guter Qualität und langer Lebensdauer anzuschaffen, sondern stets das sogenannte Neueste. Eitelkeit ist darum auch ein tüchtiger Motor der Dummheit!

Was ist das aber: Eitelkeit? Zwar ist es vorstellbar, dass einer seinen ganzen Stolz dareinsetzt, gerade nicht so zu sein wie alle anderen. Für gewöhnlich ist Eitelkeit eine Folge von Konformismus: Der Eitle nimmt die gesellschaftlich geltenden Massstäbe an, doch nur zu dem Zweck, sie zu übertreffen. Der Fehler des Eitlen liegt, strenggenommen, nicht einmal in seiner Eitelkeit selbst, der Fehler gründet schon vorher, in dem Umstand nämlich, dass der Eitle das von der Gesellschaft Vorgegebene ungeprüft und hundertprozentig annimmt. Der Nonkonformist ist da um nichts besser, er kehrt das Spiel bloss um.

Gross wie ein Eckhaus

Sofern ich mich recht erinnere, war es der Dichter Ödön von Horvath, der das wunderbare Wort von der Unendlichkeit der Dummheit geprägt hat: Dummheit sei so unendlich wie der Sand am Meer. Gewiss ein schönes, ein einleuchtendes Bild dazu! Wer freilich schon einmal am Ufer des Meeres spaziert ist, wird sich gewiss daran erinnern, dass ihm unausweichlich, unvermeidbar beim Spazieren Sand in die Schuhe lief. Wie peinlich! Ich will damit sagen: Soviel du auch darauf achten magst, der Dummheit aus dem Weg zu gehen, sie wird dich immer wieder einholen – als fremde und, was tatsächlich peinlich ist, als hausgemachte und eigene.

Dummheit ist anhänglich. Dummheit in kleinen Prisen, gross wie ein Sandkorn bloss, kann sich rasch auswachsen zu einer Dummheit, so gross wie ein Eckhaus – wie der Wiener sagen würde. Da ist sie dann kaum mehr zu übersehen. Noch weniger freilich, wenn sie, theaterhaft uns vorgeführt, gleichsam als der Weisheit letzter Schluss präsentiert wird. Wenn sich da deine Hände in den Taschen zu Fäusten ballen, Ingrimm in dir hochsteigt – das brauchst du dir nicht als Schwäche oder gar Untugend vorzuwerfen. Achte eher darauf, dein eigenes Gärtlein, das Beet deiner Weisheiten, immer wieder einmal, es muss ja nicht täglich sein, gründlich zu jäten. Dummheit hat ja meist auch etwas Saftiges!

Es gibt Dummheiten des Tages und Dummheiten, nun, ewige Dummheiten – das zum Schluss. Öfter höre ich zum Beispiel sagen, die Kunst mache den Menschen erst zum Menschen. Überprüfe ich, was die Kunst dem Menschsein hinzufügt, erkenne ich ein wenig mehr Übersicht, ein wenig mehr Präzision und Farbigkeit, ein bisschen mehr Freude; gelegentlich eine Erleuchtung. Kunst kann uns aber vor Dummheiten nicht retten. Dazu müssen wir schon, um im Bild zu bleiben, abends den Sand aus unseren Schuhen klopfen. Damit es am nächsten Tag wieder von vorn losgehen kann.

Der Schriftsteller Peter Rosei wurde 1946 in Wien geboren. In diesen Tagen erscheint im Residenz-Verlag sein Buch «Das Märchen vom Glück».